Zieht sie also immer noch, die Mär von den roten Schulen, die bürgerliche Kinder indoktrinieren? Oder hat hier ein selbst erklärter Liberaler einfach komplett den Kompass verloren?

Die Geschichte dreht sich um Frédéric Borloz, Waadtländer Bildungsdirektor und FDP-Mitglied. Borloz hat entschieden, dass politische Debatten an Schulen in seinem Kanton in den zehn Wochen vor den nationalen Wahlen am 22. Oktober, also per sofort, verboten sind. Seine Begründung mutet reichlich obskur an. Debatten im Vorfeld von Abstimmungen, die nicht in den Bereich der reinen Politik fallen, seien kein Problem, zitiert ihn die Nachrichtenagentur SDA aus einer Ratsdebatte. Dies gelte jedoch nicht für Debatten im Zusammenhang mit Wahlen, bei denen die Fairness schwieriger zu gewährleisten sei.

Reine Politik, was soll das nun wieder sein? Wieso ist Fairness bei einer Debatte über eine Personenwahl so kompliziert? Und überhaupt: Was wäre freisinnig, wenn nicht das: heranwachsende Bürger:innen in einem Wettstreit um die besten Argumente das Handwerk der Demokratie erlernen lassen?

Prompt berief sich Mitte-Präsident Gerhard Pfister auf Social Media auf genau dieses Argument, um sich selber als den wahren Liberalen zu profilieren. Und natürlich gefällt das Debattenverbot der sowieso nicht besonders liberalen SVP – Debatten in Wahlkampfzeiten seien «Manipulation», findet deren Lokalpolitikerin Céline Baux in der Debatte im Waadtländer Grossen Rat. Weil die Position der Freiheit schon von der linken Minderheit besetzt war, die vergeblich versuchte, den Entscheid des Bildungsdirektors mit einer Resolution zu kippen, gab der Freisinnige François Cardinaux halt den Schulmeister: Die Schule sei ein Ort zum Lernen, nicht um dort Politik zu machen. Das Offensichtliche sagen, um das Wesentliche zu verschleiern, klassische Strategie.

Das Wesentliche wäre hier die Frage: Fürchten die bürgerlichen Parteien die Konfrontation mit der Jugend vielleicht darum, weil ihre kurzsichtige Politik ihnen nicht so viel anzubieten hat?