Juristische Folgen: «Service für die Schattenindustrie»

Nr. 9 –

Mark Pieth, Basler Strafrechtsprofessor und Experte für Wirtschaftsdelinquenz, über eine Strafuntersuchung gegen die UBS, Fabriken der Steuerumgehung und einen Telefonanruf von Marcel Ospel.

WOZ: Mark Pieth, die UBS und die US-Justiz haben einen Vergleich abgeschlossen. Darin steht zu lesen, dass Berater ihre Kunden bei der Steuerflucht unterstützten. Dass sie sich selbst ohne Arbeitsbewilligung in den USA aufhielten. Dass ihre Tätigkeit mit einem Bonisystem unterstützt wurde. Und dass die Führungsspitze über all das informiert war. Ist die UBS eine kriminelle Organisation?
Mark Pieth: Gegen die Grossbank wurde in den USA wegen «conspiracy» ermittelt. Der Terminus der Verschwörung wird im amerikanischen Recht jedoch häufig verwendet und bezeichnet noch keine mafiaähnliche Tätigkeit.

Immerhin. Wäre nicht auch in der Schweiz eine Strafuntersuchung angebracht? Muss die UBS-Leitung hinter Gitter?
Das Schweizer Steuerrecht schützt nicht US-Interessen. Wir geben bei Steuerbetrug allenfalls Amts- oder Rechtshilfe. Denkbar ist aber, dass geschädigte Kundinnen oder Aktionäre gegen die Bank und ihre Leitung zivilrechtlich vorgehen. Aber reden wir lieber über den Hintergrund der aktuellen Entwicklung.

Nur zu.
Die USA, aber auch Deutschland, sind mit einer Steuerumgehung in grossem Ausmass konfrontiert. Das Geld der Reichen fehlt – für die Aufrechterhaltung des Sozialstaates und jetzt, in der Wirtschaftskrise, sowieso.

Wo liegt das Geld?
Zu einem beträchtlichen Teil wurde es in den letzten fünfzehn Jahren in die Schweiz transferiert. Heute wird ein Drittel der weltweiten Privatvermögen hier verwaltet.

Ein Drittel! Darum der internationale Druck?
Die Schweiz hat eine lange Tradition der Serviceleistungen für alle möglichen Schattenindustrien. Sie hat die Apartheid finanziell am Leben erhalten und die Vermögen von Potentaten wie dem philippinischen Exdiktator Ferdinand Marcos verwaltet. Auch Schmiergeldzahlungen im Oil-for-food-Programm liefen zum Teil über hiesige Konten. Man könnte die Liste verlängern, zum Beispiel um Waffen- oder Rohstoffhandel. Eine Konstante bleibt: Die Schweiz hat sich immer nur auf Druck von aussen bewegt.

Serviceleistungen für Schattenindustrien – wie kamen die Privatvermögen steuerfrei in die Schweiz?
Vorweg: Fabriken der Steuerumgehung gibt es weltweit, beispielsweise auch jene Grossbritanniens auf den karibischen und den Ärmelkanalinseln. Typisch für diese ist der Bau von entsprechenden Strukturen, das heisst die Kombination von Anwaltsgeheimnis, starkem Bankgeheimnis und dem Einsatz von Briefkastenfirmen. So entstehen dreifach kumulierte Geheimnisse. Solche Dienstleistungen offeriert auch der Finanzplatz Schweiz.

Sie sprechen pauschal von Steuerumgehung.
Der Unterschied zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung interessiert mich nicht. Das Bankgeheimnis hat einen liberalen Kern, denn es schützt Persönlichkeitsrechte, es sollte aber keinem deliktischen Zweck dienen. Das haben mittlerweile selbst die bürgerlichen Kommentatoren eingesehen. Es gibt allerdings keinen Grund, jetzt überrascht zu tun.

Weshalb?
Es war absehbar, dass sich die Trennung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung in der internationalen Kooperation auf Dauer nicht aufrechterhalten lässt. Ich habe schon vor fünf Jahren, aus Anlass der bilateralen Verträge, in einem Artikel geschrieben, die Grossbanken würden ein Leben nach dem Bankgeheimnis planen. Darauf hat mir der damalige UBS-Präsident Marcel Ospel telefoniert und gesagt: «Mir liegt daran, dass Sie wissen, dass ich das nicht so sehe.» Man wollte alle auf die Durchhalteparole einschwören.

Ospel hat das Ende nicht kommen sehen?
Man wollte jedenfalls fünf, zehn weitere Jahre Geschäfte machen. Und nicht nur Ospel: Die Privatbanken stehen den Grossbanken in der Unterstützung der Steuerumgehung in nichts nach.

Wie beurteilen Sie als Rechtsprofessor, dass mit dem Vergleich zwischen UBS und US-Justiz in ein laufendes Verfahren am Bundesverwaltungsgericht eingegriffen wurde?
Dieser Entscheid liegt quer zur Gewaltenteilung und ist eines Rechtsstaates unwürdig. Zum zweiten Mal wurde Notrecht angewendet. Letztlich war es aber eine Abwägung, ob man die Freiheitsrechte von Bürgern, die sicher übermässig und am falschen Ort reklamiert werden, höher gewichten will als den Fortbestand der UBS.

Und die Grossbank wurde juristisch höher gewichtet.
«Notrecht» ist kein Recht. Kommt es zum Einsatz, so ist das nicht ein juristischer, sondern ein politischer Entscheid.

Der stets mit dem gleichen Argument begründet wird: Die UBS ist «too big to fail».
Vermutlich gibt es im Moment tatsächlich keine Wahl. Warum wurde die Schweiz zu einem solchen Bankenplatz? Es war die Hinterzimmerstrategie der Grossbanken und einzelner Mitglieder des Bundesrates, einen solchen Bankenplatz aufzubauen. Jetzt braucht es eine neue Strategie. Eine kreative Taskforce soll sie erarbeiten.

Mark Pieth, 1953, ist Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Basel. Als internationaler Experte ist er in den Bereichen Wirtschaftsdelinquenz, organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, Korruption und Sanktionenrecht tätig.