Der WOZ-Blog zum Ukrainekrieg

Das Wort «Frieden» bleibt erlaubt – vorerst

Die oppositionellen Medien ausgeschaltet, die sozialen Kanäle blockiert: Vor Russland schliesst sich gerade ein digitaler Vorhang.

Der Weg in die Diktatur dauerte in Russland bloss wenige Tage. Nicht, dass es vorher besonders demokratisch zugegangen wäre; gerade im letzten Jahr hatte etwa die Repression gegen Kritiker:innen des Putin-Regimes ein neues Ausmass angenommen, mit der Inhaftierung des Oppositionellen Alexei Nawalny ebenso wie mit dem Verbot der Menschenrechtsorganisation Memorial. Rückblickend betrachtet, scheint dies die Vorbereitung auf die aktuellen Ereignisse gewesen zu sein. In Russland ist endgültig die Angst zurück. Vor dem Land schliesst sich erneut ein Vorhang – diesmal kein eiserner, sondern ein digitaler.

Am Freitag hat das Parlament diskussionslos ein Gesetz verabschiedet, wonach die Verbreitung angeblicher Fake News über die Streitkräfte mit hohen Geldbussen oder bis zu fünfzehn Jahren Haft geahndet wird. Was «Falschnachrichten» genau sind, bestimmt dabei selbstredend der Kreml. Weil für ihn der Angriff auf die Ukraine bloss eine «militärische Spezialoperation» ist, dürfen Medien seit Tagen das Wort «Krieg» nicht mehr verwenden. Mit dem neuen Gesetz, das im Grunde militärischer Zensur gleichkommt, ist nun alles verboten, was damit in Zusammenhang steht, Protestschilder an Demos ebenso wie Posts auf Social Media. Wer Putins Angriffskrieg beim Namen nennt, zahlt inskünftig einen hohen Preis.

Gelöschte Beiträge

In den letzten Tagen musste man dabei zusehen, wie auch die letzten Reste unabhängiger Berichterstattung beseitigt wurden. Zuerst wurde der oppositionelle TV-Sender Doschd verboten. Im Anschluss an die allerletzte Sendung zeigte der Kanal Tschaikowskys «Schwanensee» – eine Referenz auf das Jahr 1991, als während des Putschversuchs in Moskau das Stück im Fernsehen in Dauerschleife lief. Auch der Radiosender Echo Moskwy, der seit über dreissig Jahren eine Instanz kritischer Einordnung war, gab seine Auflösung bekannt.

Nun ziehen das SRF und die BBC, das deutsche Fernsehen und die meisten anderen ausländischen Medien ihre Korrespondent:innen ab; russische Publikationen wie das Kulturportal «Colta» pausieren, die «Nowaja Gaseta» löschte alle Berichte über den Krieg im Nachbarland und stellte die Arbeit am Newsdesk ein, gab aber immerhin bekannt, weitermachen zu wollen. «Es gibt auch eine gute Nachricht: Das Wort ‹Frieden› haben sie noch nicht verboten», hatte die Redaktion bereits am Donnerstag voll bitterem Sarkasmus verkündet.

Auch der Zugang zu anderen kremlkritischen Medien, zu Facebook, YouTube und Twitter ist in Russland mehrheitlich blockiert und nur noch über VPN möglich. Alexei Nawalny hat auf Twitter ein eigenes Medium angekündigt, das «keine Angst vor Zensur und sowieso vor nichts Angst» hat. Für heute ruft der Oppositionelle weltweit zu Protestkundgebungen auf – wie viele Menschen sich unter der Androhung drakonischer Strafen auf Russlands Strassen trauen, ist allerdings schwer zu sagen.

Drohendes Kriegsrecht

Klar ist: Die Repression gegen Andersdenkende wird in Zukunft nur noch mehr zunehmen. Entsprechend versuchen Tausende gerade, das Land zu verlassen; Freund:innen und Bekannte bitten verzweifelt um Hilfe und Informationen. Viele befürchten, dass Putins Regime das Kriegsrecht verhängt, was unter anderem die Schliessung der Grenzen zur Folge haben könnte. Was das für die Menschen bedeutet, wird niemand mehr dokumentieren können.

Die Entwicklung erinnert an die dystopische Satire «Tag des Opritschniks» von Wladimir Sorokin. Darin wird Russland im Jahr 2027 beschrieben: abgeschottet von den Ländern des Westens, Kontakte nur noch mit China, regiert von einem brutalen Diktator, zurückgefallen in eine hoch technologisierte, aber dunkle Zeit. Was in Russland seit dem Einmarsch in die Ukraine vor zehn Tagen passiert, scheint dystopischer als alles, was sich Sorokin in seinem Buch ausgemalt hat.