Toussaint Louverture: Revolutionär auf der Zuckerinsel

Nr. 32 –

Er trug massgeblich zur Abschaffung der Sklaverei und zur Unabhängigkeit Haitis bei: Eine neue Biografie beleuchtet das schillernde Leben des Intellektuellen und Staatsmannes François-Dominique Toussaint.

Zum postkolonialen Erbe gehört, dass Subalterne in der Geschichtsschreibung kaum vorkommen. Sie sind über die Jahrhunderte systematisch unsichtbar gemacht oder, im vielleicht besten Fall, dämonisiert worden. Das gilt auch für den Schwarzen haitianischen Revolutionär François-Dominique Toussaint Louverture, der als Vorreiter von Sklavenbefreiung und Dekolonisierung gleich in doppelter Hinsicht eine weltgeschichtliche Figur ist.

Die Biografie «Black Spartacus» bietet die Möglichkeit, diese Wissenslücke zu schliessen. Dabei konstatiert auch der Autor, der aus Mauritius stammende Historiker Sudhir Hazareesingh, dass er bei dieser Arbeit zunächst mit gewaltigen Problemen konfrontiert war: Über die ersten fünfzig Lebensjahre des in Sklaverei geborenen Toussaint ist kaum etwas bekannt, je nach Quelle ist er zwischen 1736 und 1746 geboren. Mit dem Schwarzen Aufstand 1791 auf Haiti katapultiert sich Toussaint auf die weltgeschichtliche Bühne. Als Reaktion auf die Französische Revolution, die die universellen Menschenrechte proklamiert, aber an der Sklaverei festgehalten hatte, war es auf der Karibikinsel Hispaniola zu einem Sklavenaufstand gekommen, der sich schnell zu einem revolutionären Krieg ausweitete.

Toussaint gewann aufgrund seines militärischen und politischen Geschicks in den Reihen der Aufständischen schnell an Gewicht. Er trug massgeblich dazu bei, dass die Französische Republik 1794 die Sklaverei abschaffen musste, wurde zum faktischen Regierungschef Haitis, eroberte 1801 auch den angrenzenden, spanischen Teil der Insel (die heutige Dominikanische Republik) und liess eine republikanische Verfassung erarbeiten. Erst der Verrat Napoleons, der Truppen entsandte, um die Sklaverei in Haiti neu zu errichten, setzte dem Wirken Toussaints ein Ende. Von französischen Soldaten verschleppt, starb der Revolutionsführer 1803 in einem jurassischen Kerker, in Sichtweite der Schweizer Grenze.

Armee der Habenichtse

Hazareesinghs Biografie arbeitet die Eigenschaften heraus, die Toussaint Louverture zu dieser politischen Ausnahmeerscheinung machten. Dabei stechen drei Merkmale hervor. Zum einen sei da Toussaints «ungeheurer Glaube an das geschriebene Wort». Offenbar ein Intellektueller, der von der jesuitischen Gerechtigkeitslehre geprägt war, aber auch die in der Regel kirchenkritischen französischen Aufklärer las und afrikanischen Glaubenstraditionen verbunden blieb. Auf diese Weise formte er ein Denken, das auf kosmopolitische Weise Brüderlichkeit, Nächstenliebe und universelle Gleichheit propagierte.

Die zweite Eigenschaft ist die des wagemutigen, aber besonnenen militärischen Anführers, der keine Strapazen scheute und auch im Krieg an moralischen Prinzipien festzuhalten suchte. «Der Zusammenhalt seiner republikanischen Armee lässt sich an ihren hohen ethischen Standards ermessen: an der strikten Befolgung seines Plünderungsverbots und der humanen Behandlung von Kriegsgefangenen», schreibt Hazareesingh und erklärt damit die wachsende Autorität Toussaints sowohl in den eigenen Truppen als auch gegenüber der Bevölkerung.

Drittens schliesslich habe es sich bei Toussaint um einen klugen Politiker gehandelt. Tatsächlich hatte die Schwarze Bevölkerung Haitis 1791 die halbe Welt gegen sich. Frankreich, Spanien, England und die USA meldeten Ansprüche auf die damals noch reiche Zuckerinsel an, die ehemaligen Plantagenbesitzer wollten die Sklaverei zurück. Toussaint und seine Armee der Habenichtse verstanden es, diese Akteure gegeneinander auszuspielen. Nach dem Aufstand 1791 kämpfte Toussaint zunächst als spanischer General gegen Frankreich, wechselte nach der Abschaffung der Sklaverei die Seite und bekannte sich in der Folge zum französischen Republikanismus – achtete aber auch die besonderen Interessen Haitis. Diese Manöver waren möglich, weil Toussaint Gegner und Verbündete meisterhaft täuschte, indem er beispielsweise in Briefen gezielt widersprüchliche Informationen in Umlauf setzte.

Garantien für Plantagenbesitzer

Doch Toussaint beherrschte nicht nur das Ränkespiel, er war auch ein Staatsmann, der politische Projekte verfolgte. Nachdem die Exportproduktion Haitis nach der Abschaffung der Sklaverei fast vollständig zusammengebrochen war, nahm Toussaint, gegen den Willen Frankreichs, Handelsbeziehungen zu England und den USA auf und bot weissen Plantagenbesitzern Garantien, um den Zuckerrohranbau wieder anzukurbeln. Letzteres war bei den befreiten Schwarzen extrem unpopulär, doch Toussaint sah, dass ein emanzipatorisches Projekt eine ökonomische Grundlage benötigte.

Auch wenn Toussaint Louverture spätestens seit C. L. R. James’ 1935 veröffentlichtem Buch «Die schwarzen Jakobiner» zumindest in der antikolonialen Bewegung vielen ein Begriff ist, ermöglicht «Black Spartacus» einen neuen Blick. Hazareesingh hat unzählige Archive durchforstet und die sich teilweise offen widersprechenden Dokumente Toussaints neu interpretiert. Das Buch ist ein ausgezeichneter Beitrag, um dem Schwarzen Staatsmann Toussaint endlich den Platz in der Geschichte zukommen zu lassen, der ihm gebührt.

Sudhir Hazareesingh: Black Spartacus. Das grosse Leben des Toussaint Louverture. C. H. Beck, 2022. 551 Seiten. 50 Franken