Ehe für alle: Sieg über die Realitätsverweigerung

Nr. 39 –

Wer ohne Kenntnis der Schweiz von aussen die Kampagne gegen die Ehe für alle verfolgt hätte, wäre wohl überzeugt, die vaterlose Gesellschaft stehe bevor: Als solle verboten werden, dass Kinder Väter haben, und wenn sie doch einen hätten, wäre er in Wirklichkeit eine Frau oder träte nur als Mumie in Erscheinung.

Wenn Menschen sich aus ideologischen und/oder religiösen Gründen gesellschaftlicher Realität verweigern, ist es immer schwierig, argumentativ dagegenzuhalten. Umso mehr freut das Abstimmungsergebnis: 64,1 Prozent der Stimmenden erkannten, dass die gesetzliche Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Menschen längst überfällig ist. Alle Erwachsenen können jetzt einen Ehevertrag schliessen, wenn sie möchten; und Kinder haben die Chance, durch Adoption «richtig» zur Familie zu gehören. Zudem fällt die absurde Notwendigkeit weg, durch die Angabe «in eingetragener Partnerschaft» immer gleich auch noch die sexuelle Orientierung bekannt geben zu müssen.

Hart umstritten war die Spermaspende, bei Heteropaaren seit zwanzig Jahren erlaubt. Dass sie nun auch lesbischen Paaren offensteht, entspricht der Rechtsgleichheit. Wer will, dass Kinder nur in heterosexuellen Liebesakten gezeugt werden und beim leiblichen Vater aufwachsen, müsste nicht nur Spermaspenden, sondern auch das Alleinerziehen und Scheidungen verbieten. Laut Studien der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften halten rund zehn Prozent der Schweizer:innen Homosexualität für unmoralisch. Da offene Homophobie zum Glück nicht mehr akzeptiert ist, argumentierten die Gegner:innen der Ehe für alle mit dem Kindeswohl – vor allem jene, die sich noch letztes Jahr im Nationalrat gegen ein gesetzliches Verbot von Körperstrafen bei Kindern stemmten.

Auch dass die Ehe als bürgerliche Institution überholt ist, spricht nicht dagegen, dass sie allen erlaubt sein sollte. Wie vieles auf der Welt muss ja niemand etwas machen, nur weil es erlaubt ist. Aber manches nur den einen zu erlauben, den anderen aber nicht, ist eines Rechtsstaats nicht würdig.