Durch den Monat mit Denis Hänzi (Teil 1): Krise der Männlichkeit?

Nr. 10 –

WOZ: Denis Hänzi, Sie beschäftigen sich als Soziologe mit Männlichkeitsbildern. Wie sind Sie zur Männerforschung gekommen?
Denis Hänzi: Männer haben mich schon immer interessiert. Sind das nicht merkwürdige Wesen? Da will man doch näher hingucken.

Und was ist das Ziel der Männerforschung?
Eine eigentliche Disziplin, die sich Männerforschung nennt, gibt es nicht, darum kann ich nur für mich reden. Und ich würde nicht von einem Ziel sprechen. Ich will als Forscher nichts verändern, sondern etwas Neues herausfinden – sei es über ehemalige Swissair-Kapitäne, sei es über zeitgenössische Theaterregisseure. Es ist spannend, die Denkmuster oder beruflichen Selbstbilder von Männern herauszuarbeiten und zu fragen, in welcher Hinsicht sie geschlechtlich codiert sind.

Ist ein Wissenschaftler stigmatisiert, wenn er sich auf Genderthemen spezialisiert?
Eher belächelt. In letzter Zeit heisst es oft: Ach, Gender, wir wissen doch, dass die Frauen benachteiligt sind, also hört endlich auf damit. Glücklicherweise war aber die Haltung des Schweizerischen Nationalfonds eine andere, als es 2006 um das interdisziplinäre Graduiertenkolleg «Gender: Scripts and Prescripts» der Universitäten Bern und Freiburg ging. Da wird jetzt ein Bündel von Dissertationsprojekten gefördert, der Nationalfonds begrüsst also Geschlechterforschung. Das wird er hoffentlich weiterhin tun, denn nach wie vor besteht – gerade zur Männlichkeit – ein immenser Forschungsbedarf.

Geschlechterforschung gilt aber als typische Frauendisziplin.
Stimmt. Lange hiess Geschlechterforschung vor allem Forschung von Frauen über Frauen. Fragen der Männlichkeit wurden dabei vernachlässigt. Als ich an der Uni Bern die Einführung in die Geschlechtersoziologie besuchte, wurde das Thema nur am Rande behandelt. In einem Seminar bei Claudia Honegger war dann aber eine Sitzung der Männlichkeit gewidmet. Zusammen mit einem anderen Studenten – einem professionellen Bobfahrer, wenn ich mich recht erinnere – habe ich mir dieses Referatsthema geschnappt.

Seit ein paar Jahren gibt es einen richtigen Boom in der Männerforschung. Werden sich die Männer nun auch die Genderstudies unter den Nagel reissen?
Kaum. In der Geschlechterforschung sind Männer immer noch dünn gesät. In dem erwähnten Graduiertenkolleg beispielsweise war ich anfangs – neben fünfzehn Doktorandinnen – der einzige Mann. Nun ist noch ein zweiter hinzugekommen. Enfin! Damit hat sichs aber. 
Ein «unfriendly takeover» der Genderstudies droht also nicht.

Scheuen sich Männer mehr als Frauen davor, sich selber zum Objekt der Forschung zu machen?
Vielleicht, ja. Bestimmt hat das aber auch mit dem Karrieredenken zu tun. Manch ein Mann befürchtet wohl, kein richtiger Soziologe oder Geograf zu sein, wenn er sich mit Genderstudies beschäftigt, sondern ein transdisziplinär verwirrter Hybrid. Vielleicht ist es aber gar nicht so schlecht, heute als Mann Geschlechterforschung zu machen. Vielleicht erweist es sich als eine Art Nischenstrategie. Es ist ja zum Glück einiges im Wandel.

Auch die Männlichkeit. Steckt sie wirklich in einer Krise?
Wie mans nimmt. Es stimmt schon, dass die Männlichkeit in den letzten Jahren zunehmend infrage gestellt wurde. Dass man aber überhaupt von einer Krise der Männlichkeit spricht, zeigt auch, dass man davon ausgeht, dass Männlichkeit eigentlich etwas Unproblematisches ist, der Normalfall eben. Es ist ja interessant, dass man nie von einer Krise der Weiblichkeit oder von einer Krise der Schwulen spricht. Ein charakteristisches Merkmal von 
heterosexueller Männlichkeit ist, dass sie traditionellerweise nicht hinterfragt wird. Sie wird als das allgemein Menschliche, das Normale betrachtet und so stillschweigend reproduziert. Wenn sie infrage gestellt wird, wird aber sichtbar, dass Männer auch Geschlechtswesen sind und dass Männlichkeit ein gesellschaftliches Konstrukt ist, das historischen Veränderungen ausgesetzt ist.

Denis Hänzi, 1977 in Biel/Bienne geboren, beschäftigt sich als Kultursoziologe mit Fragen der Männlichkeit. Er ist Doktorand am Institut für Soziologie der Uni Bern. Zuletzt hat er sich mit den beruflichen Selbstbildern ehemaliger Swissair-Piloten befasst.