Durch den Monat mit Rudolf Rechsteiner (Teil 1): Ratten im Parlament?

Nr. 13 –

Rudolf Rechsteiner, zurücktretender SP-Nationalrat: «Ich sagte zu Economie­suisse, sie seien die grössten Datenfälscher, die ich kenne.»

WOZ: Herr Rechsteiner, Sie müssen wegen der Basler Amtszeitbeschränkung nach vierzehn Jahren im Nationalrat zurücktreten. Ihre letzte Session endete mit einer Tätlichkeit: Max Binder von der SVP boxte Sie auf die Brust, er fühlte sich provoziert. Wie wichtig ist Provokation in der Politik?
Rudolf Rechsteiner: Manchmal ist sie nötig. Aber sie muss sitzen. Darum ist die SVP auch so wütend geworden. Ich hatte gesagt, ihr SVP-Bauern verhöhnt den Klimaschutz und seid die Ersten, die Geld abholen, wenn eure Wälder und Scheunen von einem Sturm verwüstet werden. Die sind sich gar nicht gewohnt, dass man zurückschiesst.

Provozieren Sie bewusst oder gehen die Pferde mit Ihnen durch?
Beides.

Macht das die Linke und die bürgerliche Mitte zu selten?
Die FDP ist keine Mittepartei, sie steckt im Rucksack der SVP und handelt häufig in vorauseilendem Gehorsam.

Und die CVP?
Nach der Abwahl von Ruth Metzler und vor allem von Christoph Blocher hat sich die CVP kurzfristig von der SVP emanzipiert und auf ihre faschistischen Tendenzen hingewiesen. Es ist wichtig, dass man diese Partei in der Tradition von Ausgrenzung und Faschismus wahrnimmt, sie würde am liebsten die Mobilmachung aus dem Zweiten Weltkrieg nochmals wiederholen. Ihr Aufstieg war atemberaubend. Und viele Journalisten vergöttern sie.

Wie soll die SP darauf reagieren?
Wir müssen die Realitätsverweigerung der SVP und ihre Blockade sachdienlicher Lösungen offenlegen.

Sie fordern nicht nur die SVP heraus. Sie sagten anlässlich der letzten Bundesratswahlen, Sie hätten mit Didier Burkhalter und Urs Schwaller die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Ich habe mir in meinen Themen – die Umwelt- und Sozialpolitik – grosse Kenntnis und damit Respekt erworben, mir haben die Leute gerne zugehört, auch Bauern von der SVP, wenn ich ihnen etwa vom wirtschaftlichen Potenzial erneuerbarer Energien erzählt habe, davon, wie sie auf ihren Dächern Strom erzeugen können. Einer hat mich gerade an die Einweihung seiner Holzschnitzelheizung eingeladen. Ich war aber nicht zu stolz, die Leute auch mal anzugreifen. In meiner letzten Kommissionssitzung sagte ich zur Economiesuisse, sie seien die grössten Datenfälscher, die ich kenne.

Kommt man mit Diplomatie und Zusammenarbeit nicht weiter?
Nicht immer. Geradlinigkeit ist auch wichtig. Die Sozialdemokraten werden sowieso selten direkt unterstützt. Oft werden unsere Anträge später kopiert und am Schluss macht einer von der CVP oder der FDP das Goal. Die Mitteparteien definieren sich fast immer in Abgrenzung zur Sozialdemokratie.

Wie kann sich die Linke da durchsetzen?
Wir gewinnen in Zusammenarbeit mit ein paar Freisinnigen, vor allem mit welschen. Die CVP schwenkt dann meist ein. Wenn die SP nur mit der CVP unterwegs ist, stürzen wir ab. Es gibt im Parlament den berühmten «Sprinkel», eine Kerbe, die links der Mitte durch die CVP läuft, bei Arthur Löpfe und Gerhard Pfister. Diese Gruppe nennt sich C-Rats ...

Konservative CVPler nennen sich Ratten?
Ja, sie machen sich einen Spass daraus, mit der SVP zu stimmen.

Weht im Parlament immer ein so rauer Wind?
Die FDP und der rechte Flügel der CVP machen im Nationalrat zusammen mit der SVP überwiegend die Mehrheiten aus. Das Klima ist viel gröber geworden mit dem Aufstieg der SVP, allerdings gab es einen Bruch mit der Abwahl von Christoph Blocher. Dass das gelungen ist!

Gibt es auch stabile Koalitionen über die Parteigrenzen hinaus?
Politische Freundschaften halten nicht lange, gemeinsame Interessen aber schon. Und Sie müssen wissen, dass die Blöcke in den Kommissionen weicher sind. Man diskutiert sachlicher.

Wie war es, als Sie in die Politik einstiegen?
Ich war als Sechzehnjähriger bei der Besetzung von Kaiseraugst, wir verhinderten den Bau des geplanten AKWs. Diese Woche feiern wir das 35-JahrJubiläum. Die SP Basel-Stadt rutschte wegen Kaiseraugst in die Oppositionsrolle. Das führte zu einer Parteispaltung, die fast zwanzig Jahre lang eine rot-grüne Mehrheit blockierte. Wir hatten es schwer in der Opposition, aber wir setzten sehr früh eine Umweltpolitik durch, die auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien setzte – später lancierte ich diese Rezepte erfolgreich in Bundesbern.

Rudolf Rechsteiner (51) wurde als Dreissigjähriger Basler Grossrat und sieben Jahre später Nationalrat. Ende Mai tritt der SP-Politiker und Ökonom zurück. Er ist verheiratet und Vater zweier Söhne.