Krise: Grober Unfug

Nr. 27 –

Doppelbesteuerungsabkommen und Klage gegen die UBS in den USA: Die Schweiz hat sich politisch an die Wand manövriert. Es gibt kaum noch Spielraum und kein Umdenken. Stattdessen schreibt der Bundespräsident der WOZ einen Brief.


Vor zwei Wochen publizierte die WOZ unveröffentlichte erotische Fantasien des Hobbyschriftstellers Hans-Rudolf Merz, Bundespräsident und Finanzminister. Am Donnerstag, 25. Juni, schreibt Hans-Rudolf Merz der WOZ deshalb einen Brief: «Ich habe diesen Text vor Jahren zu meinem privaten Vergnügen verfasst. Ich fordere Sie auf, künftige Veröffentlichungen des Textes zu unterlassen.» Die WOZ kommt der Bitte nach. Wie aber am 28. Juni der «SonntagsZeitung» zu entnehmen war, prüft das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) auch eine Klage gegen die WOZ. Warum? «Es geht uns darum, herauszufinden, wie die WOZ an diese privaten Schriftstücke kam», sagt EFD-Sprecher Roland Meier gegenüber der WOZ. Hat das Departement bei seinem Vorsteher nachgefragt? Meier: «Ja, wir haben ihn gefragt. Und Herr Merz kann es sich nicht erklären.»

Die WOZ kann helfen: Bundesrat Hans-Rudolf Merz hat seinen Text einem Journalisten zukommen lassen.

Es ist ein roter Faden, der sich durch seine politische Arbeit zieht: Merz markiert Härte, wo es nichts zu markieren gibt. Wenigstens kommen ihm dabei die freisinnigen Seilschaften noch zu Hilfe: Am Montag gab er der NZZ ein Gefälligkeitsinterview voller innenpolitischer Propaganda und aussenpolitischer Behauptungen, am Dienstag verabschiedete er den abtretenden Chefredaktor des «St. Galler Tagblatts»: «Die Leserschaft einer ganzen Region begleitet seinen Abschied vom St. Galler Tagblatt mit einem herzlichen: ‹Danke, Chef!›»

USA unbeeindruckt

Merz sagt im «Abwehrkampf um den Finanzplatz Schweiz» (NZZ), also in den Verhandlungen um neue Doppelbesteuerungsabkommen, Sachen wie: «Ohne deutsche Zugeständnisse wird es kein Steuerabkommen geben.» Oder: «Die UBS ist für unsere Volkswirtschaft derart wichtig, dass ich dem US-Finanzminister deutlich gemacht habe, eine Volksabstimmung über das Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA werde es schwer haben, wenn keine Lösung in der Angelegenheit UBS vorliegt.»

Das muss die USA irrsinnig beeindruckt haben: 48 Stunden nach Merz’ Aussagen wird klar, dass sich die US-Regierung gegen eine rasche Einigung mit der UBS sperrt. Sie unterstützt die Steuerbehörde IRS. Die will mit einer Klage an die Namen von Tausenden US-KundInnen der UBS herankommen. Der erste Gerichtstermin ist in zwei Wochen.

Merz kann sich in der NZZ unwidersprochen als Verhandler profilieren, obwohl klar ist, dass er selbst am 13. März entschieden hat, «seinen Vorbehalt zu Artikel 26 des OECD-Musterabkommens zurückzuziehen». Das ist der Artikel, um den es geht: Er regelt den Informationsaustausch in Steuerfragen. Fragt ein Land zukünftig nach den Daten von Herrn Muster, muss die Schweiz sie liefern. Ein belegter dringender Tatverdacht, wie dies Merz behauptet, ist dabei gar nicht nötig. Merz ist jetzt höchstens ein Bittsteller, der hofft, dass sich aufgrund des Entgegenkommens in dieser Sache die Verhandlungsposition der Schweiz bald verbessern wird.

Widersprüche reihen sich dabei aneinander: Im selben NZZ-Interview sagt Merz: «Falls die eidgenössischen Räte nicht gleicher Meinung wären wie der Bundesrat [dass die Standards nötig sind, Anm. d. Red.], müssten wir auf die Risiken aufmerksam machen: Sanktionen, die einfach eingeleitet werden können und vor allem den Werkplatz hart treffen.» Im gleichen Interview sagt er, man nehme ein Scheitern der Verhandlungen in Kauf, wenn etwa in den Verhandlungen mit den USA für die UBS nichts herausspringe.

Das beweist: Die UBS und deren Interessen sind Merz nach wie vor wichtiger als die Interessen des Werkplatzes und des Landes. Merz riskiert deren Schaden, wenn die UBS in den USA für ihr kriminelles Verhalten zur Rechenschaft gezogen wird. Merz ist nach wie vor der Mann der Banken, der Bundesrat der Banken, der Bundespräsident der Banken. Kürzlich wurde aus seinem Wikipedia-Eintrag ein WOZ-Artikel entfernt, der eben diesen politischen Werdegang kritisch beleuchtete («Sein kleines Bankgeheimnis»).

Doppelmoral

Dass die Schweiz in den jetzigen Verhandlungen derart schlecht dasteht, hat mit der Haltung von Merz und Kompanie in den vergangenen (vielen) Jahren zu tun: OECD-Verhandlungen seien unwichtig, das Bankgeheimnis sei nicht verhandelbar. «Am Bankgeheimnis wird sich die EU die Zähne ausbeissen», sagte Merz im Frühling 2008. Ein Jahr später haben die USA und Deutschland das Bankgeheimnis bereits durchgekaut.

Merz will nun im deutschen Finanzminister Peer Steinbrück plötzlich einen neuen Freund gefunden haben und empört sich bloss über den SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Dieser hatte gesagt, früher wären in solchen Fällen die Soldaten geschickt worden. Da geht dem Bundespräsidenten natürlich die Moral durch: «Das Bankgeheimnis diente als Schutz für jüdische und deutsche Vermögen.» Auch wenn es vielmehr die Weimarer Republik mit einstürzen liess.

Wenn es schon seine Politikerkarriere nicht ist, so ist zumindest Merz’ Doppelmoral beeindruckend: Als er als Handelsreisender vom südafrikanischen Apartheidregime profitierte, wollte er von solchen Vermischungen von Politik, Geschäft und moralischen Bedenken nichts wissen: In den Parteienhearings vor seiner Wahl zum Bundesrat sagte er zu seinen Südafrika-Engagements, er sei natürlich ganz und gar gegen das Apartheidregime gewesen, ihn hätten bloss die Arbeitsplätze interessiert.

WOZ prüft Schritte

«Man kann von Glück reden, dass die USA klar unterscheiden: Einmal verfolgen sie das kriminelle Verhalten einer Firma, und andererseits suchen sie ein Abkommen auf der politischen Ebene», sagt der grüne Nationalrat Geri Müller, Präsident der Aussenpolitischen Kommission. «Es ist natürlich bloss korrekt, dass die USA diese Differenzierung machen», sagt Müller. Die USA seien an einem guten Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Staat Schweiz interessiert, die Bank UBS betrachteten sie separat, «und zwar als Kriminalfall». Letztlich wird von den jetzigen Schweizer Forderungen so viel übrig bleiben wie vom Bankgeheimnis. Damals, erst ein paar Monate ist es her, war es Merz, der in ein laufendes Gerichtsverfahren eingriff, die Rechtssicherheit der Schweiz aushebelte und den USA Daten von UBS-KundInnen weitergab. Merz hoffte wohl, die USA wären damit zufriedenzustellen. Er täuschte sich. Seine Traumwelt bröckelt.

+++ Breaking News: Die WOZ prüft rechtliche Schritte gegen Bundespräsident Hans-Rudolf Merz. Die WOZ-Hausjuristin sieht folgende Möglichkeiten: «In Deutschland gibt es den Straftatbestand des ‹groben Unfugs›. Ich könnte mir hierzulande Folgendes vorstellen: Verleitung zu leichtsinnigem Schuldenmachen. Oder auch Verleitung zu gewagten Spekulationen. Im Fall von Merz könnte man aber auch nächtliche Ruhestörung prüfen und am ehesten: versuchte Schreckung der Bevölkerung. Natürlich gilt auch für den Bundespräsidenten die Unschuldsvermutung.» +++