Italienische Basisgewerkschaften: «Kämpfe lassen sich nicht verbieten»

Nr. 31 –

Sie hätten innerbetriebliche Konflikte geschürt und Logistikzentren blockiert: Im norditalienischen Piacenza stellt die Staatsanwaltschaft Gewerkschafter unter Hausarrest.

Die Polizei kam am frühen Morgen des 19. Juli. Mehr als fünf Jahre hatte die Staatsanwaltschaft von Piacenza ermittelt, nun liess sie sechs Beschuldigte festnehmen und unter Hausarrest stellen: die Basisgewerkschafter Mohamed Arafat, Aldo Milani, Carlo Pallavicini und Bruno Scagnelli vom S. I. Cobas sowie Roberto Montanari und Abed Issa Mahmoud Elmoursi von der USB. Die Anklage lautet: Bildung zweier krimineller Vereinigungen, Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sabotage, Verkehrsblockaden.

Streikposten und Militanz

Die Verlautbarungen von der Staatsanwaltschaft als auch von Unternehmensleitungen machen deutlich, dass den sechs Aktivisten nichts anderes als die Wahrnehmung gewerkschaftlicher Rechte zum Vorwurf gemacht wird. Sie würden innerbetriebliche Konflikte schüren, um Mitglieder zu gewinnen; deren Beiträge seien niedriger als bei herkömmlichen Gewerkschaften und würden allesamt in eine «Widerstandskasse» (cassa di resistenza) fliessen. Ziel sei es, bessere Bedingungen durchzusetzen als in den nationalen Tarifverträgen festgelegt, die mit den grossen Gewerkschaftsbünden geschlossen wurden. Ein absurder Vorwurf: Denn diesen Kollektivverträgen haben die Basisgewerkschaften gar nicht zugestimmt, und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist nun mal Zweck gewerkschaftlicher Aktivitäten. Dass die Basisgewerkschaften teilweise erfolgreicher sind als die Konkurrenz, etwa der grosse Gewerkschaftsbund CGIL, liegt auch an ihren militanten Aktionsformen. Dazu zählen spontane Arbeitsniederlegungen, die Aufstellung von Streikposten, Blockaden von Zugangsstrassen und Einfahrten.

Mit diesen Mitteln lassen sich auch die grossen norditalienischen Logistikzentren zumindest vorübergehend lahmlegen. Eines der grössten befindet sich in Piacenza, südöstlich von Mailand, wo Konzerne wie Amazon, Ikea, Fedex/TNT oder DHL rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche arbeiten lassen. Etwa 10 000 Menschen sind dort beschäftigt. In Piacenza wie auch anderswo ist Gewalt gegen streikende Arbeiter:innen keine Seltenheit. Im Juni 2021 starb Adil Belakhdim, getötet von einem Lkw-Fahrer, der die Blockade des Lidl-Verteilzentrums bei Novara durchbrechen wollte. Oder durchbrechen sollte? Aldo Milani, nationaler Koordinator von S. I. Cobas und einer der sechs jetzt Festgenommenen, machte damals die Logistikunternehmen für verschärften Klassenkampf von oben verantwortlich: Ihnen gehe es darum, Lohnerhöhungen rückgängig zu machen und das Arbeitstempo zu erhöhen, auch während der Pandemie.

Die Vielzahl schwerer, immer wieder auch tödlicher Arbeitsunfälle ist häufig Gegenstand gewerkschaftlicher Proteste. Statt die Arbeitssicherheit zu verbessern, schieben sich die zuständigen Ministerien seit Jahren gegenseitig die Verantwortung zu. Und nicht nur das: Erst Ende Juni änderte die Regierung Draghi den Artikel 1677 des Zivilgesetzbuchs, offensichtlich auf Betreiben des Unternehmerverbands Assologistica. Die jetzige Fassung befreit grosse Unternehmen, die Aufträge an kleinere Firmen weitervergeben, von der Verantwortung für deren Gesetzesverstösse.

Proteste gegen Waffenlieferungen

Auch auf diese Zusammenhänge weisen die Basisgewerkschaften immer wieder hin. Ein weiteres Aktionsfeld ist der Protest gegen Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete, auch in die Ukraine (siehe WOZ Nr. 47/21 ). So sind sie zu einer kleinen, aber lautstarken Opposition geworden, die weit mehr als die berufsständischen Interessen ihrer Mitglieder vertritt. Auch dagegen richtete sich der überdimensionierte und grotesk begründete Aufmarsch der Staatsmacht in Piacenza. Politisch war er allerdings ein Schlag ins Wasser: Auch Mitglieder anderer Gewerkschaften solidarisierten sich, zu einer Protestdemo am 23. Juli in Piacenza kamen mehr als 2000 Menschen. Zentraler Slogan: «Kämpfe lassen sich nicht verbieten. Die wahre kriminelle Vereinigung sind die Bosse.»