Wein aus Südafrika: Goldene Etiketten, dreckige Arbeit

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Immer wieder protestieren Bettie Fortuin und ihre Kolleg:innen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in den Weinbergen Südafrikas. Nun will die EU strenge Lieferkettengesetze einführen. Wird der Wein, der in Europas Supermärkten landet, in Zukunft fair produziert sein?

Arbeiter:innen bei der Weinernte
Wo Tourist:innen Ferien in der Idylle machen, kann der Eintritt in eine Gewerkschaft ein Kündigungsgrund sein. Und mit der Arbeit verlieren die Menschen oft auch die Unterkunft auf dem Farmgelände.

Die Farmarbeiterinnen haben sich vorbereitet. Mit Sonnenhüten, Trillerpfeifen und Plakaten stürmen sie auf den von Reben umsäumten Flachbau zu. Sie sind laut, sie sind wütend, und ihre Wut hat auch etwas mit Supermärkten zu tun, die zehn Flugstunden von hier entfernt Wein verkaufen. Mit den Lieferketten dieser Märkte. Damit, worauf ihre Importeure achten. Und worauf nicht.

Es sind etwa fünfzig Frauen, die an einem Morgen im März auf die Traubenfarm bei der Kleinstadt De Doorns in Südafrika gekommen sind, um zu protestieren. Sie rütteln am mit Stacheldraht umwickelten Zaun, der den Betrieb schützt. «Diese Leute behandeln uns wie Tiere», brüllt die kleinste der Frauen und drängt sich nach vorne. Das Megafon in ihrer Hand knistert.

Bettie Fortuin, in Spitzenrock und Turnschuhen, ist die Sprecherin ihrer Gemeinde. Seit sie dreizehn Jahre alt war, erntet die heute Sechzigjährige Trauben für den Weltmarkt. Ihr Handy klingelt, wenn Arbeiter:innen krank werden und die Farmbesitzer:innen ihnen deshalb das Gehalt kürzen. Oder wenn die Arbeiter:innen klagen, dass sie mal wieder keinen Lohn bekämen. So wie auch an diesem Freitag.

Eigentlich ist heute Zahltag in der 12 000-Einwohner:innen-Gemeinde De Doorns. Ein Tag, an dem Männer und Frauen in blauen Arbeitsoveralls ausgelassen von Lkw-Ladeflächen springen und sich lange Schlangen vor Geldautomaten und Läden bilden. Seit drei Wochen aber seien die Arbeiter:innen nicht bezahlt worden, behaupten die Frauen, die am Zaun rütteln. Es sei nicht das erste Mal.

Kein Wasser, kein Geld

«Komm heraus!», ruft Bettie Fortuin an diesem Freitag ins Megafon. Aber die Managerin der Farm kommt nicht, sie verständigt die Polizei. Als ein Beamter eingetroffen ist, baut sich Fortuin mit verschränkten Armen vor ihm auf: «Unsere Kinder sind hungrig, sie brauchen etwas zu essen, sie müssen in die Schule, aber ihre Eltern haben kein Geld.» Die Arbeiter:innen hätten nicht einmal Zugang zu Trinkwasser. «Das ist ein Menschenrecht», sagt Fortuin.

Die Anschuldigungen lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Auf Anfrage weist die Managerin sie zurück. Man habe den vollen Lohn gezahlt. Es habe nie länger als drei Wochen gedauert, bis die Zahlungen bei den Mitarbeiter:innen eingegangen seien. Sollte es doch einmal Verspätung gegeben haben, sei das, weil Arbeiter:innen ihr Konto gewechselt hätten.

Bettie Fortuin mit einem «Stop Farm Worker Evictions»-T-Shirt
Bettie Fortuin wird «Mama» genannt, denn als Sprecherin ihrer Gemeinde kümmert sie sich um die Anliegen ihrer Kolleginnen.

Die Polizei ist nicht zum ersten Mal auf einer der Weinfarmen von De Doorns. Meist wird sie von Arbeiter:innen gerufen, die über Verstösse gegen das Recht klagen. Und die später sagen, dass sich trotzdem nichts geändert habe. Auch diesmal wird der Polizist Bettie Fortuin in den folgenden Tagen immer wieder am Telefon vertrösten. Ihm seien die Hände gebunden. Erst Wochen später wird er es schaffen, die Besitzer:innen der Farm, die Protestierenden und die Arbeitsinspektion an einen Tisch zu bekommen. Im September werden die Arbeiterinnen wieder vor seinem Büro stehen und protestieren. Es seien nur kleine Veränderungen, die umfassenden blieben aus, wird Fortuin im Dezember frustriert sagen. Glaubt man ihr, haben die wenigsten Arbeiter:innen einen ordentlichen Vertrag, den sie vor einem Gericht einklagen könnten. Die Frauen, die an diesem Morgen protestieren, erwarten nicht mehr viel von den südafrikanischen Behörden.

Aber könnte Hilfe nicht aus den Ländern kommen, in denen ihre Trauben gegessen und die daraus gekelterten Weine getrunken werden? Könnten nicht Importeure oder Supermärkte in Europa etwas für sie tun? In Deutschland müssten sie es eigentlich schon, auch in Frankreich. In der Schweiz gilt seit 2022 gerade mal eine «Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit».

Weiter als die Kovi

Immer mehr Länder arbeiten an sogenannten Lieferkettengesetzen. Sie sollen Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen, Arbeitsrechts- und Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferketten zu verhindern. Während die Arbeiter:innen vor dem Weingut protestieren, wird in Brüssel an einem Vorschlag für ein Gesetz über Nachhaltigkeitspflichten gefeilt.

Im Sommer 2023 stimmt das EU-Parlament dann für die sogenannte Corporate Sustainable Due Diligence Directive (CSDDD). Sie geht noch weiter als viele Lieferkettengesetze, auch als die Schweizer Konzernverantwortungsinitiative (Kovi), die 2020 am Ständemehr scheiterte. Demnach muss jedes Unternehmen, das in die EU exportieren will, Risikoanalysen verfassen und Beschwerdewege einrichten. Die Einhaltung wird kontrolliert.

Mitte Dezember 2023 einigen sich die EU-Kommission, der Ministerrat und das EU-Parlament auf die Ausgestaltung des Lieferkettengesetzes. Nach einer sechzehnstündigen Sitzung steht ein Kompromiss für eine Gesetzesinitiative, die laut der NGO Initiative Lieferkettengesetz an entscheidenden Stellen über das deutsche Gesetz hinausgeht. Es sei ein Meilenstein für den Schutz von Menschen und Umwelt in den globalen Lieferketten, schreibt die Organisation, die die Erarbeitung des Gesetzes in Deutschland massgeblich angestossen hatte. Kritisch sieht Pirmin Spiegel, der Geschäftsführer der NGO Misereor, dass Finanzmarktgeschäfte von der EU-Richtlinie zunächst nicht erfasst werden sollen. Die Vorgaben zum Klimaschutz seien ausserdem unzureichend, schreibt Misereor im Dezember 2023.

Arbeiterinnen werden auf einem LKW von den Farmen nach De Doorns gefahren
Freitags wird der Lohn ausbezahlt – manchmal. Arbeiterinnen werden von den Farmen nach De Doorns gefahren.

Wird der Entwurf umgesetzt, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht zu übersetzen. Für die Protestierenden in De Doorns könnte ein EU-weites Lieferkettengesetz bedeuten, dass sie auch ausserhalb Südafrikas die Möglichkeit hätten, sich zu beschweren.

Das jedenfalls ist die Theorie – die Praxis ist komplizierter.

Auf der Farm in De Doorns hat sich der Protest inzwischen aufgelöst, die Frauen steigen in einen Kleinbus. Die Reben ziehen sich den Strassen entlang, in sie eingebettet liegen schneeweisse Weingüter, viele seit Generationen in Familienbesitz. Bettie Fortuin lebt nicht weit entfernt von dieser idyllischen Route – und doch in einer anderen Welt.

Auf einem Hügel säumen Wellblechhütten staubige Strassen. Viele Arbeiter:innen, auch solche, die von den Weingütern vertrieben wurden, haben sich hier aus Brettern und Planen Unterkünfte gebaut. Plastikverpackungen wehen aus dem vertrockneten Flussbett. Fliessendes Wasser haben die wenigsten.

Die Nachbar:innen nennen Bettie Fortuin «Mama», weil sie eine ist, die sich kümmert. Ihr Wohnzimmer hat etwas von einer Gewerkschaftszentrale. Die Trillerpfeife noch um den Hals, verteilt Fortuin Gabeln für das Mittagessen. Die Demonstrantinnen sinken erschöpft in Plastiksessel.

Bettie Fortuin mit ihrer Enkelin und Nachbarskindern vor ihrem Haus
Bettie Fortuin mit ihrer Enkelin und Nachbarskindern vor ihrem Haus. Dieses ist eine Art Gewerkschaftszentrale.

Südafrikas Weinindustrie hat eine schwierige Vergangenheit. Während der Apartheid wurden Arbeiter:innen teils mit Schnaps und Wein bezahlt, Ursache für häufigen Alkoholmissbrauch. Unterkunft, Gesundheitsversorgung, Verpflegung: Bei allem waren sie von weissen Farmbesitzer:innen abhängig. In vielen Betrieben bestehen solche Abhängigkeitsverhältnisse weiter. Die Arbeiterinnen, die sich in Fortuins Wohnzimmer versammeln, sagen, sie würden als Schwarze Frauen diskriminiert. Sie berichten von Drohungen, mangelnder Gesundheitsversorgung und fehlenden Toiletten.

Arbeiterinnen fühlen sich noch häufiger ausgeliefert als ihre männlichen Kollegen. Anders als diese werden sie meist nur als Saisonkräfte eingestellt. Und wenn sie gemeinsam mit ihren Männern eine Unterkunft auf dem Farmgelände beziehen dürfen, läuft der Mietvertrag über den Mann – eine Frau, die sich trennt, verliert auch ihr Dach über dem Kopf. Das sei der Nährboden für geschlechterspezifische Gewalt, sagt Fortuins Schwester Magrieta Prins.

Die gängige Verquickung von Arbeit und Bleibe macht aber auch Männer abhängig. Viele hätten Angst, sich öffentlich zu beschweren, sagt Ryno Filander, Vorsitzender der Agrargewerkschaft CSAAWU. Wenn sie die Arbeitsbedingungen kritisierten, riskierten sie nicht nur ihren Job, sondern auch ihre Unterkunft. Oft müsse er die Arbeiter heimlich treffen. Für manche bedeute der Eintritt in eine Gewerkschaft die Kündigung.

einfache Hütten, welche den Arbeiter:innen als Behausung dienen
Die meisten Arbeiter:innen leben in einfachen Hütten. 

Welcher Wein kommt woher?

Filander hat sich an einem Regentag vom Weingut, auf dem er arbeitet, auf überfluteten Strassen nach Kapstadt gekämpft. Drei Stunden Fahrt trennen die beiden Welten, zwischen denen sich Filander bewegt. Dort die Elendsquartiere – hier das Hotel an einer Strandpromenade mit einem künstlichen Kaminfeuer im Foyer. Viele der Arbeiter:innen, die der Gewerkschafter auf den Feldern trifft, haben noch nie ein solches Hotel von innen gesehen. An diesem Tag trifft er sich mit Gewerkschaftsvertreter:innen aus aller Welt. Mit einigen Einzelhandelskonzernen sass er schon am Tisch. «Wir hier fokussieren auf eure Standards» – eure Standards, in Europa, viele Kilometer entfernt und doch entscheidend.

Er glaubt: Wenn die Konsument:innen im Supermarkt Wein aus Südafrika aufs Band legen, haben sie im Kopf ein Bild von einem Land in der Sonne, einer halbwegs stabilen Volkswirtschaft, fairen Arbeitsbedingungen. «Es sieht aber komplett anders aus, wenn du dorthin gehst, wo die Trauben wachsen», sagt Filander. «Die Arbeiter trinken das Wasser aus denselben Brunnen wie die Tiere.»

Gewerkschaftspräsident Ryno Filander
Gewerkschaftspräsident Ryno Filander versucht durchzusetzen, dass europäische Standards in Südafrika auch eingehalten werden.

Ein Grossteil der Importware wird kostengünstig in grossen Tanks verschifft und erst im Zielland abgefüllt. Deutschland ist einer der grössten Importeure von Tankwein weltweit. Seine Discounter verkaufen den Wein zum Teil innerhalb Europas weiter. Ginge es nach dem deutschen Lieferkettengesetz, das seit 2023 in Kraft ist, müssten sich Unternehmen ab einer bestimmten Grösse ihre gesamte Kette bis hin zu den Farmen ansehen. «Aber wie soll das gehen?», fragt sich Filander.

Wer versucht, den Weg der Trauben aus De Doorns zu verfolgen, stösst auf Unternehmen, die sich nicht äussern möchten. Auf eine Lieferkette, die sich nur schematisch durch die Aussagen von Experten, Arbeiterinnen und Aktivisten rekonstruieren lässt.

Die Weinkellereien in der Kapregion sind Kooperativen, die meist seit Jahrzehnten von den gleichen Familien geführt werden. Die Weintrauben aus dem Tal würden von Lastwagen abgeholt, in die Weinkellerei De Doorns Cellar gebracht und dort grob verarbeitet, erklärt Carmen Louw, Arbeitsrechtsaktivistin aus der Industriestadt Paarl. Das Unternehmen liefert nach eigenen Angaben vor allem Tankwein an «bekannte Wein- und Spirituosenhersteller» – welche, will es nicht offenlegen.

Die Wijnbouwers Vereniging van Zuid-Afrika, kurz KWV, ist der zweitgrösste Weinproduzent Südafrikas. In den achtziger Jahren, während der internationalen Sanktionskampagne gegen das südafrikanische Apartheidregime, stieg KWV zu einem der wichtigsten Weingrosshändler der Welt auf. Das Unternehmen verschiffte tankweise südafrikanischen Wein mit verschleierter Identität nach Europa. In Deutschland wird KWV-Wein heute über die Firma Eggers & Franke vertrieben, einen der führenden Weinhändler des Landes, seit 2018 Teil des Sektriesen Rotkäppchen-Mumm.

Unter dem Namen Golden Kaan verkaufte auch Denner in der Schweiz günstigen Rosé-, Rot- und Weisswein von KWV. Auf dem Etikett der afrikanische Kontinent in Gold und der Verweis: «Wein vom Westkap». Für Konsument:innen ist es unmöglich, die genaue Herkunft des Weines zu erkennen.

Arbeiterinnen auf einer Fairtrade-Farm bei der Trauben-Ernte
Arbeiterinnen auf einer Fairtrade-Farm.

Auf die Frage, ob Eggers & Franke die Herkunft der Weine kenne, schreibt eine Sprecherin: «Über deren Produktion kann ich Ihnen keine Auskunft geben.» Nur so viel: «Wir handeln im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Regeln.» Denner hat laut eigenen Angaben keinen Wein der Eigenmarke KWV mehr im Sortiment. Der Discounter verkauft aber unter dem Namen Divine Hope Wein, den das französische Unternehmen Paul Sapin aus Südafrika importiert und in Frankreich in Flaschen oder Kartons abfüllt. Von welcher Farm er ursprünglich kommt und unter welchen Bedingungen er produziert wurde, ist vor dem Supermarktregal kaum mehr erkennbar. Auch die Migros-Tochter Denner lässt die Frage unbeantwortet, wie sie die Weine aus Südafrika bis zu ihrem Ursprung zurückverfolge.

«Der Aufwand für die Supermärkte ist immens», sagt Hartmut Henninger. Die Kanzlei Graf von Westphalen, für die der Rechtsanwalt arbeitet, berät Unternehmen zu den Anforderungen, die das Lieferkettengesetz in Deutschland schon seit Beginn des Jahres stellt. Es hat bereits Signalwirkung für seine Nachbarländer. Eine mögliche EU-Richtlinie würde auch die Schweizer Wirtschaft stark betreffen, schrieb das Schweizer Bundesamt für Justiz noch vor Abschluss der Verhandlungen zum EU-weiten Lieferkettengesetz, da rund sechzig Prozent der Schweizer Exporte in die EU fliessen.

Für Unternehmen könnte ein EU-weites Gesetz noch strengere Anforderungen bedeuten, erklärt Henninger. Nach dem Entwurf hätten Betroffene wie die Arbeiterinnen in De Doorns die Möglichkeit, gegen Unternehmen zu klagen – theoretisch, denn sie müssen wissen, welches Unternehmen in Europa ihre Rechte verletzt. Wenn Unternehmen aber gar nicht wissen wollen oder können, woher die Trauben in ihrem Wein sind, wie sollen Betroffene die Lieferketten zurückverfolgen können? Viele praktische Fragen seien noch offen, sagt Henninger.

Bettie Fortuin und ihre Kolleginnen könnten vom EU-weiten Lieferkettengesetz profitieren, von den Standards aus Europa, auf die auch Ryno Filander hofft. Zumindest wenn es wirklich gelänge, dass Arbeiter:innen überall auf der Welt wissen, welche Firmen auf dem europäischen Kontinent ihre Produkte vertreiben. Und wo sie ihre Rechte einklagen können. Bisher scheitern viel zu viele daran, dass sie zu wenig wissen. «Bei wem», fragt Bettie Fortuin, «sollen wir uns denn beschweren?»

Dieser Text erschien 2023 in einer anderen Version im «Stern». Die Recherche wurde vom European Journalism Centre und der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt. Die Artikel entstehen ohne redaktionellen Einfluss der Stiftung.