«Avalon»: Dr. Model und die Nebel von Müllheim

Nr. 2 –

Der Thurgauer Verpackungsfabrikant Daniel Model liebt seltsame Mythen und verteufelt die Demokratie. Bereitwillig vernetzen sich postmoderne Dadaisten und Medienrebellinnen mit dem Sozialstaatsgegner. Was fasziniert sie an der Utopie des selbst ernannten Oberhaupts des Elitestaats Avalon?


Damit hatten die Gemeindeammänner des Kantons Thurgau nicht gerechnet. Eigentlich hatten sie den damaligen Präsidenten des Arbeitgeberverbands Mittelthurgau eingeladen, um über Wirtschaft zu referieren. Was Daniel Model den ZuhörerInnen, die sich Tag für Tag mit Müllabfuhr, Feuerwehr und Fürsorge herumschlagen, am 22. März 2006 im Rathaussaal von Weinfelden bekannt gab, war etwas anderes. Der Verwaltungsratspräsident der Model-Verpackungsgruppe nutzte die Gelegenheit, dem Sozialstaat eine Absage zu erteilen – und einen eigenen Staat auszurufen.

Entsprechend gross war beim anschliessenden Apéro der Abstand, den die Ammänner zum Referenten hielten. Zu perplex waren sie ob der Unverfrorenheit, mit der der 49-jährige Spross der Fabrikantendynastie Model, deren Unternehmen mit Hauptsitz Weinfelden er in vierter Generation führt, seine utopische Fantasie gegen ihre demokratische Realität ausspielte.

«Links-rechts-Denken überholt»

Beim Besuch im thurgauischen Müllheim an einem Morgen im Dezember fällt aus dem Hochnebel leichter Schnee auf die Obstanlagen am Dorfrand. Tak, tak, tak ... Bei Minustemperaturen meisselt unter dem Vordach der Bildhauerschule ein Student an einer Skulptur. Gleich nebenan hat der selbst ernannte Staatsgründer Model den Platz für seinen Regierungspalast gefunden. Eine frisch geteerte Gemeindestrasse erschliesst die Parzelle. Die Grube ist ausgehoben, das Fundament bereits betoniert. Noch ruht die Baustelle im Winterschlaf. Gäbe es eine Bautafel, müsste darauf stehen: Hier entsteht das Regierungsgebäude von Avalon, die in Stein gegossene Absage an die demokratische Schweiz.

Gerne möchte man Dr. Model die Geschichte glauben, wonach ihn seine Tochter, als sie den Roman «Die Nebel von Avalon» las, zur Namensgebung inspirierte. Befremdend ist eine andere Assoziation: 1944 lancierten Nazigeneräle in Thüringen die Operation Avalon. In Geheimanlagen versteckten sie neu entwickelte Waffen, um angesichts der Erfolge der Alliierten auf günstigere Zeiten zu warten. Seither steht Avalon bei Rechtsextremen als Synonym für das «Vierte Reich», das nach dem «Dritten» kommen soll. Von der WOZ auf die Namensgleichheit mit der rechtsextremen «Avalon»-Gemeinschaft in der Schweiz angesprochen, meint Model: «Links-rechts-Denken ist überholt. Es zeugt von geistiger Armut. Die Staatsform von Avalon ist liberal und gehört zur politischen Mitte.»

Doch dann bricht Model, weil er beim Gespräch das seiner Meinung nach nötige Wohlwollen vermisst, den Kontakt ab. Damit bleibt der per Mail vorgelegte Fragenkatalog unbeantwortet, und wir erfahren nichts Weiteres aus erster Hand über das Selbstverständnis des unternehmerischen Staatsgründers. Zum Beispiel: Würde Avalon mittellose Flüchtlinge aufnehmen? Warum steht die Schweiz seiner Meinung nach kurz vor dem Zusammenbruch? Welche Art von Überlebenshilfe plant er für Arbeitslose anstelle der von ihm abgelehnten staatlichen Sozialwerke?

Ein eigenes Staatsterritorium?

In den bürgerlichen Medien ausserhalb des Thurgaus ist Models Antisozialstaatsideologie kaum ein Thema. Sie muss den verantwortlichen RedaktorInnen wohl nicht ganz geheuer sein, schliesslich ist für viele «Liberale» der Staat trotz seiner sozialen Verpflichtungen Garant für ihre Maxime der endlosen Kapitalakkumulation. Aber da Model in fünf Ländern rund 3000 Arbeitskräfte beschäftigt und jährlich 700 Millionen Franken umsetzt, kann man sein Projekt nicht so leicht abkanzeln. Die NZZ erwähnte Avalon einmal kurz, nannte die Staatsidee vorsichtig ein «Gedankenexperiment». Die «Schweizer Monatshefte» allerdings bieten Model regelmässig eine Plattform. Als Herausgeber der in Zürich erscheinenden Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur zeichnet der St. Galler Privatbankier Konrad Hummler. «Mein Staat soll eine Meritokratie sein», sagt Model darin. «Damit ist eine Herrschaft der Fähigsten gemeint. Avalonier können nur diejenigen werden, die einen Eignungstest bestehen.»

Man ahnt es: Das selbst ernannte Staatsoberhaupt entscheidet über die Aufnahme. Wie er mehrfach erwähnte, wächst der Stapel der Beitrittsgesuche auf seinem Schreibtisch stetig. Mit seinen rechtsbürgerlichen Argumenten gegen den «demokratistischen» Staat scheint Model zum Teil Erfolg zu haben: Demnach würden Umverteilungsfragen ungerechtfertigt durch das Mehrheitsprinzip entschieden, und das Individuum stehe einem immer mächtigeren Staat gegenüber, den es zu schwächen gelte (nicht aber jenen staatlichen Bereich, der den Besitzstand der Reichen schützt).

Als Denkfabrik dient dem HSG-Absolventen, der seine betriebswirtschaftliche Dissertation über «Sport als Denk- und Handlungsmodell für die Leistungsoptimierung im Management» schrieb, das von Christoph Blocher unterstützte Liberale Institut in Zürich. Model sitzt im Stiftungsrat. Auf der Website des Instituts antwortet er auf die Frage, ob sein Staat ohne Territorium bleibe: «Ich gehe vom Zusammenbruch vieler konventioneller Staaten in den nächsten Jahrzehnten aus. Wenn sich uns ein Staat nach seinem Zusammenbruch schenken will, weil ihn unsere Akademie überzeugt, würde ich nicht ausschliessen, dass wir dieses Geschenk annehmen.»

Man sollte meinen, dass in der tendenziell fortschrittlichen Kulturszene die Alarmglocken läuten. Umso mehr erstaunt es, wie viele Kultur- und Medienschaffende mit Model verbunden sind. Da ist zum Beispiel der studierte Philosoph René Scheu, Redaktor der «Schweizer Monatshefte», der auch als Kenner und Übersetzer der Werke des italienischen Starphilosophen Giorgio Agamben bekannt ist: «Ich möchte nicht auf links oder rechts festgelegt werden. Ich bin liberal und freiheitlich denkend im Sinn von Friedrich August von Hayek», definiert Scheu auf Anfrage seine politische Position. Und präzisiert: «Der Liberalismus hat zwei Gegner: den Sozialismus und den Konservatismus.»

Der 36-Jährige Scheu produzierte beim «St.Galler Tagblatt» die Hintergrundseite, bis Hummler ihn holte. Seither gibt er Model in langen Interviews Gelegenheit, sein Weltbild auszubreiten. Zur Staatsgründung Models sagt er: «Die Idee hat mich fasziniert, weil es ein Experiment mit offenem Ausgang ist. Das Regierungsgebäude in Müllheim ist erst eine Hülle, die noch gefüllt werden muss. Da ist vieles möglich.»

Inzwischen sind die Monatshefte eine Medienpartnerschaft mit rebell.tv eingegangen. Auf den ersten Blick sieht diese von Stephan M. Seydel und Tina Piazzi betriebene Internetseite keineswegs rechtsliberal aus. So etwa pflegt Seydel gute Kontakte zum dadaistischen Cabaret Voltaire in Zürich. Was dann aber auffällt, sind die zahlreichen Spitzen gegen die AchtundsechzigerInnen. Der Verleger von rebell.tv heisst Daniel Model, der auch die Aktiengesellschaft präsidiert. Der Sender fungiert auch als Staatsfernsehen von Avalon, dessen Informationsminister Seydel ist.

Aus Seydel klare Antworten zur politischen Linie des Senders herauszulocken, ist schwierig. Stattdessen verweist er auf die Statuten der rebell.tv AG, zitiert den Dadaschriftsteller Walter Mehring («Ich bin nicht links, ich bin vertikal») und macht darauf aufmerksam, dass zum Verständnis der von ihm aufgestellten Formel «Staat 2.0 = Avalon» die Auseinandersetzung mit Werken von linken Theoretikern wie Bazon Brock und Niklas Luhmann vorteilhaft sei.

Was heisst das, wenn radikalliberale Antidemokraten dadaistische AktivistInnen finanzieren und das Fernsehen eines sozialstaatsfeindlichen Unternehmers mit den Theorien linker Autorinnen und Kunsttheoretiker wie Marlene Streeruwitz, Vilélm Flusser oder Bazon Brock hantiert? Sind wir hier ZeugInnen einer Infiltration rechtsliberalen Gedankenguts in den linkskulturell geprägten Kulturbetrieb – im Sinn von Antonio Gramscis Konzept der «kulturellen Hegemonie», nur eben umgekehrt? Der Basler Ueli Mäder, der sich als Soziologe auch mit neuen Entwicklungen im Zwischenbereich von rechten und esoterischen Ideen auseinandersetzt, meint dazu: «Ja, rechtsliberale Ideologien kommen derzeit verfeinert daher. Manchmal sogar recht unkonventionell und angeblich ohne Tabu, wie etwa in der Kunst- und Musikszene, in der Esoterik und auch an Hochschulen. Sie wirken dadurch harmloser. Und das macht sie verfänglicher. Auch, weil sie an vorhandene Ressentiments anknüpfen; beispielsweise mit ihrer süffisanten Kritik am Staat, den ich dann oft auch mehr in Schutz nehme, als mir lieb ist. Wir müssen jedoch differenzieren, welchen Staat wir meinen, den demokratisch-sozialen oder jenen, der stark gegenüber den sogenannt Schwachen und schwach gegenüber den finanziell Starken ist. Statt immer nur die Effizienz optimieren zu wollen, müssen wir auch ab und zu fragen: Wozu das alles? Sonst wird die Sinnfrage konservativ oder radikalliberal besetzt.» (vgl. «Avalon – die Suche nach dem Reinen» weiter unten)

Geburt auf dem Bodensee

Was am 28. Mai 2008 auf dem Bodensee geschah, scheint modellhaft für diese Vereinnahmung. An jenem Abend trafen Avalon-Vertreter auf das Königreich Elgaland-Vargaland der Konzeptkünstler Leif Elggren und Carl Michael von Hausswolff. Die beiden Schweden proklamierten 1992 ein Doppelkönigreich, das weltweit Niemandsgebiete zwischen Staaten für sich reklamiert. Die Schiffsaktion fand im Rahmen der vierten Triennale zeitgenössischer Kunst Oberschwaben statt, die unter dem Titel «Nichts zu deklarieren» Staatsgrenzen künstlerisch thematisierte. Der Thurgauer Künstler und Kurator Richard Tisserand hatte für die Aktion in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Cabaret Voltaire das Motorschiff Reichenau gechartert. Blasmusik, Jodelchor und Alphornbläser lieferten eine würdevolle Note. Stephan M. Seydel von rebell.tv war auch eingeladen, schliesslich sendete er regelmässig sein Donnerstagsprogramm aus dem Cabaret Voltaire.

Als das Schiff von Kreuzlingen aus in den See sticht, beginnt Tisserand in alter Schmugglertradition mit einem Glasbutterfässchen Rahm zu illegaler Butter zu verarbeiten, aus der er dann «Mödeli» presst, die mit dem Hoheitszeichen des konzeptuellen Königreichs verziert sind. Mit einer Wodkataufe in der Seemitte erfolgt die Annexion des Bodensees durch Elgaland-Vargaland.

Dann tritt Model vors Publikum, das zu einem guten Teil aus seinen AnhängerInnen aus dem Umfeld der Bildhauerschule Müllheim besteht. Er verkündet offiziell seine Absicht, neben der Bildhauerschule einen Regierungspalast für seinen Staat zu bauen. Im Gegensatz zum dekonstruktivistischen Staatsakt der Künstler hat seine Ansprache nichts mit zeitgenössischer Kunst zu tun. Der Bodensee besitzt in der Schöpfungsgeschichte von Models Staat eine Schlüsselrolle: Der Geist der im Nebel verborgenen Insel Avalon aus der Artussage steigt im 21. Jahrhundert aus dem See und lässt sich im Thurgau nieder. Wie Tisserand heute anmerkt, irritierte ihn Models Instrumentalisierung des Anlasses. Tisserand musste denn auch Kritik von Schiffspassagieren einstecken, die dachten, dass er es war, der die Müllheimer eingeladen hatte, was ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen wäre, da er deren Kunstverständnis absolut nicht teilt.

Festgehalten ist der Piratenakt auf rebell.tv – wie fast alle Aktivitäten um Avalon. Im Gründungsprotokoll der rebell.tv AG (Sitz: Amriswil) vom 11. November 2007 heisst es: «Die Gesellschaft entwickelt und betreibt ein von politischen, ideologischen oder anderen Sonderinteressen unabhängiges Publikationsorgan mit liberaler und sozialer Grundhaltung.»

Für Model ist rebell.tv nicht nur das eigene Staatsfernsehen, er ist auch «Angel-Investor» des Senders. Eine Million Franken steckte er in das Projekt von Stefan M. Seydel und Tina Piazzi. «Angel-Investors» leihen Geld an Start-up-Unternehmen, bei erfolgreichem Geschäftsgang verlangen sie exorbitante Zinsen. Rebell.tv wirft jedoch kaum etwas ab. Nur die «Monatshefte» schalten ab und zu Werbung. Und nun läuft die erste von Model geleistete Finanzierungsphase aus.

«Kuss des Todes»

Hanspeter Spörri kennt rebell.tv als regelmässiger und bezahlter Kommentarschreiber aus nächster Nähe. Der ehemalige Chefredaktor des Berner «Bunds» warnte Seydel öfter, er verbrenne Geld. Gegenüber der WOZ bekräftigt Spörri, dass er Seydel nicht zur neuen Rechten zähle, er sei vielmehr ein Pazifist, dessen Aversion gegen die Achtundsechziger eher das Problem des eine Generation Jüngeren sei. Im Übrigen, so Spörri, sei es eine Tatsache, dass Journalisten früher eher «meienbergleten», heute jedoch vor allem «köppeln» würden.

Für die nächsten drei Jahre brauchen die «Rebellen» von rebell.tv drei Millionen Franken, wie sie auf ihrem Blog vorrechnen. Damit könnten sie mehr Leute anstellen und würden den «German speaking part of europe» mit lustigen Filmchen beglücken.

Gegenüber der WOZ bestätigt Seydel die finanziellen Probleme: «2009 war für uns ein Sparjahr. Das Management hat die Lohnbezüge gedrosselt.» Viel Geld kostete auch die Herausgabe von «Die Form der Unruhe», dem dicken rebell.tv-Buch aus dem Hamburger Junius-Verlag. Im Vorwort gibt Model eine Probe dessen, was er unter sozial versteht: «Die Arbeitslosenunterstützung nährt die Verwahrlosung des Begünstigten – dies alles gleicht dem Kuss des Todes.»

Spinnt man diese Gedanken weiter, gehören die Sozialwerke abgeschafft, mittellose Menschen dürfen, sofern sie sich wohl verhalten, mit der Mildtätigkeit der Reichen rechnen. Unangepasste grenzt dieses System aus. Der 500-seitige Wälzer erschien Ende September. Ort der Vernissage war das Dadahaus Cabaret Voltaire in Zürich. Dort waren unlängst erstmals auch Werke des bekennenden Nichtkünstlers Stephan M. Seydel zu sehen. Titel: «Kunst Macht Probleme».

«Da werde ich hässig!» Auf die seltsamen Verbindungen von Seydels rebell.tv angesprochen, tönt die Stimme von Philipp Meier, Direktor des Dadahauses, ziemlich laut aus dem Hörer. In Meiers Augen vertritt Seydel eine urliberale Position. «Natürlich kenne ich die radikalliberale Forderung nach dem schlanken, aber bärenstarken Staat.» Meier ist fasziniert von rebellischen Typen mit visionären Ansichten wie Nicolas Hayek, der frühere, oder Andy Rihs, der aktuelle Geldgeber des Cabaret Voltaire. Aus diesem Grund, so Meier, bewundere er auch die Utopie des Daniel Model, auch wenn er das Kunstverständnis in Müllheim konservativ findet.

«Aphrodite» und «Quell der Weisheit»

Models Kulturkonglomerat vereint auch Gegensätze. Während bei rebell.tv neuste Technik zum Einsatz kommt, hauen die StudentInnen der Bildhauerschule in Müllheim wie in der Antike. Druckluftwerkzeuge, Diamantfräsen und Winkelschleifer sind verboten. Sie klopfen und schleifen die Steinskulpturen in Handarbeit – sogar die Rückseiten der Reliefs.

Mit Béret und Bart verkörpert Schulleiter Urs Strähl das Klischee des Bildhauers. Die Galerie auf der Website der Schule, in deren Stiftungsrat Model sitzt, zeigt unter Nr. A.a.001 ein Werk von Strähl. Aus Basalt und Sandstein meisselte er das Modell einer Pyramide mit einer Treppe, die zu einem Thron führt. Weitere Arbeiten sind betitelt mit «Löwenthron», «Aphrodite» oder «Quell der Weisheit». Die Arbeiten widerspiegeln die reaktionäre Ästhetik, die in Müllheim zelebriert wird. Model möchte im «Modelhof» die Akademien des alten Athen aufleben lassen. Sein Porträt im Stil eines römischen Imperators lässt er auf Silbermünzen, das künftige Zahlungsmittel der AvalonierInnen, prägen.

Für Strähl ergab sich aus der Begegnung mit Model der Auftrag seines Lebens: Wie einst in der Renaissance hat Model für die Planung und Gestaltung des Palasts einen Bildhauer engagiert. An diesem vernebelten Nachmittag im Dezember ist ein Angestellter der Bildhauerschule in einem wohlig geheizten Nebenraum am Modell (Massstab 1:20) mit dem Aufzeichnen der Fugen für die Massivbausteine beschäftigt. Ein junger Bildhauer modelliert an einer Detailstudie für Profile an der geschwungenen Fassade. Der junge deutsche Angestellte erklärt Strähls Vorgehensweise. Im Gegensatz zu zeitgenössischen Architekten, die jedes Detail auf ihren Plänen festlegen, ist die Planung hier auch nach der Baueingabe noch nicht abgeschlossen. So freundlich der junge Mann auch Auskunft gibt, das Fotografieren des Modells verbietet er uns auf Anordnung des Bauherrn Model. Bleibt die Beschreibung: Das Modell stellt einen aus massivem Sandstein gemauerten, dreistöckigen Bau mit Kuppeldach dar. Die neoklassizistische Architektur erinnert stark an Bauten von Adolf Hitlers Architekt Albert Speer.

Der «Modelhof» gibt den BildhauerInnen im Umfeld der Müllheimer Schule viele Aufträge – darunter die profilierten Säulen der zentralen Halle, ein avalonisches Gefäss (wohl dem heiligen Gral nachempfunden) und vieles mehr. Die Bausteine der Steinbruchfirma Bärlocher sind bereits geliefert.

2011 soll hier die Kids’ Charity Gala stattfinden. Wie es sich für neoliberale Unternehmer gehört, betätigt sich auch Sozialstaatsgegner Model als Wohltäter. An einer früheren Gala im Casinotheater Winterthur konnten die geladenen Gäste für 7000 Franken einen Flug mit Model in dessen Privatjet nach Prag ersteigern. 120 Leute kamen damals ins Casinotheater. Unterstützt wurden ein Tanzstudio, ein Chor und ein Sportklub.


«Avalon» – die Suche nach dem Reinen

Wirtschaft, Esoterik und Rechtsextremismus huldigen einem Inseldenken mit autoritären Zügen, sagt der Soziologe Ueli Mäder.

WOZ: Avalon als Räucherstäbchenversand, Avalon als Nazigruppe, Avalon als Staatsbezeichnung: Was steckt hinter diesem Begriff?

Ueli Mäder: Die Nebelinsel Avalon ist Teil der Sage vom keltischen König Artus. Es geht um Rückzug auf einen abgegrenzten Ort, der Übersicht ermöglicht und sich als Projektionsfläche eignet. Auch in frühsozialistischen Romanen finden Utopien oft auf Inseln statt. Bei Avalon aber dreht sich die Verklärung um Mittelalter, Herrschaft, Macht, Ehre und Rittertum. Teilweise wird der Begriff von der Rechten symbolisch und strategisch eingesetzt. Andere nähern sich dem Roman «Die Nebel von Avalon» und finden darin etwa feministische Ansätze.

Benutzen Rechtsextreme den Begriff als Tarnung, um in die Gesellschaft einzudringen? Oder bestehen zwischen der Rechten und der Esoterik gemeinsame Wurzeln?

Beides. Doch ist das Strategische wohl stärker. Indem sie in einen Bereich vorstossen, in dem Rationalität aufgeweicht ist, hoffen sie, Leute zu finden, die für ihre rechtsextremen Gedanken anfällig sind. Gemeinsame Wurzeln liegen in der Suche nach Reinheit, Gemeinschaft und Heilserwartung.

Esoterik nimmt oft fernöstliche Vorstellungen auf. Wo können da rechte Ideologen anknüpfen?

Die Vorstellung eines Aufstiegs der Seele ist anfällig für eine Ideologie von Mehr- und Minderwertigen. Einerseits propagiert Esoterik Individualität und Vertrauen ins eigene Innere; anderseits findet man in esoterischen Kreisen die Bereitschaft, sich aufzugeben. Je höher der geistige Führer aufs Podest gestellt wird, umso stärker kann der Einzelne durch Unterwerfung scheinbar an seiner Macht teilhaben.

Die Rechte arbeitet also mit der Verwischung von Grenzen?

Wir leben in einer Gesellschaft, in der vieles nicht mehr eindeutig ist. Selbst in esoterischen Strömungen mit autoritären Ideen oder rechtsextremen Bewegungen findet man vordergründig linke Aussagen. Das geschieht aber in einem Gefüge, das aus Gesellschaftskritik etwas Rückwärtsgewandtes macht und den kritisierten Verhältnissen zudient.

Aber wirken nicht auch Wissenschaft und Aufklärung oft unterdrückend?

Die verabsolutierte Ratio kann zu etwas Irrationalem verkommen. Wir müssen aus den bürokratischen Sachzwängen ausbrechen, indem wir zulassen, was sinnvoll ist: Auch Intuition und Gefühle sind soziale Realitäten. Vernunft muss dazu dienen, Erfahrungen einzuordnen und zu bewerten. Die Errungenschaften der Aufklärung würde ich keinesfalls preisgeben.

Menschliche Emanzipation wäre für mich der richtige Entwurf. Das allerdings würde die Ausweitung einer Demokratie voraussetzen, die nicht vor der Wirtschaft haltmacht und diese als Insel akzeptiert, auf der gesellschaftliche Errungenschaften ausser Kraft gesetzt sind.

Den Begriff «Insel» haben Sie auch bei Avalon verwendet...

Esoterische Verabsolutierungen sind die Kehrseite einer globalistischen, einseitig hochstilisierten Wirtschaft mit Absolutheitsanspruch. Diese Wirtschaftsinsel hat in den letzten Jahren ihre Macht ausgeweitet, ohne dass das gesellschaftliche Korrektiv Schritt gehalten hat. Dieser Selbstlauf hat ein Gefüge geschaffen, in dem sich Inselansprüche der Wirtschaft und esoterische oder rechte Inselfantasien zu sehr autoritären Tendenzen verdichten könnten.

Ueli Mäder (57) ist Professor für Soziologie an der Uni Basel und der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).


Das Gespräch ist eine gekürzte Fassung eines Interviews, das in der «Basellandschaftlichen Zeitung» erschienen ist.


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