Coronapandemie in China: Scheitert die Zero-Covid-Strategie?

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Auf den starken Anstieg der Covid-Fälle reagiert die chinesische Regierung mit flächendeckenden Lockdowns, auch in Industriezentren. Es drohen erneute Produktionsausfälle und Lieferengpässe – mit weltweiten Auswirkungen.

Mehr als 30 000 Covid-19-Fälle zählte China seit Anfang März – vor allem in Jilin im Nordosten, aber auch in anderen Provinzen. Im weltweiten Vergleich ist das eine geringe Zahl, für China jedoch der höchste Anstieg seit Ausbruch der Pandemie. Ursache ist vor allem die ansteckende Omikronvariante.

Als sich die Zahlen täglich verdoppelten, verhängte die Regierung ab dem 13. März unter anderem in den Metropolen Shenzhen, Dongguan, Schanghai und Changchun Lockdowns. Insgesamt waren mehr als vierzig Millionen Menschen betroffen, die ihre Wohnungen kaum verlassen durften. Reisen in die Regionen wurden beschränkt, Fabriken geschlossen.

Die Lockdowns sind Teil der seit 2020 offiziell verfolgten Zero-Covid-Strategie. Nach dem Ausbruch von Covid-19 in Wuhan und anderswo schottete die Regierung Städte und Viertel ab. Die Wirtschaftsleistung brach ein, und vor allem Wanderarbeiter:innen litten unter den Folgen von Reisebeschränkungen und Betriebsschliessungen. Die Ausbreitung des Virus konnte jedoch gestoppt werden, und die Wirtschaft erholte sich.

Äusserst rigide Massnahmen

Seitdem hielt die Regierung die Fallzahlen tief und bekam sporadische Ausbrüche schnell in den Griff. Mithilfe von Smartphone-Apps, ohne die man in China kein Geschäft und keinen Bus betreten darf, überwachte sie die Bewegungen der Menschen. Tauchten Covid-Fälle auf, mussten Hunderte oder Tausende sofort in staatliche Isolation. Nahmen die Fälle nicht ab, wurden Lockdowns verhängt und sämtliche Einwohner:innen einer Region getestet. Da die Leistung lokaler Beamt:innen auch an den Covid-Zahlen gemessen wird, setzen sie die Massnahmen oft rigide durch.

Was gegen die trägen Alpha- und Deltavarianten wirkte, scheint jetzt gegen die ansteckendere Omikronvariante an Grenzen zu kommen. In der Volksrepublik droht eine Entwicklung wie in Hongkong. Auch dort verfolgte die Stadtregierung eine Zero-Covid-Strategie und konnte die Fallzahlen niedrig halten, aber seit Ende Dezember 2021 ist die Lage ausser Kontrolle geraten. Insgesamt wurden inzwischen mehr als eine Million Infektionen festgestellt – bei einer Bevölkerung von 7,4 Millionen –, und Hongkong hat derzeit die weltweit höchste Coronasterberate. Gründe dafür sind die hohe Zahl Ungeimpfter unter den Alten, der Einsatz chinesischer Impfstoffe, die zwar schwere Verläufe, aber keine Infektion verhindern, die Überlastung des Gesundheitssystems und die schleppende Anpassung staatlicher Krisenpläne.

Dieselben Gründe könnten nun auch in der Volksrepublik zu einer Eskalation führen. Noch hält die chinesische Regierung an der Zero-Covid-Strategie und der «dynamischen Beseitigung» von Ausbrüchen fest, aber sie passt diese langsam an die neue Situation an. Denn sie fürchtet vor allem die ökonomischen Kosten der Pandemie. Die chinesischen Wirtschaftsaussichten sind ohnehin schon getrübt. Der Immobiliensektor bleibt in der Krise, und die Verschuldung der Kommunen hat durch die Pandemie noch zugenommen. Die «Gemeinsamer Wohlstand»-Initiative, mit der die Regierung Unternehmen zu mehr Sozialbeiträgen drängt, verunsichert Investor:innen, und der Krieg gegen die Ukraine sowie die Sanktionen gegen Russland drohen sich zusätzlich negativ auf Chinas Wirtschaft auszuwirken.

Stau in den Verladehäfen

Die aktuellen Lockdowns führten zudem zu Betriebsschliessungen in wichtigen Sektoren. In Changchun wurden unter anderem bei den Automobilherstellern FAW/VW und Toyota Produktionsstopps verhängt, in Shenzhen bei Foxconn und anderen Elektronikunternehmen. Solche Lockdowns führten bereits vorher zu Unterbrechungen weltweiter Produktions- und Lieferketten und trugen dazu bei, dass seit dem Ausbruch der Pandemie die Gütertransportkosten enorm gestiegen sind und sich vor chinesischen Verladehäfen Schiffe stauten.

Jetzt reagierten auch die Börsen nervös. Am 14. und am 15. März, kurz nach Verhängung der Lockdowns, brachen in Schanghai, Shenzhen und Hongkong die Kurse ein. Erst als Vizepremier Liu He am 16. März betonte, dass die Regierung die Wirtschaft stützen werde, holten sie wieder auf.

Präsident Xi Jinping kündigte am 17. März an, die wirtschaftlichen Folgen der Anti-Covid-Politik begrenzen zu wollen, ein Zeichen für eine mögliche Anpassung der Massnahmen. In Schanghai und in Shenzhen wurde einigen Unternehmen bereits die Weiterführung der Produktion erlaubt, wenn sie die Arbeiter:innen in einem «geschlossenen Kreislauf» auf dem Fabrikgelände halten.

Es ist jedoch fraglich, ob und wann die chinesische Regierung einen Übergang zu einer Leben-mit-Covid-Strategie wagen wird. Denn ein landesweiter Ausbruch der Pandemie mit hohen Todeszahlen könnte nicht nur Produktions- und Lieferketten stören, sondern gar eine globale Wirtschaftskrise auslösen und im Land selbst zu erheblichen sozialen Spannungen führen.