Höhlenbomber, patriotische JournalistInnen, Terror-Waisen: Schweijk im neuen Weltkrieg

Die Ironie sei tot, heisst es in den USA seit dem 11. September, und in gewissem Sinn stimmt das auch: Während ein Karikaturist im «New Yorker» mit noch schüchternem Sarkasmus die «Happy Hour» an der Bar landesweit in «Gedenkpause» umbenennen will, bietet die Universität von Kalifornien schon geschäftstüchtig Kurse an wie «Das Undenkbare, Unfassbare verstehen» oder «Zwischen fröhlichem Optimismus und kultureller Verzweifelung navigieren» – Witz und Ironie sind vor allem deshalb gestorben, weil die Realität zurzeit die frecheren Possen schreibt.

Wer könnte sich schon ein solches Szenario ausdenken: Am 11. September bringt eine Handvoll mit Teppichmessern bewaffneter Einzelgänger die höchsten und prestigeträchtigsten Türme in New Yorks Finanzzentrum zum Einsturz. Als Antwort wirft die US-amerikanische Armee drei Monate später 7-Tonnen-Bomben (BLU-82) – von den Soldaten neckisch «Daisy Cutter», Gänseblümchenschneider, genannt – auf irgendwelche Höhlen im Bergland von Afghanistan. Die Situation ist noch grotesker, wenn man bedenkt, dass der US-Kongress das Verteidigungsbudget für das Jahr 2002 auf historisch einmalige 330 Milliarden Franken erhöht hat; Waffennarr Nummer zwei, Russland, ist mit 51 Milliarden weit abgeschlagen.

Oder nehmen wir Saudi-Arabien. Zwar ist es ein ideologisches Zentrum des islamischen Fundamentalismus, doch die US-Bomben fallen mit präzisem geopolitischem Kalkül, wenn auch logistisch etwas ungenau, auf das benachbarte Afghanistan. Zwar werden in Saudi-Arabien so genannt westliche Werte wie Gleichberechtigung der Frauen oder Demokratie offen abgelehnt, trotzdem bleibt das Land der kaufkräftigste Kunde von Grossbritanniens Waffenindustrie. Und Präsident Bush persönlich hat sich dieser Tage bei Kronprinz Abdullah für saudikritische Bemerkungen in den US-Medien entschuldigt.

Während es im Vietnamkrieg noch die Journalisten waren, die sich über die Hofberichterstattung lustig machten – «Five O’Clock Follies», Unsinn um fünf, nannten sie die täglichen Pressekonferenzen der US-Militärs in Saigon –, ist es jetzt Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der die Witze reisst. «Kommen wir zum unverzichtbaren täglichen Briefing, auch wenn es bloss Schall und Rauch ist», sagte er kürzlich anlässlich seines Berichts von der afghanischen Front. Und es wurde gelacht im Pressecorps, dankbar, endlich ganz dazuzugehören. Nach Vietnam wurde nämlich weitherum behauptet, die Medien hätten das Land verraten und letztlich den Krieg «verloren». Im Golfkrieg dann, im Balkan, in Somalia hatte Washington die Pressearbeit zunehmend kontrolliert, zensuriert, behindert. Doch noch nie hat eine US-Regierung eine militärische Aktion so unverschämt unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt – und so sehr im Vertrauen auf den vorauseilenden Gehorsam der Medien. Selbst die schriftliche Anweisung von CNN an alle MitarbeiterInnen, bei jeder Erwähnung von afghanischen Opfern immer auch auf die Opfer vom 11. September hinzuweisen, ist bekanntlich keine Schweijk’sche List.

Die patriotische Farce macht noch den reissendsten Wolf zum Schaf und die berüchtigte US-Militärakademie School of the Americas (SOA), die seit ihrer Gründung vor 55 Jahren schätzungsweise 60000 lateinamerikanische Soldaten, Polizisten und Paramilitärs in Foltertechniken, Massenmord und Staatsterrorismus ausgebildet hat, zum Friedensinstitut. Dem FBI sind denn auch die Kritiker und nicht die Absolventen des Instituts verdächtig. Die Gruppe SOA Watch, die am 17./18. November wie jedes Jahr in Fort Benning, Georgia, gegen den Betrieb der Militärschule protestieren wollte, wurde vorerst weggewiesen: «Dieses Jahr sind die Sicherheitsrisiken zu hoch.»

Ebenfalls aus Gründen der nationalen Sicherheit will das Justizdepartement bis heute nicht sagen, wie viele der insgesamt 1147 Männer meist nahöstlicher Herkunft, die im Zusammenhang mit den Terroranschlägen vom September aufgegriffen worden sind, noch im Knast sitzen. Nicht einmal die Namen, Nationalitäten und Aufenthaltsorte der Verhafteten sind bekannt. Das erste Opfer dieser Terroristenhatz wurde ausgerechnet ein 55-jähriger Pakistani, der schon nach der ersten FBI-Befragung von jeglichem Verdacht befreit war, wegen seinem abgelaufenen Touristenvisum aber trotzdem in Ausschaffungshaft gehalten wurde. Am 23. Oktober starb Mohammed Rafiq Butt an einem stressbedingten Herzversagen in einer Zelle des Hudson County Jail in New Jersey. Von einem recherchierenden Journalisten hörte das pakistanische Konsulat in New York zum ersten Mal von seiner Existenz bzw. von seinem Tod. Verpfiffen worden war der Muslim durch einen eifrigen Pastor seines Wohnbezirkes.

«Wir werden aus diesen Ereignissen gestärkt hervorgehen», predigt der unverwüstliche Noch-Bürgermeister Rudolph Giuliani. Die Firma IBM tut das vielleicht, die gerade 1,4 Milliarden Dollar an Steuergeschenken einsacken konnte, oder General Motors mit 833 Millionen, General Electric mit 671 Millionen. Nicht aber die 500000 ArbeitnehmerInnen, die seit dem 11. September ihren Job verloren haben und mehrheitlich ohne Arbeitslosen- oder Krankenversicherung dastehen. Gestärkt sind die US-Fluggesellschaften, die ein «Notpaket» mit 5 Milliarden Dollar in bar und 10 Milliarden Darlehen ergatterten. Nicht aber die 100000 Flugangestellten, die in den letzten drei Monaten entlassen wurden. «Wir müssen die Transportsysteme als Teil unserer nationalen Verteidigung sehen», rechtfertigte ausgerechnet Senatorin Hillary Rodham Clinton den lächerlichen Entscheid.

Patriotische Sentimentalität neben sozialer Härte: Die grossen Wohltätigkeitsorganisationen schwimmen in Spenden für New Yorks Terroropfer. Gleichzeitig verlieren 50000 arme New Yorker Familien, meist allein erziehende Mütter, Anfang Dezember nach fünf Jahren Unterstützung jegliches Anrecht auf Sozialhilfe. Und: nach dem Terroranschlag wollen tausende die Vollwaisen des World Trade Centers adoptieren – die es gar nicht gibt. Andererseits gibt es, laut Auskunft der Sozialämter, auch diesen Herbst ein paar tausend New Yorker Kinder, die in prekären staatlichen Pflegeverhältnissen leben und die niemand haben will. Die Wirklichkeit überbietet derzeit noch den schwärzesten Humor.