ZENTRUM PAUL KLEE: Unbehagen zwischen adretten Bäumchen

Nr. 35 –

Das neue Berner Museum gilt als gelungene Annäherung an Klees Kunst. Warum aber fühlt man sich auf dem Gelände so unwohl?

Die Kindheit ist eine gefährliche Landschaft, besonders für Erwachsene. Wer sich in die entschwundene Welt zurückwünscht oder diese wiedererrichtet, wird nicht selten enttäuscht. Wer sich dem kürzlich eröffneten Zentrum Paul Klee nähert, das am östlichen Rand Berns liegt, ist bei dessen Anblick überrascht: Der wellenförmige Museumsbau des Stararchitekten Renzo Piano scheint soeben aus dem sanft abfallenden Gelände herausgewachsen zu sein, das hinten von Wald und vorne von der Autobahn gerahmt wird. Spektakulär vereinigen sich hier Architektur und Natur zu einer harmonischen «Landschaftsskulptur».

Nach den ersten Schritten auf dem Grundstück hingegen beschleicht einen Unbehagen. Sind es die vielen TouristInnen, die den metallisch und gläsern blitzenden Bau aus allen möglichen Perspektiven fotografieren? Oder ist es die rund fünfzehn Meter hohe Stange, die knallrot vor dem Museum aufragt? Klees kleines Aquarell «Labiler Wegweiser», das als Vorlage diente, will so gar nicht zu dieser grossen Geste passen. Klees Kunst schuldet der - mitunter idealisierten - Welt des Kindlichen viel. Er glaubte an die «Natur des Schöpferischen» und sehnte sich danach, «die trockene ‹Vernünftigkeit› der Erwachsenen loszuwerden und die unverdorbene Phantasie (...) der Kinder wiederzugewinnen», wie der Kunsthistoriker Ernst Gombrich schrieb.

Die Welt der kindlichen Fantasie: An der Mauer des Schweinestalls lag unser Sandkasten. Versunken formten wir mit Händen, Plastikschaufeln und Wasser unsere Landschaften: Bauernhöfe, Getreidefelder und Weidenzäune. Wir bauten Schlossanlagen mit Terrassengärten, dicken Mauern und tiefen Wassergräben. Im Winter lagen wir bäuchlings auf dem weichen rosa Teppich und reihten gelbe Legosteine zu verzweigten Strassensystemen; stundenlang liessen wir unsere Spielzeugautos über Autobahnen und Überholstreifen fahren, bis die Räder im Teppich unauslöschliche Spuren hinterlassen hatten.

Doch die kindliche Fantasie ist nicht nur schöpferisch. Sie schafft Welten, die zugleich zauberhaft und obsessiv sind. Kinder vertiefen sich auch in das Kleinliche; sie lieben ihre Weglein, Steglein und Brücklein, die Bäumchen und Büsche; sie pflanzen an jeder Gabelung Wegweiser, die ihr Reich indexieren. Damit sie die Kontrolle über die träumerischen Kreationen nicht verlieren, grenzen sie ihren Besitz narzisstisch nach aussen ab.

Auch die Berner «Landschaftsskulptur» grenzt sich ab, mit Nachdruck. Die äusserste Metallrippe der drei Wellen verschwindet nicht wie die anderen Rippen im Boden, sondern läuft ohne Unterbruch um die gesamte Anlage herum; der unregelmässige, zwischen einem halben und zwei Metern hohe Kreis bildet die innerste Grenze. Sie wird mehrfach nachgezogen: durch zahllose Laternenpfähle, die sich im Abstand von zwanzig Metern folgen, durch einen säuberlichen Kiesweg, auf dem man die Anlage umschreiten kann, und durch hunderte frisch gepflanzter Bäumchen und Büsche.

Daher rührt das Unbehagen: Der Besucher kommt sich vor wie in einer überdimensionierten kindlichen Wunschlandschaft, die sich in steriler Infantilität realisiert hat. Das Zentrum Paul Klee ist Gegenstand gewordene Regression: Unzählige Bäumchen posieren adrett vor akkuraten Fusswegen, die sich - nach Klees Werken benannt («Monument im Fruchtland», «Luft-Station», «Rad-wahn» ...) - massvoll durch die Gegend schwingen. Wegweiser garantieren die Orientierung: gläserne, meterhohe Stelen, die mehrsprachig anzeigen, auf welchem Weglein es zum Museum, zum Parkplatz, zum Restaurant, zum Skulpturenpark geht. Wer sich auf dem übersichtlichen Grundstück verirren sollte, wird seine Position auf einer der Situationstafeln wiederfinden.

Diese regressive und überflüssige Inszenierung war teuer. Bezahlt und (zusammen mit dem Architekten) geplant haben sie der emeritierte Chirurg und erfolgreiche Medizinaltechnologe Maurice E. Müller und Martha Müller-Lüthi, die gleich oberhalb der Museumsanlage am Waldrand wohnen und sich also täglich an ihrem Werk erfreuen können. Die Gattin hat die «Landschaftsskulptur» noch mit einem Skulpturenpark aufgewertet: Neben den esoterisch mäandernden Wegen stehen fünf bronzene und stählerne Skulpturen, die nicht von Klee sind. Doch sie verschwinden ohnehin zwischen den rund fünfzig jungen Birken, die an ein unterirdisch verlaufendes Bewässerungssystem angeschlossen sind. Die Tochter wiederum, Janine Aebi-Müller, hat das im Untergeschoss des Zentrums untergebrachte Kindermuseum Creaviva eingerichtet, in dem Gross und Klein sich «gestalterisch mit Kunst auseinander setzen kann».

Die Landschaften der Kindheit sind gefährlich. Die unerfüllten Wünsche bleiben die schönsten.