Russischer Blockbuster: Am Ende geht Moskau in Flammen auf

Nr. 7 –

Eine neue Bulgakow-Verfilmung füllt in Russland die Kinos und weckt den Zorn von Putins Propagandisten. Nun fordert ein patriotischer Verein Ermittlungen gegen den Regisseur.

Filmplakat von «Der Meister und Margarita»
Die alte Allegorie auf die Staatsmacht ist wieder aktuell: Plakat zur «Der Meister und Margarita»-Verfilmung.

Auf Moskaus Strassen sind sie präsent wie lange nicht mehr: der Meister und seine Geliebte, Margarita, zwei Hauptfiguren aus dem gleichnamigen Kultroman des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow (1891–1940). Es ist kaum zu überhören, wie sehr Passant:innen die neuste filmische Reinkarnation der beiden aufwühlt.

Mit von der Partie ist selbstverständlich auch der teuflische Woland, dessen Treiben die Geschichte im Buch erst ins Rollen bringt. In Gestalt des deutschen Schauspielers August Diehl demonstriert er dem russischen Kinopublikum, wie verführerisch ein Pakt mit dem Satan ist und welch gnadenlos zerstörerische Kräfte dieser entfaltet, sobald sich ihm sein Gegenüber ausgeliefert hat. Bis zum bitteren Ende – oder zur Erlösung.

Im Vergleich zur imposanten Erfolgsstory des Romans erscheinen dessen bisherige Verfilmungen eher als müder Abglanz. Zu einem echten Blockbuster ist der komplexe Stoff jetzt erst unter der Regie des gebürtigen US-Amerikaners Michael Lockshin geworden. Aufgewachsen ist Lockshin allerdings in Russland, nachdem seine Familie auf Initiative seines kommunistischen Vaters während der Perestroika in die Sowjetunion übergesiedelt war.

Pilatus hat Migräne

Ausländische Produktionen finden seit Russlands Angriff auf die Ukraine nur noch sehr eingeschränkt den Weg zum russischen Publikum. Die Moskauer Kinos verzeichneten durch die kriegsbedingte Ausdünnung des Programms grosse Einbussen. Nun sind die Kinosäle aber derart voll, dass «Master i Margarita» schon nach zehn Tagen einen Grossteil seines für die russische Filmindustrie exorbitanten Budgets von rund siebzehn Millionen US-Dollar eingespielt hat.

Zwar weist der Film signifikante Unterschiede zu Bulgakows Roman auf, doch die zentralen Figuren blieben erhalten. Im Mittelpunkt steht ein Schriftsteller, genannt Meister (Jewgeni Zyganow), der Bulgakow ähnelt. Im Film hat er ein Stück über Pontius Pilatus verfasst, das wenige Stunden vor der Premiere aus dem Verkehr gezogen wird. Seine Karriere ist am Ende. Die Welt der Moskauer Literaten erscheint als Ansammlung von Fratzen, in ihrer Geschmacklosigkeit, Egozentrik und Kleinlichkeit stets darum bemüht, im sowjetischen Verteilungssystem vor der Konkurrenz die besten Wohnungen und allerlei andere Privilegien zu ergattern. Pontius Pilatus (Claes Bang) taucht als migränegeplagter Statthalter nur punktuell auf, während Woland, umringt von seiner Gefolgschaft, im Film breiten Raum einnimmt: Der Teufel umgarnt den Meister, nimmt dessen Seele in Besitz, bringt ihn um den Verstand und spannt dessen Geliebte Margarita (Julia Snigir) für sich ein.

Kein Entkommen vor der Macht

Literaturverbote finden sich nicht nur im Stalinismus der 1930er Jahre, als Bulgakow seinen Roman schrieb, sondern auch heute wieder, in der neostalinistisch anmutenden Russischen Föderation der Gegenwart. Populärstes Beispiel sind die aus Buchhandlungen und Bibliotheken verbannten Bücher des im Exil lebenden Regimegegners und Krimiautors Boris Akunin alias Grigori Tschchartischwili. Aber auch sonst sorgen die politischen und gesellschaftlichen Realitäten im Hier und Jetzt für aufsehenerregende Parallelen, die sich noch vor wenigen Jahren in dieser Intensität nicht aufgedrängt hätten.

Etwa bei der Jesusfigur im Stück des Meisters: Jeschua wird ans Kreuz geschlagen wegen seiner Aussage, dass von jeder Staatsmacht Gewalt gegen Menschen ausgehe. Dem Meister hingegen fehlt es gänzlich an Widerstandswillen, die Konfrontation mit dem übermächtigen System lässt er über sich ergehen. Szenen auf der zum Kreml führenden Twerskaja-Strasse zeigen wiederholt von Lärm, Hektik und Dreck begleitete Bauarbeiten, die suggerieren, dass es vor der Allmacht der Herrschenden kein Entkommen gibt. Zu einer Solidaritätskundgebung für den Meister erscheinen nur zwei Personen, eine davon spricht den ins Mark treffenden Satz: «Ihre Kraft liegt in unserer Angst.»

Kaum war der Film in den Kinos angelaufen, traten kremltreue Meinungsmacher:innen wie TV-Moderator Wladimir Solowjow mit ihren unoriginellen Lesarten auf den Plan. Der Grundtenor: Ein russophober und proukrainischer Amerikaner habe sich an einem russischen Klassiker vergriffen. TV-Propagandist Tigran Keosajan, Ehemann der Chefredaktorin des staatlichen Senders, heizte Spekulationen an, Regisseur Lockshin habe Geld für die ukrainischen Streitkräfte gespendet. Eine Vereinigung mit dem vielsagenden Namen «Ruf des Volkes» forderte die Ermittlungsbehörden auf, den Regisseur wegen Verbreitung angeblicher Falschinformationen über die russische Armee zur Verantwortung zu ziehen und ihn als Extremisten und Terroristen zu klassifizieren.

Readovka wiederum, ein Telegram-Kanal mit über 2,3 Millionen Follower:innen, skandalisierte die Tatsache, dass «Master i Margarita» zu zwei Dritteln aus der staatlichen Filmförderung finanziert wurde. Prompt entzog der staatliche Kinofonds Anfang Februar einer der beteiligten Produktionsfirmen jeglichen Anspruch, zukünftig noch Anträge zu stellen.

Allerdings liegt die Förderzusage für «Master i Margarita» mehr als fünf Jahre zurück, die Dreharbeiten waren bereits 2021 abgeschlossen. Der russische Ableger von Universal Pictures hätte den Film in die russischen Kinos bringen sollen, doch nach Russlands Angriff auf die Ukraine zog sich der US-Konzern vom russischen Markt zurück. Regisseur Lockshin wiederum zog direkt nach dem Dreh in die USA. Anstatt die ukrainische Armee zu finanzieren, wie Keosajan jetzt kolportiert, setzte er sich für die Unterstützung ukrainischer Filmemacher:innen ein, die den Kriegsverlauf dokumentieren. In Russland geblieben sind hingegen Hauptdarsteller Jewgeni Zyganow und Julia Snigir, seine Geliebte im Film und Ehefrau im echten Leben. Auch sie zeigten Haltung gegen den Krieg.

Unzähligen kriegsfanatischen Z-Blogger:innen – das Z steht im russischen Neusprech für die Parole «Für den Sieg» – stösst der Film auch wegen seiner antisowjetischen Inszenierung auf. Nun war Bulgakow selbst kein Freund der durch die Bolschewiki errichteten Ordnung, was in seinem Roman ausgiebig zum Tragen kommt. Dass die Putin-treuen Gegner:innen von Lockshins Verfilmung stellenweise so hysterisch reagieren, könnte indes auch ganz banal auf Neid gründen: Patriotisches Kino made in Russia sieht im Vergleich alt aus.

Der deutsche Teufel schaut zu

Visuell übertrumpft «Master i Margarita» die imaginierte Wirklichkeit jener historischen Epoche. Vor den Augen der Zuschauer:innen tut sich eine so nie zuvor erschaffene fantastische Kulisse auf: Moskau, wie es nach der baulichen Vollendung des Generalplans von 1935 ausgesehen hätte, bis hin zum über 400 Meter hoch konzipierten gigantomanischen Palast der Sowjets mit Lenin an der Spitze. Beim Flanieren mit Margarita erscheinen die historischen Patriarchenteiche zwar so, wie sie gebaut wurden. Aber die berühmte Szene, als der Vorsitzende der Moskauer Literaturvereinigung auf den grossen Unbekannten trifft und im Anschluss seinen Kopf verliert, spielt im komplett neu gestalteten, weitläufigen Ambiente nach dem Bauplan von 1935.

Zum Schluss betrachtet der deutsche Teufel befriedigt, wie Moskau in Flammen aufgeht. Ein Affront sondergleichen für Olga Uskowa, Unternehmerin im Bereich künstliche Intelligenz: Stalins Moskau, das einst die Faschisten besiegt habe, brenne nieder. Dabei hat die Stadt so, wie sie im Film digital erzeugt wurde, real gar nie existiert. Zudem lässt der Film offen, ob dieses der Vernichtung preisgegebene Moskau nicht allein der Fantasie des Meisters entsprungen war – sein Wahn hatte ihn kurz vor dem Brand in den Selbstmord getrieben. Mit dem Meister verschwindet auch seine Welt.