Kulinarische Diplomatie: Die Löffel sprechen lassen

Nr. 8 –

Wo Menschen füreinander kochen und miteinander essen, entstehen Nähe und Vertrauen: Gleich mehrere aktuelle Filme und Bücher erklären Küche und Cuisine zum Hotspot der Diplomatie.

Szene aus Frederick Wisemans Film «Menus plaisirs. Les Troisgros»: Köch:innen besprechen einen Menüplan
Haute Cuisine im Gourmettempel: Szene aus Frederick Wisemans «Menus plaisirs. Les Troisgros».  Still: Xenix Film

Fried Chicken habe ihn nicht nur in die Gastronomie eingeführt, «es war auch eine meiner ersten Lektionen in Diplomatie, Intimität und der verbindenden Rolle eines Mahls», schrieb Bryan Washington vor ein paar Jahren im US-Magazin «Vice». Da war er erst 24 und schon zum zweiten Mal nach Japan gereist – wegen Karaage, der japanischen Variante von frittiertem Huhn. Seither hat Washington zwei Romane veröffentlicht und wird in den USA als die Stimme der Generation Z gehandelt. Als Botschafter internationaler Kulinarik sticht Washington durchaus hervor, mehr als die Hälfte der Kolumnen und Essays auf seiner Website handeln davon, ums Kochen kreisen im Kern auch die beiden Romane «Dinge, an die wir nicht glauben» (2021) und «An einem Tisch» (2023).

Aber als Diplomat? Mit seinem lakonisch-beiläufigen Stil und der reduzierten Sprache, die in Wort wie Tat zum exzessiven Ficken in allen seinen Formen tendiert, erinnert Bryan Washington eher an einen Schwarzen, queeren Wiedergänger von Charles Bukowski. «Fuck, sagt er. Fick dich selber, sage ich. Fuck, sagt TJ. Fuck.» Bereits der erste Wortwechsel im jüngsten Roman ist ein diplomatischer Super-GAU. Dabei haben sich die beiden Kindheitsfreunde Cam und TJ seit Jahren nicht mehr gesehen.

Wenn das Dessert zu Tränen rührt

Die Kunst der Diplomatie wird vor allem in Frankreich nach wie vor kultiviert, eine Tradition, die zurückreicht bis in die Zeit von Louis XIV, als die französische Sprache das internationale Verhandlungsparkett eroberte. Ist es ein Zufall, dass auch die Wiege der Haute Cuisine in Frankreich liegt? Und dass sie im Film aktuell so hoch im Kurs steht? Gleich zwei an internationalen Festivals hochgelobte Werke, die zurzeit im Kino laufen, haben sich ganz dem Charme und der Raffinesse der französischen Küche verschrieben. Dabei zelebrieren sie auf ihre je eigene Weise die Kunst der Verführung und die Sinnlichkeit, die im Zubereiten und Teilen von Essen liegen. Man könnte es, und hier schliesst sich der Kreis zu Bryan Washington, auch eine Diplomatie des Gaumens nennen.

Ihr Gravitationszentrum liegt in der Küche. Dort steht auch die Kamera in Frederick Wisemans vierstündigem Dokumentarfilm «Menus plaisirs. Les Troisgros», starr und auf Details fokussiert, als wäre sie hypnotisiert von den flinken Händen, ihren flüssigen Bewegungen, als suchte sie in den konzentrierten Gesichtern nach dem Rezept für den Erfolg dieses mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Gourmettempels der Familie Troisgros. Der Patron, der seine Gäste ganz selbstverständlich durch die Küche in den Speisesaal führt, verrät dabei immerhin so viel: Als guter Chef «dirigiere» er seine Küche, ohne die Stimme anzuheben – nur mit dem Auge, mit Gesten. Die Architektur ist offen, alle arbeiten auf demselben Niveau, «alle sehen einander und achten aufeinander». Tatsächlich dominieren Blubbern, Brutzeln und das Hackgeschnatter der Messer die Soundkulisse, irgendwo im Off piept immer mal wieder ein Timer.

Auch in Tran Anh Hungs «Pot-au-feu. La passion de Dodin Bouffant» lenkt keine Musik ab vom Geschehen in der Schlossküche des grossen Gourmets und Zeitgenossen von Auguste Escoffier, dem Vater der Haute Cuisine. Dort verführt die Köchin Eugénie (Juliette Binoche) seit zwanzig Jahren schon den Gaumen von Dodin Bouffant (Benoît Magimel). Der diplomatische Gestus offenbart sich hier über weite Strecken im neckischen, leichtfüssigen Spiel zwischen zwei, die sich innig verbunden sind – formal eingefangen von einer Kamera, die als Ballerina in einer ausgeklügelten Choreografie um die Figuren tänzelt und nur in besonders emotionalen und intimen Momenten zum Stillstand kommt: beim Essen, wenn etwa ein Dessert zu Tränen rührt oder Dodin für einmal Eugénie bekocht hat und fragt, ob er ihr zusehen darf, wie sie isst. Mit Eugénies Tod scheint die Kamera ganz zu erstarren und nimmt erst wieder Schwung auf, als die diplomatischen Bemühungen von Dodins Freunden eine Köchin auftreiben, die seinen Gaumen neu zu berühren vermag.

Haute Cuisine ist grosse Kunst. Sie manifestiert sich nicht zuletzt als Gemälde auf dem Teller – «arrangieren Sie wie ein Florist», weist der Patron in «Menus plaisirs» einen seiner Patissiers an –, ihr Resultat aber offenbart sie erst im intimsten Bereich, im Mund. «Belle découverte», wünscht der Souschef den Gästen am Tisch, nachdem er sie mit ausgewählten Worten in die geschmacklichen Kompositionen der Skulptur auf ihrem Teller eingeführt hat. Sich gemeinsam auf Entdeckungsreise begeben und einander dabei näherkommen: Gehört das nicht ebenso zum Repertoire der hohen Schule der Diplomatie?

Ambivalenter Hotspot Küche

Wir hätten sie dringend nötig dieser Tage, angesichts der desolaten internationalen Lage und eskalierender Konflikte überall. Auch die Figuren in Bryan Washingtons Romanen scheitern oft an ihr. Zumal wenn sie versuchen, ihr Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung in Worte zu packen. «Das Gespräch endete so, wie es nur enden konnte – mit einem Fick, halb angezogen, hastig, auf der Theke, weil uns die Worte fehlten», erinnert sich Ben in «Dinge, an die wir nicht glauben». Zu lange verkennt er, wie Mike seine Liebe in die Zubereitung von Speisen verpackt. Sogar Mikes Mutter aus Japan versucht zu vermitteln, indem sie vor Bens Augen ein Hähnchen zerlegt und zubereitet: «Hast du das begriffen, sagt Mitsuko. Nun, sage ich, das eine oder andere. Sie mustert mich etwas kühl. Das ist in Ordnung, sagt sie, du wirst es lernen. Das musst du, fügt sie hinzu.»

Für andere zu kochen, es gut zu machen, grosszügig und mit Leidenschaft – in Washingtons Universum scheinen die Figuren nur so fähig, Verbundenheit und Zuneigung auszudrücken oder umgekehrt dafür zu kämpfen, dass sich andere wieder zugehörig und geborgen fühlen. Dass alle Protagonisten aus ihrer je eigenen Perspektive erzählen, lässt die Verständigung noch schwieriger erscheinen. Und immer wieder wird die Küche zum Hotspot komplizierter Diplomatie – auch weil sich Nationalitäten und Ethnien mischen und sexuelle Präferenzen nicht immer deutlich sind. Wo einer nur den Kollegen nach Hause bringen will, muss er sich unversehens von dessen Tante bekochen und sich beim Essen beobachten lassen. Und ist es ein Date, als ihn besagter Kollege kurz darauf bittet, ihm und seiner Tante beim Kochen für Verwandte zu helfen?

«An einem Tisch» bringt das Ziel dieser kulinarischen Diplomatie schon im Titel auf den Punkt. Der Weg dorthin ist nicht nur für seine Protagonisten Cam und TJ mit Stolpersteinen gepflastert, zu verletzt und fragil sind viele der Figuren. Besonders Cam, der nach dem gewaltsamen Tod seines Freundes Kai eine Essstörung entwickelt und im Sex- und Drogenrausch zu versinken droht.

Ausgerechnet Cam, der in Kais Erinnerung – ja, auch Tote reden «An einem Tisch» mit – eigentlich ein Gourmetkoch ist, der sich jeden Sonntagmorgen über ein Schneidebrett beugt, Teigschicht auf Teigschicht legt, «und dann kommt dieses verdammte Michelin-Zeugs dabei raus». Dass Cam aus seiner Krise finden könnte, wird erst zum Schluss angedeutet, er kocht spätabends eine simple Omelette für TJ und sich, sie sitzen einander gegenüber an der Küchentheke, genauso wie Cam und Kai früher: «Mit den Händen rissen wir Stücke vom Pfannkuchen, bis er auch unsere Gesichter aufwärmte.»

Die Essenz liegt im Teilen

Es muss nicht immer Haute Cuisine sein. Manchmal genügen einfache Gerichte, um Beziehungen neu zu knüpfen und Vertrauen und Nähe herzustellen. Der «Pot-au-feu» steht ebenso dafür wie Bryan Washingtons Fried Chicken. Oft sei er in Tokio einfach der Nase nachgegangen, um Karaage zu probieren, habe die nächste Person in der Warteschlange gefragt, was sie empfehlen könne – und habe in jedem einzelnen Lokal köstliches Huhn gefunden. Gefunden hat er, darüber hinaus, «Menschen, die bereit waren zu teilen: ihre Mahlzeit, ihren Raum und diesen besonderen Moment ihrer Zeit» – mit einem Fremden.

Mit Kochen werden wir die Welt nicht retten. Aber vielleicht machen wir sie, für ein paar Augenblicke zumindest, zu einem angenehmeren, friedlicheren Ort.

«Pot-au-feu. La Passion de Dodin Bouffant». Regie und Drehbuch: Tran Anh Hung. Frankreich 2023. Jetzt im Kino.

«Menus plaisirs. Les Troisgros». Regie: Frederick Wiseman. USA 2023. Jetzt im Kino.

Bryan Washington: «An einem Tisch». Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence. Verlag Kein & Aber. Zürich 2023. 368 Seiten. 34 Franken.

Bryan Washington: «Dinge, an die wir nicht glauben». Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence. Verlag Kein & Aber. Zürich 2021. 384 Seiten. 22 Franken.