Diesseits von Gut und Böse: Frohgemute Tabubrüche

Nr. 50 –

Hierzulande rede man zu selten übers Sterben, hiess es bis vor kurzem, es sei ein Tabu in der Konsumgesellschaft. Zum Thema werde unser Ende nur in besinnlichen Zusammenhängen wie Predigten, dem Feuilleton oder sonntagmorgens im Fernsehen. Das Sterben gehöre doch zum Leben wie das Geborenwerden, erklärte man, in früheren Generationen habe die tote Grossmutter zum Abschiednehmen noch aufgebahrt in der Stube gelegen. Heute sterbe sie im Spital.

Jetzt stirbt sie im Heim, doch es hat sich dank Corona noch mehr geändert! Plötzlich sind Tote das Tagesgespräch, es gilt wieder das Luther-Lied: «Mitten wir im Leben sind / mit dem Tod umfangen». Den Takt der Diskussion geben jetzt allerdings Berufsgruppen mit wenig Bezug zum Transzendenten vor: Politiker, Statistikerinnen, Virologen, Epidemiologinnen und Ökonomen.

Noch nie im Leben sah ich so regelmässig Todesfallstatistiken mit aufgeschlüsselten Todesursachen, und nie wiesen PolitikerInnen so unbefangen darauf hin, dass alle Menschen sterblich sind; gefolgt vom tröstlichen Hinweis, dass nicht jeder Tod eine Katastrophe sei.

Empfindsamen Seelen geht zwar nahe, dass die Zahl der derzeit täglich Verstorbenen der Passagierzahl eines abgestürzten Flugzeugs entspreche. Aber man muss die Kirche im Dorf lassen! Mit hundert Toten war das bloss ein kleines Flugzeug. Und hinsichtlich Altersstruktur sollte man zum Vergleich besser einen Ausflugscar voller SeniorInnen heranziehen. Dann ist alles gar nicht mehr so schlimm.

Selbst für jene, die öffentliche Trauerbekundungen seitens der Politik vermissen, zeichnet sich eine Lösung ab. Wie wir jetzt wissen, eignet sich der Nationalratssaal bestens für Festlichkeiten, weshalb dort noch vor Weihnachten Abdankungsfeiern stattfinden können; dank guter Akustik und Weiträumigkeit empfehle ich die Aufführung eines grossen Chorwerks. Das Mozart-Requiem zum Beispiel.