US-Immobilienkrise: Panik in der Wüste

Nr. 48 –

Ausufernde Stadtentwicklung, Wucherzinsen, stagnierende Löhne und Bodenspekulation: Der Zusammenbruch des US-Häusermarktes hat viele Gründe, wie das Beispiel der Stadt Palmdale zeigt.


Die Stadt Palmdale liegt am Rand der kalifornischen Mojave-Wüste, rund hundert Kilometer östlich von Los Angeles. Die konsequent grossflächig gebaute Stadt mit ihren 150 000 EinwohnerInnen ist - typisch für Südkalifornien - gänzlich auf den Autoverkehr ausgerichtet. Land gibt es offensichtlich zum Verschwenden viel, befinden sich doch zwischen den Wohnvierteln, Einkaufszentren und einzelnen Geschäftshäusern zahlreiche Brachen. Sie lassen erahnen, wie es hier einmal ausgesehen hat: Sand, Steine, verdörrtes Gras, ein paar Büsche und dazwischen Joshua Trees - bis zu zehn Meter hohe Palmlilien.

Palmdale steht derzeit völlig im Banne der Immobilienkrise. Viele Neubauten stehen leer. Entlang der Quartierstrassen reiht sich ein «Zu verkaufen»-Schild ans andere. Vor vielen Häusern stehen alte, verbeulte Autos. Die Stadt war in den achtziger und neunziger Jahren regelmässig auf den vordersten Rängen der am schnellsten wachsenden Städte der USA zu finden. Heute belegt sie einen Spitzenplatz bei den Zwangsräumungen. Viele sind nicht mehr in der Lage, ihre Hypothekarzinsen zu zahlen, und müssen ihr Haus verkaufen.

Palmdale ist seit fast dreissig Jahren ein Tätigkeitsgebiet der sogenannten Developers, also jener privaten Entwicklungsgesellschaften, die in der Nähe von Grossstädten wie Los Angeles, Las Vegas oder Atlanta riesige Parzellen aufkaufen, Quartierstrassen, Wasser- und Stromanschlüsse legen und schliesslich für InteressentInnen Wunscheigenheime im Fertigbaustil aus dem Katalog erstellen, die sie ihnen mit grossem Profit verkaufen. Der Stadtsoziologe Mike Davis schreibt über die Developers von Los Angeles: «Für die zehn oder zwölf grossen Firmen aus Newport Beach oder Beverley Hills ist die Wüste nichts anderes als eine Abstraktion aus Dreck und Dollarzeichen.» Der Stadtplaner und Journalist William Fulton spricht von einer «Wachstumsmaschine», die «nicht zu stoppen ist». Die Developers würden Los Angeles seit den zwanziger Jahren massgeblich beeinflussen und im Verbund mit der Bauindustrie, aber auch mit den Gewerkschaften auf die Erschliessung immer weiterer Gebiete drängen. Angetrieben wurde dieses Wachstum zudem von einem nicht abreissenden Strom von ZuzügerInnen. Der Grossraum Los Angeles zählt heute rund achtzehn Millionen EinwohnerInnen und besteht aus einem Häuserband, das sich gut hundert Kilometer der Küste entlangzieht und bis zu sechzig Kilometer ins Landesinnere erstreckt. Dennoch erstaunt es, dass den Developers der Sprung über die San Gabriel Mountains in die Mojave-Wüste gelang. Hier ist das Klima viel heisser und trockener als am Pazifik. Arbeitsplätze gibt es zudem viel zu wenige, kulturelle Angebote kaum. Dass in den letzten Jahren trotzdem Zehntausende hierher zogen, zeugt vom weit verbreiteten Wunsch, unter allen Umständen ein eigenes Haus zu besitzen, wie es zum American Dream gehört.

Keine Oscars

«Die Gebiete des dritten Agglomerationsgürtels von Los Angeles sind am stärksten von der Hauskrise betroffen», sagt Paul Zimmerman, Geschäftsleiter der südkalifornischen Vereinigung für nichtprofitorientierten Wohnbau. Zimmerman verfolgt seit Jahren die Entwicklung der Wohnsituation im Grossraum Los Angeles. «Viele Arbeiterfamilien zogen wegen der vergleichsweise günstigen Immobilienpreise in Gegenden wie Palmdale.» Doch jetzt habe sich gezeigt, dass sie sich den Traum vom Eigenheim doch nicht leisten können. «Die Durchschnittseinkommen in den USA stagnierten in den letzten zwanzig Jahren», sagt Zimmerman. Wer da einen Hypothekarvertrag abschliesst, bei dem die monatlichen Zinszahlungen Jahr für Jahr steigen, kann irgendwann nicht mehr mithalten. Und auch wer noch auszuharren vermag, spürt die Folgen: Ziehen in einer Nachbarschaft viele HausbesitzerInnen aus, so verlieren alle Häuser in der Umgebung an Wert, weil die «Qualität der Nachbarschaft» nicht mehr gewährleistet sei, sagt Zimmerman. Palmdale drohe «zu kollabieren». So sind hier die Immobilienpreise innerhalb eines Jahres um durchschnittlich 44 Prozent gesunken. Im Internet findet sich etwa das Angebot eines Vierzimmerhauses für 75 000 Dollar, das vor zwei Jahren noch 260 000 Dollar kostete.

David Walter ist bei der Stadtverwaltung von Palmdale für die ökonomische Entwicklung zuständig. Er weiss, dass die Stadt mehr Arbeitsplätze braucht. 45 000 Menschen quälen sich jeden Werktag durch die Staus auf der Interstate-14-Autobahn nach Los Angeles. Die Immobilienkrise werde die Stadt nicht an ihrer weiteren Entwicklung hindern, ist Walter überzeugt: «Wir rechnen mit bis zu einer halben Million Einwohnern - im Vergleich zu Los Angeles ist das nicht viel.» Der Standortvorteil von Palmdale? «Billiges Land.» Kulturelle Angebote? «Es finden gelegentlich Konzerte statt. Klar, wir verteilen hier keine Oscars, aber vielleicht wollen wir das auch gar nicht.»

Die Stadtverwaltung ist in einem schmucken zweistöckigen Haus untergebracht, dessen Baustil an das nahe Mexiko erinnert. In einem Nebengebäude befindet sich die Stadtbibliothek, wo alles Lesenswerte zur Geschichte des Ortes aufbewahrt wird. «Palmenthal» nannten 1886 die ersten SiedlerInnen - sechzig Schweizer und deutsche BäuerInnenfamilien - diese Wüstenödnis. Sie hielten die Joshua Trees fälschlicherweise für erste Zeugnisse des milden pazifischen Klimas. Als ihnen klar wurde, dass hier mit Ackerbau und Früchteplantagen kein Überleben möglich ist, zogen die meisten weiter.

Wenn alles zusammenkommt

Helen Moore leitet eine Beratungsstelle für Wohnungsfragen in der Agglomeration von Los Angeles. «Wir erhalten täglich über hundert Anrufe von Leuten, denen eine gerichtliche Ausweisung aus ihrem Eigenheim droht und die wissen wollen, was sie tun können», sagt sie. Von ihren KlientInnen hätten die meisten einen Hypothekarvertrag unterschrieben, bei dem die Zinsen im Lauf der Jahre ansteigen. «Die mussten vielleicht zuerst nur 800 Dollar pro Monat zahlen, jetzt sind aber plötzlich 2000 Dollar fällig.» Immer mehr Leute werden zudem arbeitslos und könnten ihre Zinsen deshalb nicht mehr zahlen. Moores Beratungsstelle versucht jeweils, mit den beteiligten Banken Vereinbarungen zur Senkung der monatlichen Zahlungen auszuhandeln. Die Grossbanken und auch die verstaatlichten Kreditinstitute Fannie Mae und Freddie Mac kündigten am 11. November an, dass sie den HausbesitzerInnen entgegenkommen und die Zinsforderungen reduzieren wollen. Das kommt allerdings zu spät. Viele seien bereits derart im Rückstand, dass sie nicht mehr in den Genuss der Hilfe kommen, schreibt die «Los Angeles Times». In den gesamten USA läuft derzeit gegen über eine halbe Million SchuldnerInnen ein Ausweisungsverfahren. Vier Millionen sind mit ihren Zahlungen in Rückstand.

Leere Stadtkassen

Laut David Walter unterstützt die Gemeinde Palmdale ab und an Leute, die dringendste Reparaturen, etwa der Wasserleitung oder Klimaanlage, nicht mehr bezahlen können. Darüber hinaus gibt es jedoch kein Geld. Die Gemeinden in Kalifornien sind alle notorisch arm, seit vor rund dreissig Jahren in einer Volksabstimmung die Steuern für Wohneigentum drastisch gesenkt wurden. Damit reduzierte sich die wichtigste Einnahmequelle der Gemeinden dramatisch. Auch der Staat Kalifornien wird kaum helfen können: Eben hat Gouverneur Arnold Schwarzenegger wegen der Überschuldung massive Kürzungen bei den Staatsausgaben angekündigt.

Wer aus seinem Heim ausziehen muss, versucht laut Helen Moore meist, eine Wohnung oder ein Haus zu mieten. Allerdings sind die Preise hoch. Paul Zimmerman sagt, im Grossraum Los Angeles fehlten 200 000 Wohneinheiten; 80 000 Menschen müssten in Garagen leben.

Trotz dieser Notlage ist es für nichtprofitorientierte Baugesellschaften nicht einfacher geworden, günstige und ökologische Mietwohnungen zu erstellen. Im Gegenteil: «Die Banken geben für diese Projekte keine Kredite mehr», klagt Paul Zimmerman. Die Verunsicherung in der Finanzbranche trifft ausgerechnet jene, die auf ein Wohnen jenseits der Spekulation setzen.

Immerhin gibt es eine Gruppe von Menschen, die von der Immobilienkrise profitiert. Laut Helen Moore kommen derzeit viele neue KäuferInnen, die bis anhin kein Haus besassen und von den Banken als kreditwürdig eingestuft werden, günstig zu einem der Eigenheime, die nun massenweise zwangsversteigert werden. Die amerikanische Traummaschine läuft weiter.



Ein Eigenheim für alle

Ab den neunziger Jahren boten die Banken in den USA immer mehr HauskäuferInnen Hypotheken an, bei denen die fälligen Zinszahlungen über die Jahre ansteigen. Zudem vergaben sie sogenannte Subprime-Kredite an Leute mit schlechter Bonität, die dafür einen entsprechend höheren Gesamtzins in Kauf nehmen mussten. Schon ab Ende der neunziger Jahre wurde dies vielen ärmeren HausbesitzerInnen zum Verhängnis. Sie mussten ausziehen, weil sie die höheren Raten nicht aufbringen konnten. Damals hat das die breite Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Die Banken konnten die leeren Häuser dank des Immobilienbooms ohne Verluste weiterverkaufen. Die tiefen Leitzinsen der Notenbanken und die Deregulierung des Bankensektors unter Präsident Bill Clinton haben dieses Spiel mit begünstigt. Ausserdem wurde Hausbesitz von den beiden grossen politischen Parteien als identitätsstiftendes Element der US-Gesellschaft propagiert.

Die Selbsthilfeorganisation Association of Community Organisations for Reform Now (Acorn) protestiert seit 1999 gegen die «Wucherzinsen» der Hypothekarbanken. Acorn wies in mehreren Studien nach, dass AfroamerikanerInnen und Latinos trotz guter Bonität viel eher als Weisse mit Subprime-Hypotheken abgespeist wurden. Acorn forderte vergebens bessere Gesetze zum Schutz der SchuldnerInnen.

Das West-Nil-Virus

Die Immobilienkrise hat in Los Angeles zu einem starken Anstieg des West-Nil-Fiebers geführt. Dies geht aus einer eben veröffentlichten Studie der Universität Kalifornien hervor. Der Grund: Verdreckte Swimmingpools auf Tausenden von verlassenen Grundstücken sind zur idealen Brutstätte für Stechmücken geworden, die das West-Nil-Virus weiterverbreiten. 2007 erkrankten in Kalifornien 355 Menschen am West-Nil-Fieber, 5 starben daran.