Kommentar von Toni Keppeler: Retten, was in Venezuela noch zu retten ist

Nr. 8 –

Der krebskranke Hugo Chávez musste zurück nach Venezuela, um seinem Volk Sicherheit in unsicheren Zeiten zu geben.

Der Eindruck, er sei nur zum Sterben nach Hause zurückgekommen, soll unter allen Umständen vermieden werden. Erst die Fotos vom Valentinstag, noch in Havanna, wo er in blau-weisser Trainingsjacke zwischen den Gesichtern seiner Töchter Rosa Virginia und María Gabriela lächelt. Der Kopf wird von einem dieser Nackenkissen gestützt, die sonst gerne von FlugzeugpassagierInnen verwendet werden, der Schlauch für die künstliche Beatmung ist gut versteckt. In der Hand hält er auf zwei der drei Fotos das druckfrische kubanische Parteiblatt «Granma».

Am Montag früh um 2.30 Uhr, so Vizepräsident Nicolás Maduro, sei der venezolanische Präsident Hugo Chávez dann auf dem internationalen Flughafen Maiquetía bei Caracas gelandet. Keine zwei Stunden später meldete sich der krebskranke Staatschef (oder einer seiner Helfer) auf Twitter zurück, seinem liebsten Kommunikationskanal. 72 Tage lang, seit seiner Notoperation am 11. Dezember, hatte er keine Kurznachrichten mehr an seine über vier Millionen AbonnentInnen geschickt.

Die Heimkehr des Hugo Chávez in sein Vaterland ist nicht dem hämischen Drängen der Opposition geschuldet, die immer wieder mutmasste, der 58-jährige Patient sei längst verschieden. Er muss retten, was noch zu retten ist: Sein «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» steht vier Monate nach seiner glänzenden Wiederwahl vor dem Bankrott. Vor zwei Wochen musste sein Stellvertreter Maduro – angeblich auf Geheiss des Chefs – die Landeswährung um gleich ein Drittel abwerten. Viel zu wenig: In der Bank bekommt man jetzt 6,3 Bolivar für einen US-Dollar; auf dem Schwarzmarkt steht der Kurs bei 23. Und gleichzeitig viel zu viel: Die Abwertung wird die jetzt schon bei ungefähr zwanzig Prozent liegende Inflation anheizen, weil so gut wie alles, was in Venezuela konsumiert wird, aus dem Ausland kommt und in Dollars fakturiert und also in Bolivar sehr viel teurer wird.

Einzig die staatliche Ölgesellschaft PDVSA wird ein bisschen von der Abwertung profitieren und mehr heimische Währung für ein Fass Rohöl bekommen. Sie ist der nahezu letzte Betrieb, der überhaupt noch exportiert: Sie bringt über neunzig Prozent der Exporteinnahmen des Landes herein. Chávez hat mit dem Geld in seinen bislang vierzehn Jahren an der Macht sein sozialistisches Experiment finanziert. Er hat grosszügig umverteilt, hat Häuser und subventionierte Supermärkte für die Armen gebaut, hat kubanische ÄrztInnen zu Zehntausenden ins Land geholt und mit Öl bezahlt, hat landwirtschaftliche Kooperativen gründen lassen, die allesamt den Bach runtergingen, weil die KooperantInnen aus den Armenvierteln der Städte kamen und keine Ahnung und auch nicht viel Interesse an Ackerbau und Viehzucht hatten. Er hat sogar das Benzin subventioniert: Der Liter kostet rund vier Rappen.

Jetzt schreibt die PDVSA rote Zahlen, und das nicht nur wegen der Benzinsubventionen. Der künstlich hoch gehaltene Bolivarkurs wertete die Einnahmen aus den Exporten in nationaler Währung so ab, dass die rund hundert Dollar, die für ein Fass bezahlt werden, in ihrem realen Wert in Bolivar auf einen Bruchteil zusammenschmolzen. Zudem wurden Gewinne nicht investiert, sondern für den nationalen Konsum verteilt. Die PDVSA produziert heute mit völlig heruntergekommenen Anlagen. Wie viel, weiss niemand so genau. Den veröffentlichten Zahlen glauben die Funktionäre, die sie veröffentlichen, schon seit vielen Jahren selbst nicht mehr.

Und trotzdem kann Besserung nur aus der PDVSA kommen. Sie ist der einzige Traktor, der das Land aus dem Sumpf ziehen kann. Aber dazu braucht sie Kraft, und die kann sie nur bekommen, wenn Entscheidungen getroffen werden, um die sich Chávez bislang gedrückt hat. Die Benzinsubventionen müssen reduziert werden, die Gewinne aus dem Öl investiert – in die PDVSA, aber auch in den Aufbau einer nationalen Industrie. Arbeitsplätze reduzieren die Armut, nachhaltig sogar. Aber es geht langsamer und ist mühsamer, als einfach nach Gutsherrenart das Geld unter den Armen zu verteilen.

Das wird nicht einfach sein für Chávez. Er hat seine Rolle als grosszügiger Patriarch so sehr geliebt. Und noch schwerer wird es für das Volk, das Chávez eben wegen dieser Rolle liebt. Aber weitermachen wie gehabt wird noch sehr viel härter. Das haben selbst die Gebrüder Castro in Kuba gelernt, und vielleicht haben sie dieses Wissen an ihren politischen Ziehsohn weitergegeben.

In Kuba ging der Kurswechsel mit einem Wechsel des Personals einher: Fidel Castro, schwer krank, zog sich vor fünf Jahren zurück, Bruder Raúl läutete die Ära der Reformen ein. Nur manchmal noch zeigt sich Fidel, und das ist – wenn auch nur symbolisch – bedeutend. Solange er da ist, wissen die KubanerInnen, dass ihr Land, trotz mancher Ähnlichkeiten mit Marktwirtschaft und Kapitalismus, im Grunde sozialistisch bleiben wird. In Venezuela hat Vizepräsident Maduro, von Chávez selbst zum Nachfolger designiert, die Abwertung des Bolivar verkündet. Jetzt musste der todkranke Chef zurück nach Hause, um den VenezolanerInnen klarzumachen: Der «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» geht trotzdem weiter.