RebellInnenrätsel: Der unbegnadigte Rädelsführer

Nr. 38 –

Die Kunsthochschule in Santa Fé wollte er besuchen, doch es fehlte das Geld. So jobbte er in Kalifornien als Saisonarbeiter, in Portland als Schweisser, und in Seattle betrieb er, inzwischen 21-jährig und als Kfz-Mechaniker angelernt, eine Autowerkstatt. Damals bot er in Not geratenen indigenen Landsleuten Unterkunft. Von diesen gab es viele, seit die Regierung Eisenhower Schritt für Schritt den Sonderstatus der Reservate beendet und die dort dringend benötigte Unterstützung für Jobs, Bildung und Gesundheit eingestellt hatte. Zehntausende Native Americans strandeten damals in den Elendsvierteln der Städte – während auf ihrem ehemaligen Land Uran-, Kohle- und Goldminenbetreiber die heiligen Stätten entweihten.

1944 im Turtle-Mountain-Reservat in Norddakota geboren, kannte der Angehörige der Ojibwe die sozialen und kulturellen Verheerungen, die der Landhunger der europäischen EinwanderInnen und die an Eigeninteressen ausgerichteten und von Rassenhass durchdrungenen US-Gesetze hinterlassen hatten (was Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen mit einschloss). «Tötet den Indianer, rettet den Menschen», lautete die antiindianische Umerziehungsstrategie, und so wurde auch er, wie viele indigene Kinder davor und danach, aus der Familie geholt und in ein Internat verfrachtet; diese Zeit nannte er «meine erste Gefängnisstrafe». Mit vierzehn kam er tatsächlich in Haft, weil er einer verbotenen Lakota-Sonnentanz-Zeremonie beiwohnte. Später, weil er aus einem Armeetankwagen Heizöl für die kalte Familienbude abgezapft hatte.

Als er 1972 der Protestbewegung American Indian Movement (AIM) beitrat, geriet er bald ins Fadenkreuz des FBI, das ihn zusammenschlagen liess und dann wegen versuchten Mordes belangen wollte (wovon er später freigesprochen wurde). Er tauchte unter und mischte weiter mit im zähen Kampf um Selbstbestimmung. Zum Verhängnis wurde ihm dann ein Hilferuf aus Süddakota. In dem für die US-Atomwirtschaft interessanten Pine-Ridge-Reservat – der Uranabbau sollte forciert, AKWs und Überlandleitungen errichtet werden – geriet er mit anderen AIM-AktivistInnen in den Hinterhalt einer gross angelegten Polizeiaktion, bei der zwei FBI-Agenten den Tod fanden. Ohne stichhaltige Beweise wurde der heute 77-Jährige wegen Mordes zu zweimal lebenslänglich verurteilt.

Wer ist der gesundheitlich stark angeschlagene Vorkämpfer der Native-Lives-Matter-Bewegung, der lange Jahre keine Gnade, sondern Gerechtigkeit forderte und den trotz internationalem Druck weder Bill Clinton noch Barack Obama freilassen mochte?

Wir fragten wir nach dem seit 45 Jahren inhaftierten US-Bürgerrechtsaktivisten Leonard Peltier, der bis heute seine Unschuld am Tod der beiden FBI-Agenten beteuert. Auch Amnesty International zweifelt die Rechtmässigkeit dieses Prozesses an und verlangt seit langem seine Freilassung. Der 1944 geborene Peltier engagierte sich in der 1968 gegründeten Bürgerrechtsbewegung AIM, die sich bei ihren Einsätzen auf Selbstverteidigung berief und die in der von Korruption und Terror bedrohten Gemeinschaft der Native Americans eine wichtige soziale Funktion über- nahm. Für arbeitslose Natives organisierte er Jobs bei Gewerkschaften, er engagierte sich in der Drogenprävention, unterstützte die Fish-in-Proteste gegen die Beschneidung der Fischereirechte der Natives im Bundesstaat Washington und den Kampf der Menominee für die Rückgabe ihrer Land- und Stammesrechte in Wisconsin. Bei seiner Haftentlassung am 11. Oktober 2040 wird Leonard Peltier 96 Jahre alt sein.