Italien: Kulturkampf auf «Tele Meloni»

Nr. 44 –

Seit einem Jahr regieren die rechtsextremen Fratelli d’Italia in Rom. Premierministerin Giorgia Meloni und Co. attackieren zunehmend missliebige Kulturinstitutionen.

Saal der Oper Scala in Mailand
Soll nur noch von Italiener:innen geleitet werden dürfen: Die Scala in Mailand.    Foto: Eddy Buttarelli, Getty

«Wem gehört Italien?» – «Uns!» So klang es vor über hundert Jahren auf Italiens Strassen und Plätzen, als Faschist:innen den «Marsch auf Rom» feierten. Die seit dem 22. Oktober 2022 regierende Koalition aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia verzichtet auf ähnliche Rituale. Geräuschlos allerdings agieren Mussolinis Erb:innen beim Versuch, ihre Macht zu zementieren, nicht. Denn sie wollen alles: nicht nur den Zugriff auf die Staatsgewalt, sondern auch die kulturelle Hegemonie. Um auch die zu erobern, müssen sie allerdings stark nachhelfen.

Beispielhaft zeigt das der Versuch, den Leiter des Ägyptischen Museums in Turin, Christian Greco, loszuwerden. Mit ihm hat die italienische Rechte noch eine Rechnung offen. 2018 hatte er arabisch sprechenden Menschen zwei Museumsbesuche zum Preis von einem ermöglicht. Viele der in Turin gezeigten Exponate haben italienische Archäologen vom Nil nach Italien verschleppt. Im kommenden Jahr, wenn das Museum seinen 200. Geburtstag feiert, wäre es eigentlich an der Zeit, auch die Rückgabe dieser Beutestücke in die Wege zu leiten. Um diese Diskussion erst gar nicht aufkommen zu lassen, geht die Rechte in die Offensive. Andrea Crippa, Vizesekretär der Lega, kam nun nach fünf Jahren erneut auf Grecos Rabattaktion (die nur eine unter mehreren war) zu sprechen: Diese sei «ideologisch und rassistisch gegenüber den Italienern» gewesen.

Angriff auf die Rai

Auch Giorgia Meloni sah 2018 in dem Fall «antiitalienischen Rassismus» und ein Beispiel für die «geistige Schwäche des Okzidents». Ein vor fünf Jahren aufgenommenes Video, das sie vor dem Museum im Streitgespräch mit Greco zeigt, macht nun im Netz erneut die Runde. Während Meloni nun beteuert, sie habe niemals die Abberufung des Museumsleiters gefordert, drängt der Lega-Hardliner Crippa den Kulturminister zum Handeln: «Wir tun alles, um ihn [Greco] fortzujagen, und fordern den Kulturminister Gennaro Sangiuliano auf, ihn fortzujagen, wenn er nicht selber geht.» Bislang hat Greco seinen Gegner:innen diesen Gefallen nicht getan. Sollte er seinen Job verlieren, werde er eben als Kellner Cappuccino servieren, sagte er betont gelassen.

Auch gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Rai, hat die Rechte eine Attacke gestartet – und die ist schon weitgehend abgeschlossen. Parteigänger der Rechten wurden als Direktoren der wichtigsten Nachrichtensendungen im ersten und zweiten Fernsehprogramm eingesetzt. Das hat Folgen. Denn die halbstündige 20-Uhr-Tagesschau auf Rai 1 ist laut Umfragen für Millionen Italiener:innen die wichtigste politische Informationsquelle. Wegen der Umbesetzungen sprechen Kritiker:innen nun von «Tele Meloni».

Unterdessen verordnete Kulturstaatssekretär Vittorio Sgarbi ein neues Kriterium für Stellenbesetzungen: die Staatsangehörigkeit. Wichtige Kultureinrichtungen wie die Mailänder Scala oder die Uffizien in Florenz müssten zwingend von Italiener:innen geleitet werden. Ernannt werden sollen diese von den Ministerien für Kultur, Bildung, Hochschulen und Wirtschaft. Auch das Kino will die Regierung kontrollieren, darunter Institutionen wie die Filmfestspiele von Venedig, das Experimentelle Zentrum für Kinematografie in Rom und die Bildungsfilm-Union des Istituto Luce, der Filmstudios von Cinecittà.

Angesichts der Neubesetzung lukrativer Schlüsselpositionen erinnerte die Wochenzeitschrift «L’Espresso» an einen zynischen Spruch aus der Zeit der christdemokratischen Herrschaft, der auf den aufgeblähten Staatsapparat anspielte: «Wir haben mehr Sessel als Ärsche.» Heute dagegen scheint es an «Ärschen» nicht zu mangeln. Qualifikation spielt keine Rolle. Wer fachfremd befördert wird, findet ideologische Orientierung bei der Regierungschefin. Die hat ihre Fans jüngst mit einem weiteren Buch beschenkt: «La versione di Giorgia» (Giorgias Version) heisst das 270 Seiten starke Werk, das an ihren Bestseller «Io sono Giorgia» (Ich bin Giorgia) von 2021 anschliesst. Entstanden ist es in Kooperation mit dem Journalisten Alessandro Sallusti. Er hat Meloni nach ihrem Amtsantritt mehrfach interviewt, dabei allerdings eher Stichworte geliefert als kritische Fragen gestellt.

Plaudern mit der Neofaschistin

Gleichwohl haben einflussreiche Multiplikator:innen das Buch positiv aufgenommen; die Zeitungen «Corriere della Sera», «La Stampa» und «Il Foglio» druckten sogar Auszüge. Schon am Anfang stellt Meloni klar, dass sich ihre Überzeugungen nicht geändert hätten. Allenfalls sei ihr Ton ein anderer geworden; offenbar verlangen das Amt und die damit verbundene öffentliche Aufmerksamkeit Zugeständnisse. Zumal die «von links dominierten» Medien zutiefst unfaire Mittel verwendeten, wie Meloni behauptet: nämlich Propaganda und Fake News, um sie und die gesamte Rechte zu dämonisieren. So würden die Menschen indoktriniert, und das mindestens seit dem verhängnisvollen Jahr 1968. Dessen schlimmste Langzeitwirkung sei die Abkehr vom Leistungsprinzip.

Sie dagegen bringe täglich Opfer für die «Nation» – ihr inflationär verwendetes Lieblingswort. Manchmal ersetzt sie es auch durch «Vaterland»: Es sei «kein Zufall, dass die Linke von ‹Land› [paese] spricht und nicht von ‹Nation› [nazione] oder ‹Vaterland› [patria]. Die Bedeutung des Wortes ‹Vaterland› ist: ein Territorium, das von einem Volk bewohnt wird und dem sich jedes seiner Mitglieder durch Geburt, Sprache, Kultur, Geschichte und Traditionen zugehörig fühlt.»

Damit bleiben selbst Migrant:innen, die seit vielen Jahren in Italien leben, aus der nationalen Gemeinschaft ausgeschlossen. Um zu begründen, dass Zuwanderung eine Bedrohung darstelle, bedient sich Meloni beim Standardrepertoire der identitären Rechten, der Verschwörungstheorie vom planmässig betriebenen Bevölkerungsaustausch. Davon hatte im April auch ihr Parteifreund, Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, schwadroniert und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Die Polemik gegen ihn habe sie irritiert, erklärt Meloni nun, denn Lollobrigida, der zugleich ihr Schwager ist, habe doch nur Italien «vor dem Risiko eines Bevölkerungsaustauschs» schützen wollen.

Auf Einwände verzichtet der Interviewer. Auch Melonis Verhältnis zum historischen Faschismus thematisiert er nur pro forma. Er «komme nicht umhin», diese Frage zu stellen. Meloni antwortet mit einem Angriff auf die Linke. Diese habe, anders als «wir», die eigene Vergangenheit nicht aufgearbeitet.

Wer gegen solch aggressive Geschichtspolitik die historische Wahrheit verteidigt, muss mit Gegenwind rechnen – und womöglich seinen Posten räumen. Zum Beispiel werden befristete Arbeitsverträge in der staatlichen Kulturindustrie nicht verlängert; Nachfolger:innen aus der Reihe der Rechten sind schnell gefunden.

Jurist:innen solidarisieren sich

Auf regionaler Ebene geschieht das ohne grosses Aufsehen. Anders verhält es sich mit Angriffen auf die Unabhängigkeit der Justiz, so im Fall der bis vor kurzem weitgehend unbekannten Amtsrichterin Iolanda Apostolico aus Catania. Sie hatte es gewagt, mehrere tunesische Asylbewerber aus der Abschiebehaft zu entlassen – im Einklang mit internationalem Recht. Meloni und Lega-Chef Matteo Salvini tobten, aus den Reihen der Carabinieri tauchte ein Video auf, das die Richterin im August 2018 bei einer Demonstration zeigt: gegen die vom damaligen Innenminister Salvini verfügte Blockade eines Schiffes der italienischen Küstenwache, der «Diciotti», mit 190 Geflüchteten an Bord.

Die mit der Kampagne gegen Apostolico bezweckte Einschüchterung der Richter:innenschaft blieb erst einmal aus. Hunderte Jurist:innen solidarisierten sich. Auch prominente Kulturschaffende wie der Regisseur und Schauspieler Nanni Moretti oder der Publizist Roberto Saviano setzen sich gegen den Wind von rechts zur Wehr. Unterstützung finden sie bei der Generalsekretärin des Partito Democratico, Elly Schlein. Die Politik der Rechten beruhe auf der Vorstellung, Institutionen und Kultur seien ihr Eigentum. «Das können wir nicht akzeptieren», sagt Schlein.