Frankreichs Krieg in Mali: Gefährliche Illusionen

Nr. 3 –

Die MalierInnen sind sich ziemlich einig: Sie haben lieber die alte Kolonialmacht im Land als die neuen Islamisten. Das ist derzeit François Hollandes Glück. Der französische Staatspräsident geniesst den Applaus der sogenannten Staatengemeinschaft wie auch der eigenen Landsleute, seit er sich als entscheidungsfreudiger Oberbefehlshaber präsentiert, als Europas unerschrockener Terrorbekämpfer und Westafrikas idealistischer Befreier.

Tatsächlich ist die Gefahr eines terroristischen Kalifats auf malischem Boden real. Anders als etwa in Syrien scheint eine internationale Militärintervention nicht nur moralisch und politisch, sondern auch juristisch kaum problematisch: Der Uno-Sicherheitsrat autorisierte vor einem Monat zwar nur eine «afrikanisch geführte internationale Unterstützungsmission». Doch seit dem Hilferuf des malischen Präsidenten, Dioncounda Traoré, an seinen französischen Amtskollegen Ende letzter Woche besteht an der Rechtmässigkeit des Einsatzes kein Zweifel.

Dass Traoré nur Übergangspräsident ist, der nicht demokratisch gewählt, sondern von der westafrikanischen Staatengemeinschaft (Cédéao) ernannt wurde, ist allerdings ein Schönheitsfehler. Genau wie für Hollande ist der Krieg für Traoré vor allem eines: ein innenpolitischer Befreiungsschlag. Er konnte sich damit – vorerst – gegen die vielfältige Opposition durchsetzen, die eine ausländische Intervention ablehnte. Die Tatsache, dass islamistische Gruppierungen auch südlich des bisher von ihnen kontrollierten Gebiets vorrückten und selbst die Hauptstadt Bamako nicht mehr sicher schien, liess nun grosse Teile der Opposition verstummen.

Dabei ist klar, dass Traoré und Hollande die Intervention längst vorbereitet hatten (sonst hätte die französische Luftwaffe nicht bereits wenige Stunden nach dem Hilferuf zuschlagen können) und lediglich auf den richtigen Moment warteten. Der Moment kam mit der gegnerischen Eroberung der Stadt Konna. Horrornachrichten über Heerscharen toter malischer Soldaten, denen die Kehlen durchgeschnitten worden seien, erreichten sogleich Bamako. Inzwischen ist klar: Nur etwa zehn Soldaten starben – die Armee hat sich offenbar sehr rasch zurückgezogen, um Traorés Hilferuf den Weg zu ebnen.

Seither geben sich beide Präsidenten gefährlichen Illusionen hin. Traoré wird die Mehrheit von Bevölkerung und Opposition nur so lange hinter sich wissen, wie er die Illusion verbreiten kann, Frankreich (und bald weitere ausländische Kräfte) würden bloss die malische Armee unterstützen. Hollandes Illusion besteht im Glauben, nach einigen gezielten Angriffen in wenigen Wochen mit einem vorzeigbaren Etappensieg wieder abziehen zu können. Eine Illusion, die ihm am Mittwoch sein eigener Verteidigungsminister nahm, der nun plötzlich von einem «langen Kampf» sprach.

Denn statt sich auf die Verteidigung Bamakos und Südmalis zu beschränken und dabei weiter mit moderaten Rebellen zu verhandeln sowie die afrikanischen Militärvorbereitungen zu unterstützen, verstrickt sich die französische Armee in Angriffe im Norden des Landes. Ein Gebiet, doppelt so gross wie Frankreich (und noch grösser, wenn man die ebenfalls bedrohten Gebiete Nigers hinzuzählt, wo das Uran für Frankreichs AKWs lagert); unwegsame Halbwüste, aus der die komplex organisierten, hoch motivierten und gut bewaffneten Gegner niemals vertrieben werden können.

Kommt hinzu, dass sich François Hollande nicht wie ein Demokrat verhält, der Frankreichs frühere Kolonialgebiete zu Eigenständigkeit ermächtigen will. Vielmehr setzt er nun alle, die nicht in den Verdacht der Terrorfreundlichkeit geraten wollen, unter Druck, ebenfalls bei seinem planlosen Krieg mitzumachen. Mit Erfolg: Selbst Algerien unterstützt nun die Intervention; bisher stellte sich die Regionalmacht vehement gegen einen aussichtslosen Krieg entlang ihrer 2000 Kilometer langen Südgrenze.

Bald wird sich zeigen, ob die Strategie der Präsidenten Traoré und Hollande, den Konflikt vollends eskalieren zu lassen, mutig war und Mali rettet. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass diese Verzweiflungstat schlimme Folgen haben wird – in Mali, der Region und Europa. Die derzeitige Vertreibung Hunderttausender MalierInnen gibt davon eine erste Ahnung.