Von oben herab: Trotz

Nr. 51 –

Stefan Gärtner über einen Schweizer Nazi-Import

Eine Möglichkeit wäre natürlich noch, Schweizer zu werden. So interessante Leute wie Christian Kracht und Ruedi Widmer sind schliesslich Schweizer, und es kommt mir vor, das Leben würde dadurch aufgeräumter, sauberer, auch direktdemokratisch fruchtbarer, wenngleich um einiges teurer, und da mir Entscheidungen seit je suspekt sind, will ich es mit Erleichterung buchen, dass diese gar nicht ansteht.

Vermutlich nähmen sie mich auch gar nicht als Staatsbürger; vermutlich fehlten mir ganz einfach die Voraussetzungen, denn noch mehr Sozialisten braucht die Schweiz ja nun weiss Blocher nicht. Die Eidgenossenschaft – und hat sie nicht recht! – bürgert viel lieber Leute ein, die die Bundesverfassung respektieren und der inneren Sicherheit nicht gefährlich werden, wie etwa die «Luzernerin (32), die in der Schweizer Skeptikerbewegung eine zentrale Rolle innehaben soll», so der «Blick» unter Berufung auf den «Tages-Anzeiger». «Die gebürtige Deutsche habe man an unzähligen Demonstrationen angetroffen, teilweise begleitet von Mitgliedern der beiden Schweizer Neonazi-Gruppierungen Eisern Luzern und der Jungen Tat. Laut dem Bericht soll sie auch Fotos von Gegendemonstrantinnen und Journalisten auf soziale Netzwerke gestellt haben, mit der Bitte, diese zu ‹isolieren›.» In den asozialen Hetzwerken, heisst es weiter, streut die Dame Beleidigungen, postet Bilder von mit Hakenkreuz verzierten Hunden und verbreitet Weisheiten wie «Wahre Bräune kommt von innen». Sie nimmt, lesen wir und freuen uns, an Schweizer Neonazi-Veranstaltungen teil, ist mit einem «bekannten Gesicht der Neonazi-Szene in Ostdeutschland» verheiratet und teilt Bilder von Kalaschnikows. Dass sie via Telegram «an die 4500 Abonnenten» mit national Erbaulichem versorgt, versteht sich.

«Trotz ihres Engagements in der Neonazi-Szene», schliesst der «Blick», «wurde sie im November 2020 in einer kleinen Gemeinde im Kanton Luzern eingebürgert», und da finde ich zu isolierender Systemjournalist natürlich, dass dieses «trotz» nur eine Spezialform von «wegen» ist. Denn wo der Russe ja nun schon wieder aufmarschiert und sie alle Angst haben, unsere Gesellschaft falle wegen Corona auseinander, ist es doch gut zu wissen, dass sie sich nicht unter Umgehung der bewährten Eigentumsverhältnisse wieder zusammensetzen wird. Die deutsche Bürgernazibewegung «Alternative für Deutschland», hat eine Studie jetzt nachgewiesen, tut nur so, als sei sie für die kleinen Leute da, in Wahrheit ist ihr Parteiprogramm knallhart neoliberal, denn der Todfeind des deutschen Volkes, ja des christlichen Europas schlechthin ist seit je der Marxismus, bekanntlich nur eine Spezialform des Judentums, das uns gerade per Zwangsimpfung zu versklaven droht.

Wer also in der Skeptikerbewegung unterwegs ist, hat allen Grund zur Skepsis, denn ist das Massnahmenregiment nicht eine Einschränkung jener Freiheit, wie sie jeder Schweizer und jede Schweizerin mit der Muttermilch einsaugt? Und würden sie, käms hart auf hart und zur Entscheidungsschlacht zwischen Gleichmacherei und freiem Schweizertum, nicht wissen, was zu tun und zu wem zu halten ist? Zwar will der Schweizer Bürger, wie alle Bürgerinnen auf der Welt, nur in Ruhe seine Privilegien verzehren, aber hätte er die Wahl zwischen den beiden Formen von Vergesellschaftung, der völkischen und der anderen: würde er nicht jene wählen, die ihm die Doppelgarage lässt?

Drum legt die deutsche Politik solchen Wert darauf, dass es neben rechtem Extremismus auch linken gibt und beide gleich schlimm sind, obzwar dem rechten Menschen zum Opfer fallen und dem linken bloss Arschlochautos. Und wenn es in der schönen Schweiz haargenauso ist, muss ich über den Wechsel der Staatsbürgerschaft nicht mehr nachdenken: Denn Nazis als Landsleute von nebenan, das kann ich zu Hause genauso haben.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

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