Abrüstung: Spiel auf Zeit statt Haltung

Nr. 25 –

Die Atommächte rüsten derzeit stark auf. Die Lösung liegt auf der Hand: ein globales Atomwaffenverbot. Aber selbst die Schweiz blockiert dieses.

Letzte Woche prahlte der belarusische Diktator Alexander Lukaschenko im russischen Staatsfernsehen damit, dass erstmals taktische Atomwaffen aus Russland in seinem Land stationiert seien – «Bomben, die dreimal explosiver sind als jene von Nagasaki und Hiroshima». Bereits im März hatte der russische Präsident Wladimir Putin eine solche Stationierung angekündigt. Auch wenn bisher Beweise für diesen Vorgang fehlen, ist die Ankündigung nun eine weitere Stufe der nuklearen Eskalation, die Putin seit Kriegsbeginn befeuert.

Sich selbst erhaltendes System

Im Westen hat Lukaschenkos Auftritt kaum für Aufsehen gesorgt, was die belarusische Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja scharf kritisierte. In einem Gespräch mit der britischen BBC sagte sie in ihrem Warschauer Exil, diese Stationierung stelle zwar «keine neue Bedrohung für die Nato-Länder dar, weil russische Atomwaffen in der Exklave Kaliningrad bereits in Reichweite Polens und der baltischen Staaten stehen». Die westlichen Länder würden keinen Unterschied zwischen einer von Russland oder von Belarus abgefeuerten Rakete sehen. «Aber Belarus ist unser Land, und wir wollen keine Atomwaffen. Nur so können wir künftig unsere Unabhängigkeit von Russland bewahren. Und Sie im Westen schweigen dazu», monierte Tichanowskaja.

Zweifellos spielt Russland mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den ständigen nuklearen Drohgebärden eine besonders verheerende Rolle, aber die Problematik bei Atomwaffen ist grundsätzlicher. Seit über einem Jahrzehnt befinden sich die fünf offiziellen Atommächte USA, China, Russland, Grossbritannien und Frankreich wie auch die vier inoffiziellen – Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea – in einem unkoordinierten Wettrüsten. Anfang Monat publizierte die Internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen (Ican) dazu eine Studie: Allein letztes Jahr flossen 83 Milliarden US-Dollar in die nukleare Aufrüstung der Atommächte, über die Hälfte davon in den USA. «Das Zusammenspiel von Regierungen, Atomwaffenproduzenten und Lobbyorganisationen, die ein sich selbst erhaltendes System bilden, ist höchst erfolgreich», sagt Ican-Campaigner Florian Eblenkamp.

Schon lange warnen Dutzende Länder, vor allem im Globalen Süden, vor einer zunehmenden nuklearen Eskalation. Gemeinsam mit unzähligen NGOs und Aktivist:innen initiierten sie 2007 eine Ican-Kampagne und führten diese zu einem grossen Erfolg. Zehn Jahre später verabschiedete die Uno-Generalversammlung den sogenannten Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW). Damals stimmten 122 Staaten dafür, darunter auch die Schweiz. Seit 2021 ist der TPNW offiziell in Kraft, die Ican erhielt schon 2017 den Friedensnobelpreis. «Die Situation ist zurzeit etwas paradox», sagt Eblenkamp. Auf der einen Seite sei das Bewusstsein für die Problematik durch den Krieg gegen die Ukraine stark gestiegen, «andererseits sind die politischen Diskussionen gerade in Europa viel schwieriger geworden». Fast überall gehe es derzeit um Aufrüstung. «Wir erleben eine Militarisierung von Sprache und Politik.»

Drohgebärde der Nato

Auch wenn der Atomwaffenverbotsvertrag kurzfristig keinen Krieg stoppen könne, zeige sich bereits jetzt seine normative Wirkung, sagt Eblenkamp: «Vor einem Jahr haben die TPNW-Staaten eine Erklärung verfasst, dass Drohungen mit Atomwaffen unter allen Umständen inakzeptabel sind. Diese Formulierung hat später die G20 weitgehend übernommen: Nukleare Drohungen sind unzulässig. Der Vertrag wirkt auch auf Staaten, die noch nicht beigetreten sind.» Dass ihn ausgerechnet die neutrale Schweiz nicht ratifiziert, kann er nicht nachvollziehen, «zumal das Land die Ausarbeitung des Vertrags lange Zeit eng begleitet und unterstützt hat».

Tatsächlich gibt es sogar einen klaren parlamentarischen Auftrag, den TPNW zu ratifizieren. Schon 2018 nahmen sowohl der National- als auch der Ständerat eine entsprechende Motion des Genfer SP-Ständerats Carlo Sommaruga klar an, der «Risiken für die sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz» geltend machte. Nach der Annahme der Motion spielte das federführende Aussendepartement (EDA) von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis auf Zeit. Eine damals versprochene «Auslegeordnung» ist bis heute nie erschienen. Nun ist aber endlich «ein Entscheid in Vorbereitung», inklusive eines «Berichts zur Neubeurteilung», wie das EDA informiert.

Die Bedeutung dieses bundesrätlichen Entscheids ist gross, weil er die Schweiz geopolitisch verorten wird: Entweder gehört sie zur globalen Abrüstungsallianz, die entschieden für eine atomwaffenfreie Welt kämpft – oder sie wird zur Vasallin der Atommächte und ihres nuklearen Aufrüstungswettlaufs. Wie der «Tages-Anzeiger» am Mittwoch berichtete, steigt der innenpolitische Druck für den TPNW-Beitritt: Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats hat den Bundesrat mit erstaunlich grosser Mehrheit dazu aufgefordert. Aus dem Ausland weht ein anderer Wind. So hat «Le Temps» im Frühjahr herausgefunden, dass die Nato und die Atommacht Frankreich dringend von einem Beitritt abraten.