OECD-Mindeststeuer: Herzogs Überholmanöver

Nr. 47 –

Nach Jahrzehnten des globalen Steuerwettlaufs haben es die OECD-Länder geschafft, eine bescheidene Harmonisierung zu beschliessen. Eine Koalition unter der Bundeshauskuppel versucht jedoch, diese zu sabotieren.

SP-Bundesratskandidatin Eva Herzog
SP-Bundesratskandidatin Eva Herzog: Als der Ständerat im September tagte, warb sie als Erstrednerin für den Plan der Rechten. Foto: Jean-Christophe Bott, Keystone

Die Steuerpolitik ist ein Kerngeschäft der Sozialdemokratie. Hier wird über Milliarden entschieden – über die Verteilung des Wohlstands im Land. Umso pikanter, dass ausgerechnet SP-Bundesratskandidatin Eva Herzog in der aktuell wichtigsten Steuerdebatte die Mitte-Partei mit durchgedrücktem Gaspedal rechts überholt.

Letzten Herbst hatten die Regierungen in der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), wo auch SVP-Finanzminister Ueli Maurer mit am Tisch sitzt, entschieden, einen globalen Mindeststeuersatz für Grosskonzerne einzuführen: Ab 2024 sollen Unternehmen ab einem Umsatz von über 750 Millionen Euro mindestens 15 Prozent Steuern zahlen. Der Grund: Seit 1980 haben die OECD-Regierungen die Steuern von annähernd 50 auf durchschnittlich 23 Prozent halbiert – angeheizt durch Steuerparadiese wie Luxemburg, Hongkong oder die Schweiz, die die Konzerne der anderen Länder mit noch viel tieferen Steuern abwerben, die entsprechend erhöht werden müssen.

Ein historischer Schritt

Die Folge: riesige Schulden, die inzwischen in vielen Ländern auf über hundert Prozent des Bruttoinlandprodukts geklettert sind – und bald die nächste Finanzkrise auslösen könnten. Die Steuermittel fehlen nicht nur für den dringenden Kampf gegen die Klimaerhitzung, sondern auch für den sozialen Zusammenhalt, was den Aufstieg protofaschistischer Regierungen wie jene von Giorgia Meloni in Italien befeuert.

Die grosse Streitfrage ist: Wer erhält das Geld, das in die Staatskasse fliesst?

Gerne redet man sich ein, die Schweiz sei doch der Beweis, dass man auch mit tiefen Steuern genug einnehmen könne. Dabei wissen alle, die eins und eins zusammenzählen können, dass der Wettlauf nur für wenige aufgehen kann: Zwergstaaten oder -kantone, die dank entsprechend tiefer Infrastrukturkosten mit den Steuern so tief runtergehen können, dass sie den anderen genug Konzerne abjagen. Oder glaubt jemand, es sei Zufall, dass Nidwalden die tiefsten Steuern hat?

Die von der OECD festgelegten 15 Prozent sind tief. Dass jedoch nach jahrzehntelangem Lob auf den Steuerwettbewerb überhaupt eine globale Steuerharmonisierung beschlossen wird, ist auf jeden Fall ein historischer Schritt.

Basel und Zug wollen alles

Trotz der minimalen 15 Prozent versucht eine Koalition aus FDP, SVP und linken Abweichler:innen wie Herzog, die Reform zu unterlaufen. Die grosse Streitfrage, die nach dem Ständerat der Nationalrat ab kommendem Donnerstag zu klären hat: Wer erhält das Geld, das durch die Anhebung der Steuern in die Staatskasse fliesst? 1 bis 2,5 Milliarden Franken werden es laut Bund jährlich sein. Am meisten würde gemäss einer Studie des Büros BSS in Basel anfallen, wo rund fünfzig Firmen betroffen sind: 362 Millionen Franken. Viel wird auch in Zug (323 Millionen), Aargau (252 Millionen) und Zürich (249 Millionen) zusammenkommen. Für etliche Kantone wie Bern wird ein zweistelliger Millionenbetrag erwartet, während rund die Hälfte der Kantone leer ausgeht.

Grüne, SP und auch NGOs wie Alliance Sud verlangen, dass möglichst viel der Zusatzeinnahmen an den Bund fliesst. Schliesslich sei die Steuer, die in der Verfassung verankert wird, eine Bundessteuer, argumentierte Paul Rechsteiner (SP) im Ständerat – entsprechend müssten wie üblich 78,8 Prozent davon dem Bund zukommen. Es wäre falsch, wenn vor allem ein paar wenige Tiefsteuerkantone den grössten Teil erhielten, sagt auch SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo. «Das würde die gesellschaftlichen Gräben vertiefen. Wir wollen eine gerechte Lösung.»

Da ein Grossteil der hier versteuerten Profite in den Ländern des Südens erwirtschaftet wird, fordert Alliance Sud, dass ein Teil der Zusatzeinnahmen an diese Länder zurückgegeben wird. Die SP möchte mit dem Geld dagegen Kitas finanzieren.

Die Rechte und Kantone wie Basel-Stadt oder Zug haben andere Pläne: Finanzminister Maurer schlug vor, alles Geld den Kantonen zu überlassen, was SVP und FDP begrüssten. Explizite Zustimmung erhielt Maurer auch von Neuenburg und von Herzogs Kanton Basel-Stadt. Das war selbst dem Zuger SVP-Finanzdirektor Heinz Tännler zu viel: Auf seinen Vorschlag hin einigten sich Kantone, SVP und FDP, dass die Kantone 75 Prozent der Mittel erhalten sollen.

Der Rechten und den Tiefsteuerkantonen geht es jedoch nicht lediglich um Geld. Es geht um viel mehr: Das Geld soll an die Kantone, damit sie dieses über Umwege an die Konzerne zurückschleusen können. Deshalb lobbyieren auch die Konzernverbände Economiesuisse und Swissholdings für diesen Plan. Die Liste der Geschenkideen ist lang: Während Tännler in Zug die Vermögenssteuern senken will, möchte die Basler SP-Finanzdirektorin Tanja Soland der Pharma die Forschung zahlen und den hochbezahlten Fachkräften die Steuern senken. Der Luzerner Finanzdirektor Reto Wyss (Mitte) will Firmen bei der Kapitalsteuer entlasten, während sein Waadtländer Kollege Pascal Broulis (FDP) anregt, dass Expats künftig die Kosten für die Privatschulen ihrer Kinder von den Steuern abziehen können. Kurz: Es geht darum, die OECD-Steuer, die dem jahrzehntelangen ruinösen Steuerwettlauf eine Bremse einbauen will, zu unterlaufen.

Als der Ständerat im September tagte, war es Eva Herzog, die als Erstrednerin für den Plan der Rechten warb. Die «Standortkantone», so Herzog, bräuchten einen «gewissen Handlungsspielraum», um die Konzerne an sich zu binden. FDP, SVP und ein Teil der Mitte-Partei brauchten sich ihr nur anzuschliessen. Mit Maya Graf, Adèle Thorens und Mathias Zopfi folgten auch drei von fünf Grünen dieser Linie – allerdings hüteten sie sich davor, im Rat das Wort zu ergreifen. Herzog hat auf eine Anfrage für eine Stellungnahme nicht reagiert.

Eine Niederlage nach der andern

Inzwischen hat die Mitte-Partei der Linken in der Wirtschaftskommission des Nationalrats die Hand dazu geboten, die Einnahmen je zur Hälfte auf Kantone und Bund zu verteilen – auch die GLP ist dabei. Zudem soll es eine Obergrenze geben: Die Kantone sollen nicht mehr als 400 Franken pro Einwohner:in erhalten – der Rest würde gleichmässig auf die übrigen Kantone verteilt. Ohne diesen Deckel würden allein Zug und Basel vierzig Prozent der an die Kantone fliessenden Mittel erhalten – egal wie viel an den Bund gehen würde. Zusammen hätten SP, Grüne, GLP und Mitte-Partei im Nationalrat eine komfortable Mehrheit.

Mitte-Nationalrat Markus Ritter begründet den Mehrheitsentscheid der Wirtschaftskommission so: Erstens handle es sich um eine Ergänzungssteuer des Bundes, für deren Erhebung die Verfassung angepasst werden müsse. «Da werden Bundes- und keine Kantonsmittel erhoben» – entsprechend könnten die Kantone die Steuererträge nicht per se für sich beanspruchen. «Zweitens: Wollen wir wirklich den Steuerwettbewerb weiter anheizen, indem Zug und Basel vierzig Prozent der an die Kantone ausgezahlten Mittel erhalten? Wollen wir, dass sie damit Steuern für Vermögende weiter senken?» Drittens, so Ritter weiter, werde eine unausgewogene Vorlage an der Urne nächsten Juni einen schweren Stand haben, wenn sich die SP dagegenstelle. Die Bilanz der Bürgerlichen in Steuerabstimmungen sei ja vorsichtig ausgedrückt «eher durchzogen», sagt Ritter in Anspielung auf die letzten vier Niederlagen der bürgerlichen Seite.

Die SP wolle mehr als fünfzig Prozent der Mittel für den Bund, sagt SP-Nationalrätin Birrer-Heimo – «doch der Mehrheitsantrag mit der Mitte-Partei ist ein Kompromiss, dem wir Hand bieten können». Falls daran jedoch wesentliche Abstriche gemacht würden, werde sich die SP überlegen, ob sie die Vorlage nächsten Sommer bekämpfen werde. Das Gleiche sagt auf Anfrage auch die Grüne Nationalrätin Franziska Ryser.

Bevor das Parlament über die OECD-Steuer befindet, entscheidet kommenden Samstag die SP-Fraktion über ihr Bundesratsticket. Möglich, dass die Sozialdemokrat:innen mit Herzog ausgerechnet eine Politikerin nominieren, die einen historischen Schritt zur Eindämmung des ruinösen Steuerwettbewerbs auszuhebeln versucht – und irgendwann das Finanzministerium übernehmen könnte.