Regula Bähler (1953–2022): Die Ermöglicherin

Nr. 36 –

Über viele Jahre hat die begnadete Anwältin der WOZ immer wieder aus der Patsche geholfen. Vergnügt knackte sie jeden noch so vertrackten Fall. Die Lücke, die sie hinterlässt, ist riesig. Eine Laudatio.

Regula Bähler
Immer voller Vorfreude auf eine «höllenlustige Zeit vor Gericht»: Die langjährige WOZ-Anwältin Regula Bähler. Foto: Vera Markus

Das hier ist kein Nachruf. Denn das hätte sie nicht gewollt. Sie wollte auch keine Todes­anzeige. Ja, Regula Bähler ist gestorben. Das war noch nicht abzusehen, als wir das letzte Mal telefonierten. Wir hatten noch einiges vor. Aber lassen wir das. Es macht traurig und auch ein bisschen einsam. Sie war die Anwältin, die einem das Gefühl gab, man könne viel mehr riskieren, als man sich selber zutraut.

Gerade jetzt war die Lücke für mich erstmals real spürbar. Es ging um den Text über das Edelmetall-Institut und Valcambi, die weltweit grösste Goldraffinerie (vgl. «Die Sache mit der Wissenslücke»). Ein Rechtsanwalt ist darin involviert, der als klagefreudig gilt. Über solche Menschen schreibt man nur, wenn man weiss, dass man auf der eigenen Seite auch eine Person hat, die gut mit Paragrafen kann. Und das konnte sie bigoscht.

Mit Regula an Bord konnte der WOZ nichts Schlimmes passieren.

Übrigens hat Regula auf dem Fachportal «Medialex» im März ihren letzten Text zum Thema Einschüchterungsklagen geschrieben: Finanzkräftige Firmen prozessieren gegen Medienschaffende oder Nichtregierungs­organisationen, um sie zu beschäftigen und so zum Schweigen zu bringen. Oder wie Regula es formulierte: «Denn den Medienschaffenden fehlen, ganz anders als den Klägern, die Ressourcen, um zu prozessieren: finanziell, aber auch rein zeitlich, wenn sie ihre Energie in das Unterfüttern von mehrhundertseitigen Schriftsätzen investieren müssen statt in ihre journalistische Arbeit.» Die besagte Goldraffinerie kam in ihrem Text als Beispiel vor.

Und jetzt haben wir einen Text über diesen Themenbereich – doch Regula ist nicht mehr da, um ihn wasserdicht zu machen. Zum Glück hat die WOZ neue Jurist:innen, die das jetzt für uns tun.

«Oh, ein spannender Prozess»

Ein Kollege von mir, der lange für die WOZ arbeitete und dann zur «Republik» wechselte, umschreibt das Berufsverständnis von Regula so: «Jemand sagte mir mal, es gebe zwei Typen Anwälte: Ermöglicher und Verhinderer. Regula Bähler war mit Sicherheit eine Ermöglicherin. Wenn man sie anrief und ihr einigermassen verzweifelt ein rechtliches Problem schilderte, sagte sie nie: ‹Ui, das sieht schlecht aus.› Sie sagte, fast schon vergnügt: ‹Oh, das wird ein spannender Prozess!› Oder: ‹Ich freue mich schon auf die Gerichtsver­handlung!› Dann begann sie, laut denkend, Wege aus der Patsche zu suchen, in der man wieder gelandet war: Sie änderte da ein Wort und fügte dort noch einen Halbsatz ein. Danach ging der Text in Druck – und man konnte sich sicher sein, dass er wasserdicht war. Und falls nicht, gäbe es auf jeden Fall eine ‹höllenlustige Zeit vor Gericht›.» Genau so war sie, vergnügt und fröhlich.

Ich weiss nicht, wie oft sie uns aus der Patsche half. An ­einen Fall, schon eine ganze Weile her, kann ich mich noch gut erinnern. Einer unserer Jour­nalist:innen hatte einen Riecher für Enthüllungsgeschichten, nur nahm er es mit den Recherchen nicht immer so genau. Er wurde verklagt, wir natürlich mit.

Erst viel später erzählte Regula, wie der Betreffende ihr jeweils einen riesigen Stapel Unterlagen brachte – am Abend vor dem Prozess. Ein völliges Chaos an Belegen. Sie arbeitete sich eine Nacht lang durch die Papiere, um am nächsten Tag vor Gericht überhaupt ­irgendwie argumentieren zu können. Wir hatten Glück, sie rettete uns mehrmals. Wäre sie nicht gewesen, hätte es uns mindestens einmal ökonomisch das Genick brechen ­können.

Vom Journalismus in die Juristerei

Was rückblickend erstaunlich ist: Regula war nie sauer, auch wenn jemand grobfahrlässig Mist gebaut hatte. Sie nahm es immer sportlich. Es war wie ein Spiel, das man zu gewinnen hatte oder in dem am Ende mindestens ein Unentschieden erreicht werden sollte. Auf der andern Seite standen meistens mächtige Menschen und Firmen oder unangenehme Rechte. Von denen sollte man sich nicht einschüchtern lassen und nicht vor ihnen kuschen. Das war ihre Grundhaltung. Und unsere auch.

Wenn immer eine Klageandrohung kam, analysierten wir gemeinsam die gemachten Fehler. Man muss die eigenen Fehler kennen, wenn man etwas riskieren will. Die nächste Frage lautete stets: Wie teuer kann es im schlimmsten Fall werden? Regula überschlug kurz und nannte eine Zahl. Vielleicht tausend Franken, vielleicht auch mal etwas mehr. Meistens konnten wir es uns leisten und gingen auf Risiko.

Meistens kamen wir unbeschadet raus oder mit einem akzeptablen Vergleich. Da war zum Beispiel ein Fall, der uns etwas kostete. Der Artikel war harmlos, doch ein Nebensatz enthielt einen unhaltbaren Seitenhieb. Regul­a bekam es hin, dass wir lediglich einem Tierheim einige Franken spenden mussten.

Regula war unser Netz und unser doppelter Boden. Mit ihr an Bord konnte der WOZ nichts Schlimmes passieren. Das hat auch damit zu tun, dass sie im Herzen immer noch Journalistin war. Fünfzehn Jahre lang hatte sie als Journalistin und Filmrealisatorin beim Schweizer Fernsehen und kurz auch beim «Tages-Anzeiger» gearbeitet. Aus dem Journalismus stieg sie aus, um die Kampagnenleitung für das Antirassismusgesetz zu übernehmen. 1994, nach der Abstimmung, musste sie sich entscheiden: Wollte sie weiter Polit-PR oder die Anwaltsprüfung machen? Sie entschied sich für die Juristerei.

Zeit für Beifall

Vor bald zehn Jahren erzählte Regula Bähler in der WOZ in einem Interview, warum sie sich auf Medienrech­t spezialisiert hatte: «Medienprozesse sind von einem grossen Ermessensspielraum geprägt, und es ist schwierig abzuschätzen, wie das Urteil herauskommt. Ausserdem hat der Zivilprozess das Reiz­volle an sich, dass vor dem Beweisen behauptet wird – da kannst du aus dem Vollen schöpfen, auch sprachlich. Lügen ist zwar nicht erlaubt, aber die meisten Dinge lassen sich so oder anders beschreiben. Wenn die Gegenpartei auf eine Behauptung nicht reagiert, gilt diese als unbestritten.» Das hatte sie echt drauf: aus dem Vollen schöpfen und für eine gute Sache etwas behaupten.

Im selben Gespräch gestand sie auch, dass sie vor Gericht ganz gerne einen Talar oder eine Robe tragen würde. Auf den Einwurf, Roben und Talare hätten doch etwas Affektiertes, meinte sie fröhlich lachend: Aber da könne «man alles darunter anziehen, was man möchte – selbst Bermudas». Dann fügte sie noch hinzu: «Ernsthaft: Roben verdeutlichen natürlich auch die Inszenierung, die real in den Gerichtssälen aufgeführt wird.» Das Gericht als Theaterstück des Lebens.

Der Vorhang fällt, das Stück ist aus. Es ist Zeit für Beifall. Denn das ist kein Nachruf, sondern die Laudatio, die wir dir hätten halten sollen, liebe Regula, für die beste aller Anwält:innen.

Regula Bähler erhielt Ende Mai die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs und ist Anfang August kurz nach ihrem 69. Geburtstag verstorben. Die Abdankung fand im privaten Rahmen statt.