Wie man staaten erpresst: Ein Geier mit Geduld

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Der US-Amerikaner Paul E. Singer weidet mit seinen Hedgefonds zahlungsunfähige Entwicklungsländer aus und kassiert dabei Millionen. Derzeit hat er Argentinien im Visier.

Der Informationsdienst «Bloomberg News» hat einmal geschrieben, wenn man ihn sehe und höre, denke man an einen Literaturprofessor. Der 68-jährige Herr hat feines, silbergraues Haar und einen sauber gestutzten Vollbart im selben Ton, trägt eine Brille mit schmalem Rand aus Metall. Im Umgang sei er höflich und zurückhaltend, fast ein bisschen schüchtern. Stellt man sich so einen Geier vor?

Paul E. Singer ist von jenem Menschenschlag, den man meint, wenn man im Zusammenhang mit Geld von solchen Vögeln spricht. Und wie ein Geier hoch in den Lüften seine Kreise zieht, legt auch er Wert darauf, so lange wie möglich ausserhalb des Blickfelds zu bleiben. Man sieht ihn erst, wenn er zum grossen Fressen kommt. Singer hat mit dem Ausweiden von Firmen und ganzen Staaten Milliarden von US-Dollars gemacht. Zu seinen Opfern gehören die Fluggesellschaft TWA, der Telekommunikationskonzern MCI Worldcom und der Energiekonzern Enron, Peru und die Republik Kongo – und derzeit hat er Argentinien am Haken.

Geschlossene Gesellschaft

Sein Vorgehen ist simpel: Er hält Ausschau nach Firmen, die kurz vor der Insolvenz stehen oder schon bankrott sind. Wenn deren Aktien ganz tief in den Keller gerutscht sind, schlägt er zu. Erholt sich ein Unternehmen, steigen die Aktien, und Singer verkauft. Erholt es sich nicht, zerschlägt er den Betrieb, verkauft die noch rentablen Teile gewinnbringend und schliesst den Rest.

Bei Staaten interessiert ihn deren tatsächliche oder erwartete Zahlungsunfähigkeit. Ihre Schuldverschreibungen sind dann für einen Bruchteil ihres Nennwerts zu haben. So kaufte Singer nach dem Staatsbankrott Argentiniens Ende 2001 Schuldentitel im Nennwert von dreistelligen US-Dollar-Millionen, die billigsten für fünfzehn Cent pro Dollar Schulden. Seither versucht er, diese Schulden gerichtlich einzutreiben. In voller Höhe, versteht sich, plus Verzinsung. Auf 1,3 Milliarden Dollar hat er Argentinien verklagt.

Singer ist mit solchen Methoden steinreich geworden. Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» schätzt sein Privatvermögen auf 1,1 Milliarden Dollar. Sein unter dem Dach von Elliott Management vereintes Imperium aus Hedgefonds verwaltet angeblich rund 20 Milliarden Dollar. Genaues weiss man nicht. Die Fonds werden nicht öffentlich gehandelt. Singer spielt ausser mit eigenem Geld ausschliesslich mit dem von Geschäftsfreunden, und nur denen ist er Rechenschaft schuldig; neue Investoren nimmt er nicht auf. Dass etliche seiner Unterfirmen in Steuerparadiesen wie den Kaimaninseln registriert sind, macht seine Geldströme nicht transparenter.

Bekannter als seine Fonds ist seine Stiftung, die Paul E. Singer Family Foundation, mit der er zum Beispiel Musikschulen unterstützt oder auch schon Millionen für eine Kampagne zur Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe in New York ausgegeben hat – ein Sohn von ihm ist offen schwul.

Auch als Sponsor der Republikanischen Partei ist er öffentlich aufgetreten: Er war einer der Financiers der Wahlkämpfe von George W. Bush, Spendensammler des im Vorwahlkampf um dessen Nachfolge vorzeitig ausgeschiedenen Rudolph Giuliani und unterstützte auch Mitt Romney mit zwei Millionen Dollar. Politisch hat er also zweimal aufs falsche Pferd gesetzt. Unternehmerisch ist ihm so etwas nicht passiert.

Die Pfändung der Freiheit

Nach einem Psychologie- und einem Jurastudium und ein paar Jahren als Firmenanwalt und bei einer Investmentbank gründete er 1977 den Hedgefonds Elliott Associates – Elliott ist der zweite Vorname Singers. Die 1,3 Millionen US-Dollar Startkapital hatten ihm Freunde und seine Familie gegeben. Auch dieser Fonds ist heute unter dem Dach von Elliott Management. Singer leitet sein Imperium in einem Büro im 36. Stock eines Wolkenkratzers in New York, mit Blick auf den Central Park. Er hat rund 175 Beschäftigte und Büros auch in London, Tokio und Hongkong. Seit der Gründung weisen seine Fonds eine durchschnittliche jährliche Rendite von rund fünfzehn Prozent aus – deutlich mehr als die üblichen Aktienindizes. In seinen besten Jahren kam er auf eine Rendite von dreissig Prozent.

Die Argentinienanleihen kaufte er über seinen auf den Kaimaninseln registrierten Fonds NML Capital – nach dem Staatsbankrott. Als das Land den Gläubigern 2005 und noch einmal 2010 den Rückkauf der Schulden zu knapp dreissig Prozent ihres Nennwerts anbot, gehörte Singer zu den wenigen sogenannten Hold-outs. 93 Prozent der Anleihen konnte Argentinien zurückkaufen. Singer versucht auf dem Rechtsweg, 100 Prozent Zahlung plus Zinsen zu erstreiten. Kurzfristig gelang es ihm, Botschaftsgebäude und ins Ausland gegebene Museumsbestände verpfänden zu lassen. 2005 wollte er gar den argentinischen Präsidentenjet Tango 01, eine Boeing 757, bei einer Zwischenlandung in den USA festsetzen lassen. 2009, als Argentinien Gastland der Frankfurter Buchmesse war, hatte er es auf den Ausstellungsstand des Landes abgesehen. Doch Singer fand nie einen willfährigen Richter.

Spektakulär war die Pfändung des Dreimasterschulschiffs «Libertad» der argentinischen Kriegsmarine im Oktober vergangenen Jahres in Ghana. Ein örtliches Gericht gab Singer zunächst recht, aber nach einem gegenteiligen Urteil des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg war der Segler im Dezember wieder frei.

Von einem Gericht zum nächsten

Doch Paul E. Singer ist zäh und hat Geduld. Zuletzt hat ein Bundesgericht in New York Argentinien zur Zahlung einer Schuld von 1,3 Milliarden Dollar verurteilt. Zahlungstermin: 15. Dezember 2012. Argentinien ging in die Berufung und kündigte an, es werde nicht zahlen – worauf die Ratingagentur Fitch die Bewertung des Landes um gleich fünf Stufen herabsetzte. Mit der Folge, dass die Zinsen steigen, wenn Argentinien auf internationalen Finanzmärkten Kredite aufnehmen will. Das Berufungsurteil wird Mitte Februar erwartet.

Nichts sei sicherer, als auf Schuldentitel insolventer Länder zu setzen, hat Singer bei einem seiner wenigen Vorträge vor KollegInnen gesagt. Er weiss das aus Erfahrung: 1996 hatte er für 11 Millionen Dollar peruanische Staatsschulden im Nennwert von 20,7 Millionen gekauft. Die klagte er vier Jahre lang vor Gerichten in den USA, Kanada, Deutschland, Luxemburg, Belgien und Britannien ein, bis ihm im Jahr 2000 ein US-Gericht das Recht zusprach, peruanisches Vermögen in den Vereinigten Staaten beschlagnahmen zu lassen. Zermürbt gab die peruanische Regierung auf und bezahlte 58 Millionen Dollar für Schulden und Zinsen. Singers Profit: rund 400 Prozent.

Gegen die Republik Kongo gelang ihm ein ähnlicher Coup. Die Elliott-Tochter Kensington International, beheimatet auf den Kaimaninseln, kaufte Ende der neunziger Jahre für einen Spottpreis Schuldentitel des Landes im Nennwert von dreissig Millionen Dollar. Es folgte die übliche internationale Klagerunde. Nach Informationen des US-Nachrichtenmagazins «The Nation» soll es Singer dabei gelungen sein, vorübergehend 90 Millionen Dollar Entwicklungshilfe zu blockieren, die eigentlich für die Bekämpfung einer Choleraepidemie vorgesehen waren. 2005 schliesslich ordnete ein britisches Gericht an, dass der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore 39 Millionen Dollar für zwei Öllieferungen nicht an die Republik Kongo, sondern an Kensington International überweisen solle.

«Elliott handelt unmoralisch», sagt der Juraprofessor David Skeel von der Universität Pennsylvania. Singer denke «nur an den Profit, ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen in den betroffenen Ländern». Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner ist gewarnt. Dieser Tage ist sie auf Staatsbesuch in Kuba, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Indonesien und Vietnam. Sie reist nicht mit Tango 01, sondern mit einem britischen Mietflugzeug.

500 Prozent Gewinn

Seit der Euro in der Krise steckt, sind Länder wie Griechenland oder Spanien, Portugal oder Zypern interessant geworden für Spekulanten aufs schnelle Geld. Vor einem Jahr, als noch nicht klar war, ob und wann Griechenland neue Kredite zur Abwendung eines Staatsbankrotts bekommen würde, wurden dessen Schuldverschreibungen zu rund siebzehn Cent pro Euro Nennwert gehandelt. Wer sich damals eingedeckt hat, bekommt heute, da es als sicher erscheint, dass Griechenland in der Eurozone bleibt, mehr als das Doppelte dafür.

Harten Geldjongleuren aber sind hundert Prozent Rendite nicht genug. Daniel Loeb etwa, Chef des Hedgefonds Third Point (Kapital: zirka 9,3 Milliarden US-Dollar), hat sich mit griechischen Schulden eingedeckt, zu siebzehn Cent pro Euro Nennwert. In einem Brief an seine Investoren überschreibt er das Griechenlandkapitel mit der Zeile aus einem Song des Rappers Tupac Shakur: «I’m tryin’ to make a dolla outta fifteen cents.» Paul E. Singer hätte das gediegener gesagt, aber er hätte dasselbe versucht: einen Dollar zu machen aus fünfzehn Cents.