RebellInnenrätsel: Der populäre Blumenzüchter

Nr. 18 –

«Bleiben Sie lange?», fragte der Wachsoldat den unrasierten Mann mit den abgewetzten Jeans und wollte ihn schon auf den Hintereingang verweisen. «Wenn Sie mich lassen, fünf Jahre», antwortete der. Als frisch gewählter Abgeordneter war er gerade auf dem Weg zu seiner ersten Parlamentssitzung. Das war 1994, an seinem Dresscode hat sich seither nicht viel geändert. Er weigerte sich auch, im Präsidentenpalast zu wohnen, und fuhr weiter in seinem alten VW Käfer herum. Die Menschen lieben ihn dafür.

Zur Welt gekommen ist der Revoluzzer 1935 auf einer kleinen Farm am Rand von Montevideo. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf; obwohl der Vater früh starb, konnte er das Gymnasium besuchen. Denn das Land am Río de la Plata galt damals als «Schweiz Südamerikas»: Der Wohlfahrtsstaat war überdurchschnittlich gut entwickelt, Analphabetentum und Kindersterblichkeit so niedrig wie nirgends sonst auf dem Kontinent. Bis in den sechziger Jahren eine Wirtschaftskrise autoritäre Politiker auf den Plan rief. Der spätere Senator trat dem Movimiento de Liberación Nacional bei, einer Stadtguerilla, die mit originellen, aber auch blutigen Aktionen gegen die heraufziehende Militärdiktatur kämpfte. Dabei soll er einen Polizisten erschossen haben, was ihm dreizehn Jahre Gefängnis einbrachte. Er wurde gefoltert und in Einzelhaft gehalten. Zweimal gelang ihm jedoch die Flucht, eine seiner damaligen HelferInnen heiratete er später.

Mitte der achtziger Jahre rang eine aufmüpfige Bevölkerung die Militärmachthaber mit Generalstreiks nieder. Zehntausende feierten die Freilassung des Widerständlers, der bald zu einer wichtigen Figur der uruguayischen Linken wurde. 1994 errang er einen Sitz im Abgeordnetenhaus, etwas später im Senat, dann wurde er Landwirtschaftsminister und 2009 schliesslich Staatspräsident. Dank einer Mehrheit in beiden Kammern verabschiedeten die Linken darauf fünf Jahre lang etliche fortschrittliche Gesetze. Am meisten Aufsehen erregten die Legalisierung der Abtreibung und die begrenzte Freigabe des Verkaufs und Anbaus von Marihuana.

Wie heisst der Tupamaro und Botschafter des Glücklichseins, der die Fifa-Funktionäre einen «Haufen Hurensöhne» nannte und heute auf seinem Bauernhof fern von Corona wieder Blumen züchtet? 

Wir fragten nach dem uruguayischen Expräsidenten José «Pepe» Mujica, geboren 1935. 1989 gründete er den Movimiento de Participación Popular (MPP), Teil des linken Parteienbündnisses Frente Amplio, das noch heute die grösste Fraktion im Abgeordnetenhaus und im Senat stellt. Mujica war von 2009 bis 2015 Staatsoberhaupt. Gewählt wurde er von einer politisch wachen und aktiven Bevölkerung, die per Volksabstimmung unter anderem die Privatisierung der Elektrizitätswerke, der Telekommunikation und des Wassers verhinderte.