«Die Kultur der Kulturrevolution»: Der Rebell, die Macht und seine Bilder

Nr. 19 –

Wie Mao Zedong von der Ikone zur Ware wurde: Das zeigt eine Ausstellung im Museum für Völkerkunde der Universität Zürich zu Kult und Kitsch während der chinesischen Kulturrevolution. Eine weiterführende Auseinandersetzung mit den Widersprüchen und Mehrdeutigkeiten des Maoismus bleibt im Ungefähren.

Maoistische Lebensmitteldose, um 1970, mit einem Motiv aus dem revolutionären Theaterstück «Die Rote Signallaterne», das klassische Bühnenstücke und Opern ersetzte.

Auf der Kassentheke im Museum für Völkerkunde der Universität Zürich liegt der Flyer für eine DVD zum Fall von Bian Zhongyun. Die Vizedirektorin eines Elitemädchengymnasiums in Beijing wurde im August 1966 von ihren Schülerinnen als «rechtes Element» zu Tode geprügelt. Sie war eines der ersten Opfer des «Roten Augusts», des Auftakts der chinesischen Kulturrevolution – ein Beispiel unter vielen.

Die chinesische Kulturrevolution (1966–1976) wurde von Parteichef Mao Zedong als ideologische und revolutionäre Kampagne lanciert. Massenkampagnen und dem Versuch, eine egalitäre Gesellschaft herzustellen, standen politische Verfolgungen und Zerstörungswut gegenüber. Die aktuelle Ausstellung «Kultur der Kulturrevolution» im Völkerkundemuseum der Universität Zürich stellt nicht den sogenannten «Roten Terror», sondern Kult und Kitsch in Propaganda und Alltag während der chinesischen Kulturrevolution ins Zentrum.

Der geäusserte Vorwurf, die Ausstellung verfehle mit diesem Ansatz die grausame Hauptsache, ist berechtigt – und greift trotzdem zu kurz. Zum einen gründet der Versuch, das Thema quasi von der Seite her aufzugreifen, in der Monstrosität und Unabgeschlossenheit des Stoffs. Zum anderen kann der Zugang über Alltagsobjekte gerade eine erweiterte Perspektive ermöglichen – und damit vielleicht auch den in der westlichen Welt verbreiteten Abwehrreflex abschwächen, mit dem die Kulturrevolution als irrationaler Fanatismus einiger weniger abgetan wird.

Ethnografischer Surrealismus?

Die traditionelle Ethnologie führt ihre Gegenstände meist als exotische Absurditäten vor. Dem versucht die Ausstellung zu entgehen, indem sie vielfältige Kontexte anbietet. So schreibt Christian Feest, ehemaliger Direktor des Museums für Völkerkunde Wien, der die Ausstellung konzipiert hat, von der Gefahr eines «ethnografischen Surrealismus», der das «Fremde nur zur Verfremdung des Vertrauten» gebraucht: Ihn gelte es mit «vielen Erklärungen» zu verhindern. Dennoch schwankt das Konzept zwischen spielerischer Dekonstruktion gängiger Klischees und deren Bestätigung, zwischen Neugier und unkritischer Übernahme der Sprache des landläufigen Antikommunismus.

So etwa lässt sich die wie in einem Spielzeugmuseum angeordnete anarchische Vielfalt der Reproduktionen von Mao Zedongs Antlitz durchaus als der Bevölkerung entsprungen interpretieren. Vergleicht man sie aber mit den Filmaufnahmen des echten Mao – als schweigender Winker vor versammelter Volksmenge oder als der Lächerlichkeit nicht enthobener Flussschwimmer –, drängen sich Fragen geradezu auf, wie denn diese Figur von den revolutionären Roten Garden wirklich gebraucht wurde.

Es sind Fragen, wie sie der französische Philosoph und ehemalige Maoist Alain Badiou in seinem Essay «Die letzte Revolution» zu beantworten versucht. Er zeigt, wie der Name «Mao» einerseits als legitimer Repräsentant der Partei funktionierte – und andererseits als einer, der deren Erstarrung und Bürokratie gleichzeitig überwindet. Badiou resümiert: «In jeglicher Hinsicht ist ‹Mao› der Name eines Paradoxes: der Rebell an der Macht.» Maos Bild wird also auch gebraucht, um den illusionären Glauben an die Möglichkeit einer unkorrumpierbaren Macht oder die zweideutige Sehnsucht nach «reiner Politik» aufrechtzuerhalten.

Ist nicht auch der anhaltende Mythos Che Guevara dadurch bestimmt, dass Guevara, rechtzeitig vor der Einfügung in den Parteiapparat, wieder zum offenen Kampf zurückkehrte? Angesichts der unzählige Male verkauften Mao-Bücher und -Bilder scheint es unumgänglich, ihn als Ware zu bezeichnen, wie das der Sammler und Kurator Helmut Opletal im Katalog tut. Dennoch bleibt zu fragen, ob man mit einem kulturkritischen Klischee dem nicht totzukriegenden Phänomen des «Heiligen» beikommt. Dass Kultfiguren im Alltag der Leute vor allem säkulare Accessoires werden, schafft die Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen menschlicher Verehrungssehnsüchte nicht aus der Welt.

Dekonstruieren und bestätigen

Ein zweites Beispiel dieser Unentschiedenheit zwischen Dekonstruktion und Bestätigung gängiger Klischees findet sich im Treppenhaus des Museums. In der guten Absicht, Auswirkungen der Kulturrevolution auf die Schweiz zu zeigen, wird zwar die Anziehungskraft der Vorgänge in China oder der «Mao-Bibel» auch auf Schweizer Jugendliche in den späten sechziger und in den siebziger Jahren angedeutet. Aber statt die Faszination des Maoismus für die westliche Jugend in Selbstzeugnissen von AktivistInnen plausibel zu machen, sind vor allem Faktentafeln wie etwa die Satzungen der Kommunistischen Partei Schweiz/Marxisten-Leninisten zu besichtigen.

Wenn dort in einem Artikel zur Organisation der Partei viermal das Wort «Unterordnung» auftaucht, mag das nur noch ein verständnisloses Kopfschütteln auslösen. Und schon ist man wieder beim absurden Exotismus, von dem sich die Ausstellung distanzieren wollte. Hinweise darauf, dass der Maoismus trotz einer rigiden Organisationsstruktur auch im Westen oft als Rebellion gegen erstarrte Autoritäten begriffen wurde, hätten die nötige Spannung für ein produktives Nachdenken erzeugt.

Antiautoritärer Autoritarismus

Denn die Verbindung von Autoritarismus und anarchischem Exzess – oder auch von Delegitimierung von Autorität durch Autorität, wie wir sie in der Kulturrevolution vorfinden – ist bis heute eines der zentralen Probleme, wenn es darum geht, erneuerte politische Formen zu schaffen. Beim Philosophen Slavoj Zizek etwa findet sich folgendes Zitat des Autors und Anwalts Gordon G. Chang zur antiautoritären Kraft des Maoismus: «Das Volk musste nicht länger auf jemanden warten, der ihm sagte, was es zu tun hatte. Mao hatte ihm das Recht zu rebellieren gegeben. Für die radikale Jugend war dies im Grunde eine Zeit uneingeschränkter Leidenschaft. Mit einem grossartigen Streich hatte der grosse Steuermann nahezu alle Formen von Autorität delegitimiert.» Autorität ist immer bestimmt durch Anerkennung. Mao hat das sehr wohl gewusst: Seine Autorität festigen kann auch, wer bestehende Verhältnisse der Anerkennung auflöst.

Maos Bewegung setzte auf die jugendlichen Roten Garden und stattete sie mit Sonderrechten aus, die von der Gratisbenutzung der Eisenbahn bis zu Straffreiheit für unbestimmt gelassene Taten reichten. Dies führte mancherorts zu destruktiver, tödlicher Gewalt, aber auch zum Aufbau von Macht ausserhalb des Parteiapparats. Das zeigt etwa der von Mao und der Armee dann wieder gestoppte Versuch der Arbeiter in der Kommune von Shanghai, die Macht vollständig zu übernehmen. Anhand der Kulturrevolution können Probleme von universaler Tragweite verhandelt werden, wie viele mögliche aktuelle Anknüpfungspunkte zeigen: so zum Beispiel punkto Straffreiheit und widerständiger Selbstdefinition der jugendlichen Täter im Völkermord von Ruanda. Ein solcher Anknüpfungspunkt ist auch die Bemerkung von Hannah Arendt: dass nicht nur die Kinder vor der Welt zu schützen seien, sondern die Welt (und mit ihr die Kultur) auch vor den Kindern. Oder das Beispiel Venezuela, wo paradoxerweise die paternalistische Regierung Chávez auch emanzipatorische Initiativen und basisorientierte Parallelstrukturen zur staatlichen Macht ermöglicht.

Wer will, kann sich gerade durch Maos tausendfältiges Lächeln in den Vitrinen zu einer solchen Dialektik bewegen lassen. Wer nicht will, kann sich in den gängigen Schablonen «Personenkult» und «Missbrauch der Jugend im Machtkampf» bestätigt fühlen. Ein Blick ins Gästebuch lässt vermuten, dass oft Letzteres der Fall ist – ausgenommen natürlich die so universale wie auch ganz persönliche Hoffnung in jugendlicher Handschrift, «dass der grosse Führer nicht wiederkommt!».

Von den «vielen Erklärungen», die Christian Feest im Katalog fordert, hat es in dieser Ausstellung zu wenige. Wo angesichts von Prozessen und Ereignissen der chinesischen Kulturrevolution nicht explizit deren Zweideutigkeit betont wird, setzt sich die Eindeutigkeit der bestehenden Meinungen durch.

Nichts bleibt mehr, wie es ist

Dabei würden gerade in der Deutung der jüngeren chinesischen Geschichte viele Begriffe fragwürdig: Dogmatismus ist zum Beispiel nicht nur die Erstarrung eines Machtapparats, sondern ebenso der Versuch, die jederzeit drohende Spaltung einer Bewegung aufzuhalten. Das maoistische Programm einer permanenten Selbstrevolutionierung ist ironischerweise durch die kapitalistische Öffnung von Maos Widersacher Deng Xiaoping nahezu perfektioniert worden: Nichts bleibt mehr, wie es ist, und das ruft seinerseits Widerstand hervor. Über diese Widersprüche ist China nicht hinweg – genauso wenig, wie es über Mao hinweg ist, wie die jüngsten Vorkommnisse um die Absetzung des Politbüromitglieds und Vertreters der Parteilinken Bo Xilai zeigen.

Auch wenn die Ausstellung keine Bewertung der Kulturrevolution vornehmen will: Sie entkommt ihr nicht. Vielleicht könnte man daher an der Museumskasse neben die DVD über die Ermordung der Lehrerin Bian Zhongyun auch einige aktuelle theoretische Zugänge zur Kulturrevolution auflegen. Zum Beispiel «Die kommunistische Hypothese» von Alain Badiou oder – etwas eleganter – «Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert» von Slavoj Zizek.

«Die Kultur der Kulturrevolution. Personenkult und politisches Design im China Mao Zedongs» in: Zürich, Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Bis 10. Juni 2012. www.musethno.uzh.ch

Am Freitag, 11. Mai 2012, 10–18 Uhr: Workshop zu «Mao – Mao-Bibel – Mao-Fieber: Maoismen 
in China und Europa». 19 Uhr, Podiumsdiskussion: «Wagen wir es, der Geschichte ins Gesicht zu sehen? Vergangenheitsbewältigung am Beispiel der chinesischen Kulturrevolution im Vergleich».