Machtwechsel in den USA: Wo ist der Coup geblieben?

Nr. 51 –

Joe Biden ist offiziell zum US-Präsidenten gewählt. Die viel beschworenen Bürgerkriegsszenarien blieben aus. Dafür gibt es eine einfache Erklärung.

Nun ist es amtlich: Joseph Biden ist der nächste Präsident der USA. Am Montag versammelten sich die ElektorInnen aus den Bundesstaaten und wählten ihn wie erwartet. Mitch McConnell, der Anführer der RepublikanerInnen im Kongress, gratulierte Biden wenig später zum Sieg. Damit stellt sich der letzte enge Verbündete gegen Donald Trump. Dessen Obstruktionspolitik blieb ohne Folgen, seine Klagen gegen die Auszählungen in verschiedenen Staaten wurden grossmehrheitlich abgeschmettert, selbst von republikanischen RichterInnen: Der Supreme Court versenkte das Begehren des Trump-Lagers gar mit einem einzigen dürren Satz.

Amy Coney Barrett, die ultrakonservative Richterin, die Trump zum Entsetzen aller Liberalen und Progressiven – jedoch ohne den Widerstand der DemokratInnen im Kongress – kurz vor der Wahl ins Oberste Gericht gehievt hatte, half ihrem Gönner in keiner Weise. Damit ist der Geist des gerichtlichen Coups gebannt, der vor und nach der Wahl durch die Analysen und Meinungsseiten spukte. Trump wird sich nicht durch juristische Spielereien an der Macht halten.

Wahlverhalten gleich geblieben

Auch ein handfester Putsch zeichnet sich nicht ab. Amerikanische Städte verwandelten sich vor der Wahl in veritable Festungen. Läden und Restaurants verbarrikadierten sich aus Angst vor Ausschreitungen, rechte Milizen rüsteten gegen angebliche linke Chaoten auf, Progressive warnten ihrerseits vor der Gewalt von rechts. Doch passiert ist wenig. In Portland, wo sich seit Monaten beide Seite gegenüberstehen, kam es gleich nach der Wahl zu Zusammenstössen, in Washington DC liefen zweimal radikale Trump-AnhängerInnen zu Grossdemonstrationen auf. Einige GegendemonstrantInnen sowie schwarze Kirchen waren von Gewalt betroffen. Doch in einem Land mit 330 Millionen Menschen sind solch vereinzelte Gewaltakte weit entfernt von der Schreckensvorstellung eines neuen Bürgerkriegs.

Wo ist der Coup geblieben? Nun, da der Staub der Wahl sich gelegt hat, wird offenbar, wie normal alles abgelaufen ist. Trotz all der symbolischen Tabus, die Trump gebrochen hat, trotz seines Unwillens, der Pandemie geeignete Massnahmen entgegenzuhalten, trotz all der Bücher und Essays, die vor einem neuen Faschismus warnten – das Wahlverhalten der AmerikanerInnen ist quasi unverändert. Die Statistiken von 2020 lesen sich wie eine Kopie der Zahlen von 2016. Lediglich 265 000 Stimmen in einzelnen Swing States gaben den Ausschlag für den Wahlsieg von Joe Biden.

In den vielen anderen Machtzentren in den USA ist der Einfluss der RepublikanerInnen unverändert oder nimmt sogar noch zu. Entgegen allen Erwartungen schrumpfte die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus. In den Bundesstaaten halten die RepublikanerInnen nun sogar die Mehrheit der Parlamente und Regierungen, womit sie in einem Grossteil des Landes freie Hand haben, rechte Politik umzusetzen, sei es die Einschränkung von Abtreibungen, die Bekämpfung von Arbeitsrechten oder die Manipulation von Wahlkreisen. Auch die Gerichte sind landauf, landab fest in republikanischer Hand.

Eine Frage des Anstands

Ob die DemokratInnen es schaffen, den Senat zu erobern, entscheidet sich im Januar, wenn in Georgia beide Sitze zur Wahl stehen. Doch es gilt als unwahrscheinlich, dass die DemokratInnen gleich beide Senatsposten gewinnen in einem Bundesstaat, in dem sie seit dreissig Jahren keine Stichwahl für sich entschieden haben. Ohne den Senat wird es für Biden kaum möglich, sein zentristisches Regierungsprogramm umzusetzen. Und das ist für Mitch McConnell und seine Partei der ideale Zustand. Biden läuft ins Leere, bis in zwei Jahren wieder Parlamentswahlen anstehen. Damit erklärt sich, warum die RepublikanerInnen Trump fallen lassen wie eine heisse Kartoffel: Sie brauchen ihn schlicht nicht mehr.

Man darf nicht vergessen, dass Trump nicht wirklich ein Republikaner ist. Er gab sich als Kandidat gegen das Establishment und bediente sich des Apparats der altehrwürdigen Partei. Damit machte er sich viele mächtige Feinde, darunter der Bush-Clan, wichtige Senatoren wie John McCain oder Mitt Romney. Trump befriedete sie, indem er klassische republikanische Politik machte, nur mit mehr Show und weniger Höflichkeit. Seine Präsidentschaft zeigte die hässliche Fratze der rechten republikanischen Ideologie. Auch damit erklärt sich die Hysterie, die in vielen Teilen des US-amerikanischen Bürgertums herrschte. Es war vor allem ihr ästhetisches Empfinden, das gekränkt war: Die Nachrichten von und über Trump nervten.

Mit Joe Biden kehrt der oberflächliche Anstand ins Präsidentenamt zurück. In seiner Siegesrede versprach er, die Gräben im Land überbrücken zu wollen, und erzählte von seiner langjährigen Freundschaft zum republikanischen Taktgeber Mitch McConnell. Materiell wird sich das Leben der meisten AmerikanerInnen durch solche Kompromissbereitschaft nicht verbessern. Biden wird für die RepublikanerInnen nicht gefährlich. Wer einen guten Freund im Präsidentenamt hat, muss auch nicht putschen.