Abtreibungsverbot in Malta: «Frauen sollten nicht um ihr Leben fürchten»

Nr. 50 –

Tausende haben Anfang Dezember in Malta gegen die geplante Lockerung des strikten Abtreibungsverbots protestiert. Die Frauenrechtsaktivistin Lara Dimitrijevic erklärt, weshalb in ihrem Land selbst eine kleine Liberalisierung auf grossen Widerstand stösst.

WOZ: Frau Dimitrijevic, Malta hat das restriktivste Abtreibungsgesetz in Europa. Nun will die sozialdemokratische Regierung dieses ein klein wenig lockern – und das hat in den vergangenen Wochen die grössten Proteste seit Jahren ausgelöst. Woher kommt der Widerstand?

Lara Dimitrijevic: Wir haben in Malta ein absolutes Abtreibungsverbot. Ohne Ausnahme. Das aktuelle Vorhaben der Regierung soll nur unter sehr strikten Bedingungen eine Lockerung bringen: Damit würden Schwangerschaftsabbrüche möglich, wenn das Leben einer Frau in Gefahr ist oder wenn es Komplikationen gibt, die ihre Gesundheit ernsthaft gefährden. Für mich und andere Aktivist:innen geht das nicht annähernd weit genug. Im Fall von Vergewaltigung oder Inzest bleibt eine Abtreibung verboten, genauso bei einer tödlichen Fehlbildung des Fötus. Von einem grundsätzlichen Recht auf Abtreibung braucht man erst gar nicht zu sprechen. Die Reaktion der Abtreibungsgegner:innen hat mich aber nicht überrascht, denn die katholische Kirche hat energisch gegen das Vorhaben mobilisiert. Und auch die grösste Oppositionspartei, die Nationalist Party, ist gegen die Lockerung.

Lara Dimitrijevic
Lara Dimitrijevic, Anwältin

Weshalb verfangen die Aufrufe zum Protest?

Weil es in Malta sehr lange gar nicht möglich war, über Abtreibungen zu sprechen. Das ist tabu. Bis heute dominiert der Gedanke, eine Frau, die schwanger wird, habe keine Wahl. Abtreibungsgegner:innen sehen die Mutterrolle als etwas Heiliges, diese Vorstellung ist tief verankert. Von Frauen wird erwartet, Kinder zu gebären, grosszuziehen und dafür, wenn nötig, ihren Job aufzugeben. Das geht auf unsere katholischen Wurzeln zurück.

Hat die katholische Kirche noch grossen Einfluss?

Sie verliert ihn zunehmend, aber sie ist immer noch eine sehr starke Institution. Hinzu kommt, dass wir auf einer kleinen Insel leben, abgeschieden von Kontinentaleuropa. Lange hatten die Menschen hier kaum Zugang zu anderen Vorstellungen oder Erfahrungen. Das hat sich erst mit den sozialen Netzwerken geändert. Wir von der Women’s Rights Foundation waren 2018 die Ersten, die öffentlich die Entkriminalisierung von Abtreibungen gefordert haben. Seitdem ist einiges in Gang gekommen. Die Regierung hat erkannt, dass wir nicht mehr so weitermachen können. Das hat diesen Sommer auch der Fall einer US-amerikanischen Touristin verdeutlicht.

Sie sprechen von Andrea Prudente?

Ja. Sie war im vierten Monat schwanger und mit ihrem Partner für die Ferien nach Malta geflogen. Kurz nach der Ankunft bekam sie Blutungen und verlor ihr Fruchtwasser. Im Spital sagte man ihr, ihr Kind habe keine Überlebenschancen. Für sie selbst bestand das Risiko einer möglicherweise tödlichen Infektion. Aber weil das Herz des Fötus noch schlug, durften die Ärzt:innen die Schwangerschaft nicht beenden. Prudente war dabei, ihr Kind, das sie unbedingt gewollt hatte, zu verlieren, und musste noch dazu um ihre eigene Gesundheit fürchten. Letztlich wurde sie nach Mallorca evakuiert, wo sie die Schwangerschaft beenden konnte.

Wie haben die Menschen in Malta darauf reagiert?

Sehr unterschiedlich. Der Fall hat andere Frauen dazu gebracht, von ähnlichen Erlebnissen zu erzählen. Zugleich behaupteten Abtreibungsgegner:innen, die Geschichte sei frei erfunden, eine Inszenierung, um das Abtreibungsverbot zu schwächen.

In der aktuellen Debatte argumentieren Gegner:innen der Reform, dass Ärzt:innen sehr wohl schon heute eingriffen, wenn das Leben einer Schwangeren bedroht sei.

Bei akuter Lebensgefahr lassen sie eine Frau nicht sterben, das stimmt. Aber der Sinn der Gesetzesänderung ist ja, dass Frauen nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen, bevor die Ärzt:innen handeln können.

Könnte die Regierung ihr Vorhaben noch zurückziehen?

Darauf deutet nichts hin. Sie dürfte aber ein Protokoll hinzufügen, das etwa regelt, ab wann eine Situation als kritisch gilt und wie viele Ärzt:innen das feststellen müssen.

Gibt es Daten dazu, wie viele Frauen in Malta trotz des strikten Verbots abtreiben?

Zwischen 300 und 400 Frauen kaufen jedes Jahr online Abtreibungspillen – und riskieren so bis zu drei Jahre Haft. Manche reisen auch nach Grossbritannien, in die Niederlande, nach Spanien oder Italien, vor allem bei gesundheitlichen Problemen oder Missbildungen des Fötus. In manchen Fällen sagen maltesische Ärzt:innen diesen Frauen sogar, in welches Spital sie im Ausland gehen sollen.

Wie ist es für Sie, in diesem polarisierten Klima für das Recht auf Abtreibung einzutreten?

Ich habe Drohungen bekommen, Nachrichten, in denen es hiess, man habe eine Kugel für mich reserviert. Die Reifen meines Autos wurden aufgestochen, und einmal lag eine Kugel vor meiner Haustür. Aber zugleich haben die Leute begonnen, sich an dem Diskurs zu beteiligen. Es wird heute viel über Abtreibung diskutiert. Das ist positiv.

Lara Dimitrijevic (44) ist Anwältin und Gründerin der Women’s Rights Foundation, die sich für Frauenrechte in Malta starkmacht. Sie vertritt Andrea Prudente, die nach ihrem lebensbedrohlichen medizinischen Notfall Klage gegen die maltesische Regierung eingereicht hat.