Roger de Weck: «Wir haben keine andere Wahl»

Nr. 44 –

Leidet unter der neuen Strategie beim Schweizer Radio und Fernsehen die publizistische Qualität? Generaldirektor Roger de Weck wehrt ab.

SRG-Generaldirektor Roger de Weck im Gespräch: «Wir brauchen evidenterweise das Multimediale. Doch mehr Mittel haben wir nicht.»

WOZ: Herr de Weck, Mitte Oktober haben Sie die neue Unternehmensstrategie der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) vorgestellt. Die Massnahmen tönen stark nach vom Markt geprägt: Effizienz soll gesteigert, Produktivität erhöht, Veränderungsbereitschaft vom Personal verlangt werden.
Roger de Weck: Die SRG hat mehr Konkurrenz erhalten: neben den ausländischen Kanälen eine Unzahl von Spartensendern und globale Anbieter wie YouTube TV. Auch muss die SRG mehr leisten. Ohne das zusätzliche Onlineangebot wäre sie bald weg vom Fenster. Ausserdem steigen vorübergehend die Kosten – beim IT-Betrieb wegen der Digitalisierung von Radio und Fernsehen, bei den Immobilien wegen fälliger Investitionen und bei der Pensionskasse wegen ihres zu hohen technischen Zinssatzes. Gleichzeitig sinken die Werbeerlöse. Und eine Gebührenerhöhung steht nicht an. Das ist die Lage. Wollen wir mehr produzieren, müssen wir noch effizienter werden.

Im letzten Jahr machte der Kampf um den SRG-Gesamtarbeitsvertrag Schlagzeilen. Es drohte ein vertragsloser Zustand – oder war das Verhandlungstaktik?
Wir wollten von Anfang an einen Gesamtarbeitsvertrag. Aber einen guten.

Gut für wen?
Ein guter Vertrag ist für beide Seiten gut. Da gab es keine Taktik. Ein vertragsloser Zustand beim Service public hätte mir zutiefst missfallen. Auch haben wir ein Interesse an einer starken Gewerkschaft.

Wir haben mit rund einem Dutzend SRG-Mitarbeitenden geredet, und alle haben erwähnt, vor allem das Kader sei in den letzten eineinhalb Jahren gewachsen. Das tönt nicht effizient.
Insgesamt gibt es beim Deutschschweizer Radio und Fernsehen weniger mittlere und höhere Kader als vor der Konvergenz. SRF hat für das Zusammenwachsen von Radio und Fernsehen eine Matrixorganisation, in der es eine hierarchisch-vertikale sowie eine fachlich-horizontale Linie gibt. Wer plötzlich mehr als eine Chefin oder einen Chef hat, mag den Eindruck haben, es gebe mehr Kader.

Die Zahlen im letzten SRG-Geschäftsbericht bestätigen aber: Das Kader ist gewachsen. 2010 waren 446 Personen im Kader, 2011 bereits 464. Gleichzeitig ist die Zahl Vollzeitstellen gesunken.
Nur beim Radio gibt es ein paar wenige zusätzliche Kader, weil bei der Fusion gleiche Funktionen gleichgestellt wurden. Und als wir den Bereich nationale Dienstleistungen in die umgebaute Generaldirektion einbrachten, wurden hoch qualifizierte Fachleute neu als Kader eingestuft oder mit einer Führungsaufgabe betraut. Zudem entstand ein neuer Stab zur Qualitätssicherung, der von einer Kaderfrau geleitet wird.

Tangiert der Umbau nicht irgendwann die Qualität? Bei Radio DRS 2 etwa bleibt mit dem Neustart Mitte Dezember kein Stein auf dem andern.
Kanäle brauchen Kontinuität. Einen Sender, eine gute Sendung gibt es jahrzehntelang – das «Echo der Zeit» besteht seit 1946. Gute Moderatorinnen und Moderatoren werden zu Hausfreundinnen und Hausfreunden der Nation. Kontinuität bedeutet, sich ständig weiterzuentwickeln. Was DRS 2 unternimmt, ist eine behutsame Weiterentwicklung in der eigenen stolzen Tradition.

Sie sagen «behutsam». Andere reden von Kahlschlag.
Wie können Sie sich vor Einführung der Neuerungen ein Urteil bilden?

Die Mitarbeitenden jedenfalls wissen nicht, woher sie all die Ressourcen für das neu gestaltete Programm nehmen sollen, um die Qualität weiterhin zu garantieren.
Ein Kulturradio hat heute drei Herausforderungen. Erstens gilt es, Wortbeiträge und Musikangebote auszutarieren – im Wissen, dass viele Hörerinnen und Hörer lieber nur das eine oder das andere hätten. Zweitens ist Kulturradio ein Ort der Begriffe. Kulturwelt und Gesellschaft werden visueller. Sie ohne Bilder zu spiegeln, ist eine Erschwernis und eine Riesenchance. Am Radio lässt sich der «débat d’idées» führen. Und so ist der Akzent, den Kulturchefin Nathalie Wappler und DRS-2-Programmleiterin Franziska Baetcke auf Wortbeiträge setzen, schlüssig.

Und wo liegt die dritte Herausforderung?
Vieles, was früher nicht zur Kultur zählte, ist heute Kultur. Manches, was in der bürgerlichen Kultur eine zentrale Rolle spielte, tritt in den Hintergrund. Dieses Ringen um den Kulturbegriff steht hinter den – ich bekräftige es – behutsamen Neuerungen. Wenn Sie meine Meinung als geneigter DRS-2-Hörer, nicht als Generaldirektor, wollen: Was den Unterschied zwischen «Kontext» und «Reflexe» ausmacht, begreife ich bis heute nicht. Es scheint mir zweckmässig, wenn die beiden Redaktionen zusammenfinden.

Dass mit diesem neuen Kulturbegriff DRS 2 mehrheitsfähig gemacht werden soll, hat von mehreren Seiten den Vorwurf provoziert, das sei konzessionswidrig.
DRS 2 erreicht weniger als fünf Prozent der Menschen in der Deutschschweiz. Ziel ist es, ein paar mehr zu überzeugen. DRS 2 wird nicht mehrheitsfähig, sondern nach wie vor eine kleine Gruppe ansprechen, die sich für Kultur und Gesellschaft, für das Nachdenkliche und Vertiefende, letztlich für den «débat d’idées» interessiert. Der Service public ist dazu da, nichtkommerzielle Angebote zu machen – dies aber auf ökonomische Art und Weise: indem die knappen Ressourcen möglichst wirksam eingesetzt werden.

Diese knappen Ressourcen sollen auch noch in die Onlineberichterstattung fliessen: Das ist unter vielen Mitarbeitenden mit der Angst verbunden, weniger Zeit für Hintergrundrecherchen zu haben. Sie waren selber Journalist und verstehen diese Ängste wahrscheinlich. Können Sie Ihren Mitarbeitenden garantieren, dass das nicht passieren wird?
Wer Ihnen zuhört, könnte zum Schluss kommen, bei der SRG seien die Redaktionen ein Angsthaufen. Das mag Ihr Eindruck sein, aber in keiner Weise meiner. Ich spreche mit vielen Kolleginnen und Kollegen, die voller Zuversicht sind: Persönlichkeiten, die mit den begrenzten Mitteln guten Journalismus auch im digitalen Zeitalter machen wollen. Trotzdem hat Ihre Frage ihre Berechtigung. Doch brauchen wir evidenterweise das Multimediale. Und mehr Mittel haben wir nicht. Das fordert alle stark.

Genau: Dieser ganze Umbau darf ja nichts kosten. Gleichzeitig läuft aber noch ein Sparprogramm. Kann das funktionieren?
Dem Radio wird kein Geld entzogen. Es läuft beim Schweizer Radio und Fernsehen kein Sparprogramm, sondern der Versuch, einen Teil des Geldes umzuwidmen. Zugunsten von mehr Programm. Beim Fernsehen sind mehr fiktionale Produktionen eine Priorität. Anfang 2013 läuft nach Jahren endlich eine Schweizer Fernsehserie. Ihre Fragen treffen gleichwohl einen wunden Punkt: Es ist nötig, mehr zu machen – wie macht man das intelligent? Die Transformation klug zu bewältigen und dabei den Werten des Journalismus und des Service public treu zu bleiben, das ist die Aufgabe. Dass das viele Fragen aufwirft, auch Sorgen bereiten kann, und dass viele Redaktionen wahrlich beansprucht sind: Das verkenne ich in keiner Weise. Aber ich sage, was Sache ist: Wir haben keine andere Wahl.

Roger de Weck

Als im Mai 2010 der 59-jährige Roger de Weck zum neuen Generaldirektor der SRG gewählt wurde, war das eine Überraschung. Die Linke freute sich mehrheitlich darüber, die Rechte schäumte.

De Weck, als Freiburger perfekt bilingue, studierte in St. Gallen Volkswirtschaft und war danach Journalist bei der «Tribune de Genève», «24 heures», der «Weltwoche» und der «Zeit». 1992 wurde er Chefredaktor beim «Tages-Anzeiger», anschliessend bei der «Zeit». Später moderierte er bei SF die «Sternstunde Philosophie», unterrichtete am «College of Europe» in Brügge. Seit 2011 leitet Roger de Weck die SRG. Er sagt von sich selbst: «Ich bin kein Manager.»