Bruno Deckert (1949–2024): Mit der Neugier des Kosmonauten
Zum ersten Mal bin ich Bruno Deckert vor zwanzig Jahren begegnet – er war Wirt und Buchhändler im «Sphères». Dass er damals an seiner Dissertation mit dem bei Bob Dylan entlehnten Titel «All along the Watchtower» arbeitete, erfuhr ich erst, nachdem seine «Psychoimmunologische Studie zu den Zeugen Jehovas» als Buch erschienen war. Als Kind und Jugendlicher war er selbst Mitglied der Sekte gewesen; mit seinem Studium der Psychologie und Philosophie in Zürich und Basel hatte er sich aus deren autoritären Strukturen befreit.
Bruno war ein Mensch der leisen Überraschungen, jemand, der um seine Person wenig Aufhebens machte und stattdessen lieber zahlreiche Projekte entwarf und verwirklichte. Eines davon war das «Sphères» in einer eher unwirtlichen Gegend Zürichs, das er zusammen mit seiner Frau Monika Michel gegründet hat und das sehr schnell nicht nur als Gastrobetrieb und Buchhandlung reüssierte, sondern auch als Ort für Kulturveranstaltungen. Bruno und ich haben dort zusammen zahlreiche Events bestritten: Wir haben wissenschaftliche Neuerscheinungen besprochen, die Lage der Psychoanalyse diskutiert («Die Psychoanalyse ist nicht tot, sie riecht nur streng», war Brunos Titelvorschlag), philosophische Klassiker vorgestellt, Gedichte interpretiert … Sogar einen Verlag haben wir zusammen gegründet, die «Spheressays», in dem tatsächlich einige Bücher erschienen sind, bevor wir die Verlegerei aus Zeitmangel wieder einstellen mussten.
Brunos letztes grosses Projekt, das er zusammen mit dem Filmemacher Samir in Angriff genommen hatte, war das Kulturhaus Kosmos. Im Herbst 2017 als eine Art «Sphères 2.0» eröffnet, musste es nach fünf Jahren Konkurs anmelden. Vom «Kosmos» geblieben ist Bruno Deckerts zweite Doktorarbeit, mit der er an der HSG zum Dr. oec. promoviert wurde: «Die Entdeckung des Kosmos. Autoethnographie einer urbanen Intervention». Auch die Implosion des «Kosmos» hatte er noch in einem Buch schildern wollen. Es wäre gewiss keine nachtragende Abrechnung geworden. Auch wenn ihn die Querelen und Grabenkämpfe verletzt haben: Wenn man mit ihm über das Scheitern seines grössten Projekts sprach, waren weder Ressentiments noch Verbitterung zu spüren, sondern eher die Neugier, herauszufinden, wie es dazu hatte kommen können.
Am 4. Januar ist er im Alter von 74 Jahren gestorben. «Es war mir eine Ehre» seien seine letzten Worte gewesen, schrieb seine Frau Monika Michel. Es ist mir eine Ehre, dich gekannt zu haben, Bruno.
Peter Schneider ist Psychoanalytiker und Autor in Zürich.