Nordkorea drängt Washington zum direkten Dialog: Poker in eisigem Klima

Eigentlich könnte man Nordkorea ja dankbar sein. Erlaubt sich doch die Führung dieses Staates, einfach eine neue Krise zu beginnen, während die USA die Welt davon überzeugen wollen, dass irakische Massenvernichtungswaffen die Menschheit bedrohen. So einfach ist es also zu beweisen, dass Washington mit zweierlei Mass misst, wenn es auf die vermeintlichen oder tatsächlichen Atomanlagen in beiden Staaten unterschiedlich reagiert. Seit Pjöngjang die von der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEA installierten Überwachungsanlagen im Atomkraftkomplex Yongbyon demontieren liess und IAEA-Mitarbeiter nach Hause schickte, mehren sich im US-Senat jedenfalls die Stimmen, die in Nordkorea eine grössere Bedrohung sehen als im Irak.

Für westliche Politiker ist Nordkorea immer noch, was es nach der Gründung der Volksrepublik 1948 stets war – bestenfalls ein unbekanntes Land. In Washington jedoch gilt Nordkorea als der Oberschurke Ostasiens, und das nicht erst, seit US-Präsident George Bush die «Achse des Bösen» entdeckte, sondern seit dem Koreakrieg (1950-1953). Die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Erst kürzlich haben die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA sowie das Zentralorgan «Rodong Shinmun» die USA zu einer «Nation von Kannibalen» erklärt, die von «moralischer Lepra» befallen sei.

Die beidseitige Antipathie ist Resultat der Korea-Politik seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Von 1910 bis 1945 war Korea eine japanische Kolonie, danach geriet das Land in den Strudel imperialer Grossmachtpolitik. Nach der erzwungenen Teilung des Landes 1948 führte der dreijährige Koreakrieg die Welt an den Abgrund eines Weltkrieges. Nordkorea wurde in die Steinzeit gebombt; es fänden sich dort partout keine Ziele mehr, klagten damals US-Piloten. Die Zerstörung wirkt bis heute fort. In Nordkorea gebe es weiterhin eine «permanente Belagerungsmentalität», sagt etwa Carter J. Eckert, Direktor des Harvard Center for Korean Studies; schliesslich habe «praktisch die gesamte Bevölkerung» drei Jahre lang «in künstlich angelegten unterirdischen Bunkern gelebt und gearbeitet, um den ständigen Angriffen der US-Bomber zu entgehen, von denen jeder – aus der Sicht der Nordkoreaner – eine Atombombe mit sich führen konnte». Heute ist Südkorea weltweit der einzige Staat, in dem offiziell ein Ausländer – ein US-amerikanischer Viersternegeneral – die Streitkräfte des Landes befehligt (und natürlich auch die dort stationierten 37500 US- und Uno-Soldaten).

Der Zusammenbruch des realsozialistischen Blocks, die Abwicklung des Aussenhandels auf Devisenbasis und verheerende Naturkatastrophen hatten Nordkorea bereits in den neunziger Jahren arg zugesetzt. Akuter Energiemangel führte zu chronischer Unterauslastung von Betriebskapazitäten und zu Hungersnot. Die Energieknappheit und ein grimmiger Winter mit Temperaturen unter minus 15 Grad verschonten auch jetzt weder öffentliche Einrichtungen noch ausländische diplomatische Vertretungen. Um der schneidenden Kälte ohne Heizung, Strom und Warmwasser zu entrinnen, begaben sich zur Jahreswende DiplomatInnen gleich scharenweise in wärmere Gefilde. Und so besann sich die Führung in Pjöngjang auf ein in der Vergangenheit erfolgreich ausprobiertes Tauschgeschäft – für Nahrungsmittelhilfen des Uno-Welternährungsprogramms liess sie die nordkoreanischen Kernkraftwerke inspizieren. Die Regierung pokert hoch und nutzt die Irak-Krise, um die USA erneut zu Direktgesprächen zu drängen. Pjöngjang will endlich als gleichberechtigter Verhandlungspartner ernst genommen werden.

Bereits im Sommer 1994 schien die koreanische Halbinsel an der Schwelle eines militärischen Konflikts zu stehen. Während in Südkorea Alarmsirenen heulten und Luftschutzübungen vorgenommen wurden, geisselten US-Medien den «nuklearen Gangster» Pjöngjang, der Atomwaffen produziere und die Sicherheit in Ostasien gefährde. Entschärft wurde der Konflikt durch die im Oktober 1994 bilateral ausgehandelte Rahmenvereinbarung («Framework Agreement»). Danach sollte Pjöngjang für die Preisgabe seines Atomprogramms bis 2003 zwei 1000-Megawatt-Leichtwasserreaktoren erhalten. Bis zu deren Inbetriebnahme verpflichteten sich die USA, jährlich 500 000 Tonnen Schweröl und Kohle im Gesamtwert von knapp 4,6 Milliarden US-Dollar zu liefern. Der vereinbarte Zeitplan geriet jedoch aus den Fugen. Bis heute ist nur ein Bruchteil der Bauarbeiten abgeschlossen. Da auch die Öllieferungen eingestellt wurden, hat Pjöngjang nun angekündigt, die Reaktoren in Yongbyon wieder hochzufahren.

Dieser Beschluss muss jedoch auch in Zusammenhang mit der Korea-Politik der derzeitigen US-Regierung gesehen werden. Noch 1999 hatte der frühere US-Verteidigungsminister William Perry – er war einer der Architekten des «Framework» von 1994 – im Auftrag des damaligen Präsidenten Bill Clinton Washingtons neue Haltung gegenüber Nordkorea skizziert. Auf dieser Grundlage revidierte die letzte US-Regierung die Politik Washingtons, die sich den kurz- bis mittelfristigen Zusammenbruch Nordkoreas zum Ziel gesetzt hatte. Der Perry-Report befürwortete die auf Entspannung abzielende «Sonnenscheinpolitik» Südkoreas. Daraufhin zeigte sich Pjöngjang bereit, Produktion, Stationierung und Ausfuhr aller Raketen mit Reichweite von über 500 Kilometern einzustellen. In beiden strategischen Fragen – Atompolitik und Ballistik – war man einer Vereinbarung näher gekommen.

George Bush schob diesen Entspannungsprozess polternd beiseite. Nordkorea sei ein Bedrohungsfaktor in Ostasien, liess er den südkoreanischen ehemaligen Präsidenten Kim Dae Jung bei dessen US-Besuch im März 2001 wissen; Seouls «Sonnenscheinpolitik» kanzelte er als «naiv» ab. Kein Wunder, dass in Südkorea mittlerweile die Kritik an der US-Truppenpräsenz wächst. Südkoreas neu gewählter Präsident Roh Moo Hyun hat gegenüber dem ehemaligen Schutzpatron bereits grössere Souveränität verlangt. Er will Pjöngjangs Atompoker als innenpolitisches Problem ohne äussere Einmischung lösen – eine Position, die auch China, die bedeutendste Regionalmacht und Nordkoreas engster Verbündeter, teilt. Im Übrigen fehlt weiterhin jeder Beweis, dass Nordkorea technisch überhaupt in der Lage ist, waffenfähiges Plutonium herzustellen.

Recherchierfonds

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

Förderverein ProWOZ unterstützen