Rebell:innenrätsel: Die verdammt empörte Grossmutter

Nr. 48 –

Statt zu beten, fluchte sie lieber – denn dann, sagte sie einmal, bekomme sie hier und jetzt, was sie wolle, und nicht erst nach dem Tod. Und ein Staatsanwalt zeterte, als sie wieder einmal vor Gericht stand, sie müsse nur den Finger krümmen, und schon legten «20 000 zufriedene Menschen die Arbeit nieder». Die «gefährlichste Frau Amerikas» flösste Respekt ein und liess sich nicht einschüchtern, schon gar nicht von den Kapitalisten und deren staatlichen «Kettenhunden». Warf man sie ins Gefängnis, ertrug sie das stoisch; wies man sie weg, stand sie am nächsten Tag wieder da.

Die vermutlich 1837 geborene Tochter irischer Einwander:innen hatte nichts zu verlieren. Ihr Mann und ihre vier Kinder waren 1868 an Gelbfieber gestorben, und dann vernichtete der Grosse Brand von Chicago auch noch ihr Schneidergeschäft. Sie verschrieb sich der Gewerkschaftsarbeit und wurde eine begnadete Rednerin und Agitatorin – angetrieben von der empörenden Lage der Bergleute und der Fabrikarbeiter:innen: karge Löhne, bis zu vierzehn Stunden Maloche in ungesicherten Stollen, an höllischen Schmelzöfen, im ohrenbetäubenden Lärm der Textilfabriken. Männer, Frauen und Kinder, vollkommen rechtlos. Selbst die miesen Behausungen gehörten oftmals ihren Schindern, wie auch die Läden, in denen sie einkaufen mussten, oder die Strassen und Plätze, auf denen sie sich nicht versammeln durften.

Die kleine, schwarz gekleidete Frau mit Nickelbrille und Hut mischte bis ins hohe Alter bei den Arbeitskämpfen mit und schmiedete Allianzen: Bäuer:innen halfen den Streikenden zu überleben, Strassenbahnfahrer transportierten keine Streikbrecher mehr. Ihre stärkste Waffe aber waren die Arbeiterfrauen, die wild lärmend und schreiend, ausgerüstet mit Bratpfannen, Mops und Besen durch die Strassen zogen. Eine ihrer eindrucksvollsten Aktionen war 1903 der «Kinderkreuzzug» zu US-Präsident Theodore Roosevelt: Zwar empfing er die hundert kleinen Demonstrant:innen nicht, doch das Thema Kinderarbeit war endlich in die Öffentlichkeit gelangt.

Wie hiess die 1930 verstorbene «Grossmutter aller Aufwiegler», nach der eine linke US-Zeitschrift benannt ist und die einmal sagte, dass sie kein Wahlrecht brauche, um etwas zu bewegen, denn dazu brauche es nur «die richtige Überzeugung und eine Stimme zum Schreien»? 

Wir fragten nach Mary Harris Jones, genannt Mother Jones (ca. 1837–1930). Sie war bezahlte Aktivistin der Union Mine Workers of America und 1905 Mitbegründerin der radikaleren Gewerkschaft Industrial Workers of the World. Die Streiks für bessere Arbeitsbedingungen endeten oft blutig, da die Unternehmer Pistoleros anheuerten und das Militär riefen; unzählige Gewerkschafter (Funktionäre und einfache Mitglieder) wurden verhaftet, erschossen, erschlagen. Das linke Politmagazin «Mother Jones» wurde 1976 gegründet und hat heute eine Auflage von rund 230 000 verkauften Exemplaren.