Demokratie und Medien: JournalistInnen sind keine Hühner

Nr. 44 –

Demokratien sind so gut wie ihre Medien. Doch wie lässt sich die Güte messen? Der Soziologieprofessor Kurt Imhof versucht es zum zweiten Mal mit seinem Jahrbuch zur Qualität der Schweizer Medien, das er Ende vergangener Woche vorgestellt hat. Imhof ist an der Universität Zürich zuständig für den Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft und gilt als ein Mann, der zu allem etwas sagt, auch wenn er nichts zu sagen hat. Doch deswegen sollte man die Arbeit seines Instituts nicht ignorieren. Das Jahrbuch enthält einige erschütternde Zahlen, die weniger mit Qualität im Journalismus, aber viel mit Kapitalismus zu tun haben.

Zeitungen haben sich während Jahrzehnten zu einem Drittel über Aboeinnahmen und zu zwei Dritteln über Inserateeinnahmen finanziert (bei der WOZ ist es gerade umgekehrt). Seit der Jahrtausendwende sind nun aber in der Schweiz die Werbeerträge im Medienmarkt von drei auf zwei Milliarden Franken geschrumpft.

Wer hoffte, mittels Internet liessen sich neue Einnahmen erschliessen, wird arg frustriert. Im vergangenen Jahr wurde zwar über eine halbe Milliarde Franken via Webwerbung verdient, die eigentlichen Newsseiten erhielten jedoch nur ein Drittel davon. Der sogenannte Rubrikenmarkt («Suche Auto …, Wohnung …, Frau …») kassierte ab, ebenso Suchmaschinen wie Google. «Die Werbeeinnahmen in der Gattung Online steuern nur rund drei Prozent zur Finanzierung des Informationsjournalismus bei», wird im Jahrbuch konstatiert.

Das Beelendendste daran: Die Newsseiten, die am schlechtesten gemacht sind, haben die meisten BesucherInnen. «msn.ch», das Schweizer Newsportal von Microsoft, eilt allen voran. Die Storys, die man darauf liest, oszillieren zwischen «Winter-Zyklon Sandy», «Skurriles zu den US-Wahlen» und «Männliche Irrtümer über Sex». Wenn das Journalismus ist, gebühren McDonald’s auch einige Michelin-Sterne für seine Küche. Dem breiten Publikum Gratisjournalismus anzubieten, heisst Geist und Geld vergeuden. Da kann man getrost eine Paywall hochziehen und für gute Onlinegeschichten Geld verlangen, wie dies die NZZ seit kurzem tut.

Womit aber immer noch nicht geklärt ist, was guter Journalismus ist. Im Jahrbuch wird Qualität als «sachliche Berichterstattung» und «Einordnung» definiert – denn eine Information, die nicht in ihren Kontext gestellt wird, bleibt leere Information. Und Kontext herstellen verlangt Denkarbeit.

Die AutorInnen des Jahrbuchs führen als weiteren Qualitätsindikator an, wenn ein Medium auf Probleme fokussiert und nicht auf Personen zielt, wie das inzwischen gang und gäbe ist. Die Schlagzeile «Professor Imhof ist ein Plauderi» verkauft sich eben leichter als die Feststellung «Journalismus wird wegrationalisiert». Es sind vor allem die allgegenwärtigen Gratisblätter von Tamedia und Ringier («20 Minuten» und «Blick am Abend»), die simpel personalisieren. Sie haben auch dazu beigetragen, dass heute doppelt so viele Leute Boulevard konsumieren wie vor zehn Jahren. Bezüglich Sachlichkeit und Einordnung spielen deshalb die Nachrichtengefässe des öffentlichen Schweizer Radios und Fernsehens (SRG) eine wichtige Rolle. Sie tun, was dieses Land braucht: unaufgeregt, kontinuierlich und ernsthaft berichten.

Die «Konvergenz»-Übung, die zurzeit die SRG erschüttert, kann an dieser Qualität nagen. Konvergenz bedeutet, dass Redaktionen, die vorher alleine werkelten, neu zusammenarbeiten: Fernsehleute sitzen künftig mit RadiomacherInnen im gleichen Ressort, oder Online- und Printredaktionen verschmelzen miteinander. Gut möglich, dass einige Leute, die bislang im Schatten standen, bei solchen Umstrukturierungen plötzlich Raum erhalten und sich entfalten können. Verheerend werden die Umstrukturierungen, wenn sie missbraucht werden, um zu sparen. Wenn weniger Leute in kürzerer Zeit mehr machen sollen – wie das künftig auch bei der SRG der Fall sein wird –, muss die Qualität leiden. JournalistInnen sind keine Hühner, die sich in Batterien packen lassen, um mehr zu produzieren. Guter Journalismus braucht Raum, Zeit und Erfahrung.