Erdöl in Ghana: Der Traum vom sauberen Öl

Nr. 11 –

Damit der Erdölreichtum zu langfristiger Entwicklung beiträgt, hat Ghana gute institutionelle Bedingungen geschaffen. Fraglich ist, ob sie den Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung gerecht werden und zukünftigen Begehrlichkeiten standhalten.

Takoradi, die Erdölstadt Ghanas. Am zentralen Markt der mittelgrossen Hafenstadt vermischen sich Düfte süsser Früchte und geräucherten Fischs in der feuchtheissen Luft. Die Ölausbeutung? Am Fischstand zucken Verkäuferin wie Kundinnen mit den Schultern und zögern. «Man hat uns alles Mögliche versprochen, doch wir haben bis jetzt nichts davon, ausser dass alles noch teurer wird», sagt schliesslich die Fischhändlerin, offenbar im Namen der ganzen Gruppe. «Aber meinen Fisch kann ich trotzdem nicht teurer verkaufen», wirft sie hinterher. Alle lachen. Und wenden sich dann wieder ihrem Alltag zu.

Vom Marktplatz, dem Zentrum Takoradis, sind es nur ein paar Gehminuten zum lokalen Zentrum der Ölwirtschaft. Das Takoradi Oilfield Centre ist ein Gelände, hinter dessen Zaun sich die Unternehmen verbergen, die an der Ölausbeutung beteiligt sind. Viel mehr als die Eingangspforte, die Baustellen für neue Gebäude und die zunehmende Zahl an Expats und stadtfremden Landsleuten sehen die EinwohnerInnen Takoradis nicht von der Ölindustrie. Die Ölfelder liegen über sechzig Kilometer vor der Küste. Und erst eines, das Jubilee Field, wird seit drei Jahren ausgebeutet. Letztes Jahr betrug die durchschnittliche Tagesproduktion erst 72 000 Fass, derzeit rund 100 000 Fass (ein Fass enthält 159 Liter). Das ist weit entfernt von den grossen Ölländern des Kontinents: Nigeria produziert 2,5 Millionen Fass pro Tag, Algerien und Angola je fast 2 Millionen.

Nur nicht Nigeria

So gibt sich auch das Takoradi Oilfield Centre bescheiden. In einem funktionalen zweistöckigen Bau eines der Unternehmen empfängt mich ein ausländischer Manager. Er will anonym bleiben. Nicht dass er etwas Skandalöses zu erzählen hätte. Im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern laufe hier tatsächlich vieles gut. Aber die Unternehmen dächten auch in Ghana zu wenig langfristig. «Die Erwartungen an die Ölindustrie sind hoch, unrealistisch hoch, denn sie schafft nun mal nur wenige Arbeitsplätze», sagt der Mann. «In vielen Gemeinden macht sich schon jetzt Enttäuschung breit. Für negative Entwicklungen wie die sinkenden Fangquoten der Fischer wird nun zuallererst die Ölindustrie verantwortlich gemacht.» Das liesse sich vermeiden, wenn die Unternehmen die sogenannte Corporate Social Responsibility, also die unternehmerische Sozialverantwortung, ernst nähmen. «Was passieren kann, wenn man keinen Draht zu lokalen Gemeinschaften hat, können wir ja in Nigeria sehen», sagt der Ölmanager.

Nigeria, das Nigerdelta. Es wird immer wieder erwähnt in Ghana, als Warnung. Denn dort hat der Ölreichtum zu extremen Ungleichheiten, blutigen ethnischen Konflikten und weitreichender Umweltzerstörung geführt. Nigeria ist vielen GhanaerInnen ohnehin suspekt. Sie fühlen sich von der wirtschaftlichen Macht des Riesenlands im Osten bedroht – und sind stolz darauf, im Gegensatz zu ihm seit Jahrzehnten eine funktionierende Demokratie, kaum Konflikte, wenig Korruption und eine ausgeglichene wirtschaftliche Entwicklung zu haben. Und genau diese vorteilhaften Bedingungen könnten dazu führen, dass Ghana eine für ein Entwicklungsland fast einmalige Chance erhält: dem berüchtigten Fluch der Bodenschätze zu entgehen.

Der Entwicklungsökonom Paul Collier hat aufgezeigt, dass die durch den Export von Bodenschätzen stark ansteigenden Staatseinnahmen nur dann eine positive Wirkung auf Gesellschaft, Staat und Wirtschaft entfalten können, wenn das Land schon vorher über eine solide Wirtschaftsstruktur verfügt und somit nicht vom Ölsektor dominiert wird. Noch wichtiger seien aber funktionierende demokratische Institutionen: Nur so könne die Ölwirtschaft wirklich kontrolliert werden, genauso wie die Verteilung der Profite, von denen ein Teil an den Staat fliesst.

Die Ölstadt Takoradi, die Western Region Ghanas: Sie sind weit weg vom plötzlichen Reichtum, den sich viele erhoffen. Aber auch weit weg von einer Situation wie in Nigeria, die manche befürchten.

Das Gesetz und das Interpretationsproblem

Zwischen Takoradi und dem Nigerdelta liegt Accra. In der Hauptstadt Ghanas befinden sich nicht nur die Landeshauptsitze der Ölfirmen, hier sind auch die Ministerien und PolitikerInnen, die den Erdölsektor zu steuern und kontrollieren versuchen. Im Finanzministerium, einem mächtigen und doch luftigen Bau, habe ich einen Termin mit Mangowa Ghanney. Die stellvertretende Chefin der Rechtsabteilung verspätet sich, sie musste unerwartet zum Finanzminister. Die energische Dame stürmt in ihr Büro, schaltet die mächtige Klimaanlage ein, setzt sich hinter den mit Aktenbergen vollgestellten Schreibtisch und zieht sofort ein Dokument hervor: «Petroleum Revenue Management Act, 2011 (Act 815)» steht darauf. Das vielleicht bekannteste Gesetz in Ghana regelt die Höhe und die Verwendung der aus der Ölförderung gewonnenen Staatseinnahmen.

«Das Ziel ist, den Fluch des Öls zu verhindern», sagt Ghanney, die das Gesetz mitverfasste, «und das geschieht am besten durch möglichst viel Transparenz.» Ghana hat sich dabei von norwegischen Staatsstellen und der Weltbank beraten lassen. «Wir haben vorbildliche Gesetze in Ländern wie Norwegen, Trinidad und Tobago sowie Osttimor studiert. Unser Gesetz basiert auf einem breiten Konsultationsprozess, an dem die ganze ghanaische Gesellschaft beteiligt war.» In diesem Zusammenhang hat auch das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft eine Reihe von Konsultationsveranstaltungen und Befragungen in allen Regionen Ghanas finanziert.

13,1 Prozent allen Öls, das auf ghanaischem Territorium gefördert wird, gehört automatisch dem Staat; das staatseigene Ölunternehmen, die Ghana National Petroleum Corporation (GNPC), verkauft es auf dem Weltmarkt. Hinzu kommen Unternehmenssteuern und Lizenzgebühren. Der Ölsektor sorgte 2012 für zwanzig Prozent der ghanaischen Exporte und sechs Prozent der Staatseinnahmen. «Das Ölgesetz legt fest, dass mindestens dreissig Prozent dieser Einnahmen in langfristig angelegte Staatsfonds fliessen und höchstens siebzig Prozent ins jährliche Staatsbudget», sagt Ghanney. Und auch die für den Haushalt vorgesehenen Gelder dürfen nur in gesetzlich festgelegten entwicklungsfördernden Bereichen eingesetzt werden.

Ein unabhängiges Komitee überwacht die Umsetzung des Gesetzes. Und es äussert seine Kritik, zusammen mit den Medien, durchaus pointiert. Beispielsweise letztes Jahr, als ein bedeutender Teil der Öleinnahmen nicht etwa in entwicklungsfördernde Infrastrukturprojekte floss, sondern in den Aufbau des staatlichen Ölunternehmens. «Das ist nur ein Problem der Gesetzesinterpretation», sagt Mangowa Ghanney im kalten Büro. «Es ist doch klar, dass in die GNPC investiert werden muss, damit sie sich auf dem Weltmarkt behaupten kann.»

Ende der Lernphase

Die britischen EntwicklungsexpertInnen bevölkern ein eigenes Gebäude auf dem Gelände der Botschaft der früheren Kolonialmacht, der British High Commission, die in Accra jeder kennt. Auch der Taxifahrer, der mich zielsicher in einem erstaunlich schäbigen Quartier ablädt; vor einem unscheinbaren Gebäude steht eine aufgeregte Menschenmenge Schlange. Es ist nicht die Botschaft, die alle zu kennen glauben, sondern die Visaabteilung Britanniens, die auch Hoffnung auf ein besseres Leben zu versprechen scheint. Und so geht die Reise weiter in eine säuberlich begrünte Gegend, wo die Botschaft und das Ghana-Büro des Departements für Internationale Entwicklung (DFID) tatsächlich liegen.

Im verwinkelten DFID-Komplex kommt Jens-Peter Dyrbak gleich auf Nigeria zu sprechen, wo der Ölwirtschaftsfachmann zuvor stationiert war: «Das grösste Problem dort sind die extremen Ungleichheiten, die durch die Ölwirtschaft noch verstärkt werden.» Deshalb sei entscheidend, dass nicht nur der Staat seine Aufgaben wahrnehme, sondern die Ölfirmen auch direkt dazu beitrügen, dass sich die Regionen in ihrem Umfeld gleichmässig entwickeln. «Das liegt im Eigeninteresse der Unternehmen», sagt Dyrbak. «In Nigeria müssen sie riesige Summen für Sicherheitsmassnahmen aufwenden.»

Die irisch-britische Tullow Oil, die führende Ölfirma im Jubilee Field, scheint solche Gefahren nicht so dramatisch zu sehen. «Ich habe keine Meinung zur Frage, ob es gegenüber Tullow oder sonst wem enttäuschte Erwartungen gibt», mailt Konzernsprecher George Cazenove aus London. «Unsere Hauptverantwortung liegt darin, die Projekte sicher und innerhalb des Zeit- und Budgetrahmens auszuführen.» Im Übrigen verweist er auf die vielen lokalen Zulieferer und Arbeitskräfte von Tullow. Und auf die Website, wo die bestehenden Massnahmen der Corporate Social Responsibility beschrieben sind.

Zurück in der gemächlichen Ölstadt Takoradi. Was hält die Direktorin der Landrechts- und Entwicklungsstiftung Colandef von der Ölwirtschaft? «Die Ölunternehmen engagieren sich tatsächlich mit gut gemeinten Projekten in der Region, etwa in Diversifizierungsmöglichkeiten für Fischer», sagt Nana Ama Yirrah. «Doch ich wünschte, sie würden mehr auf die Gemeinschaften hören und einige der Mittel in nützlichere Projekte umleiten, zum Beispiel in eine verbesserte Wasserversorgung.» Die Ölgesetze Ghanas seien gut. «Aber die Umsetzung ist eine ganz andere Sache», meint Yirrah. «Trotz unabhängigem Komitee ist die Rechenschaftspflicht über die Verwendung der Einnahmen ungenügend, und das begünstigt die Korruption.» Trotzdem ist auch Yirrah verhalten positiv: Wenn Staat und Unternehmen nun rasch lernten, die Bedürfnisse der lokalen Gemeinschaften und die Umweltgefahren ernster zu nehmen, sieht sie gute Chancen, dass die Bodenschätze hier nicht zum Fluch werden.

Noch läuft die Lernphase. Doch schon jetzt fliesst das Öl in maximalem Volumen aus dem Jubilee Field, und daneben warten weitere, noch grössere Ölfelder auf die Ausbeutung. Ist eine Situation wie im Nigerdelta denkbar? «Nein», sagt Yirrah, ohne zu zögern, «das wird niemals passieren!»

Ghanas Exportwirtschaft : Wenig Wertschöpfung

Gold, Erdöl und Kakao machen zusammen siebzig Prozent der Exporterlöse Ghanas aus. Achtzig Prozent aller Exportprodukte sind Rohstoffe, werden also nicht in Ghana weiterverarbeitet. In der Hafenstadt Tema gibt es zwar eine Ölraffinerie, diese könnte aber nur durch riesige Investitionen effizient betrieben werden. Immerhin soll in diesen Tagen – nach einiger Verzögerung – eine Anlage in Betrieb genommen werden, die das bei der Erdölförderung anfallende Erdgas verarbeitet. Dieses soll vorwiegend von der ghanaischen Wirtschaft zu günstigen Tarifen genutzt werden können.

Auch Kakao führt zu praktisch keiner Wertschöpfung in Ghana. Im Gegensatz etwa zu Kaffee ist das aus Kakao entstehende Endprodukt stark industrialisiert; die Weiterverarbeitung von Kakao ist deshalb ebenfalls mit hohen Investitionen verbunden. Immerhin gibt es eine ghanaische Schokoladenmarke, die sich im Land selbst gut etabliert hat. Und die Kuapa Kokoo Union (vgl. «51 Säcke Bohnen und 
ein bisschen Fairtrade» ) ist Mitbegründerin und -besitzerin der britisch-US-amerikanischen Fairtrade-Schokoladenmarke Divine Chocolate und somit auch an deren Profiten beteiligt.

Ghana ist nach Südafrika der zweitgrösste Goldproduzent Afrikas. Gold ist nach wie vor das wichtigste Exportprodukt des Landes: Es machte 2011 42 Prozent der Warenausfuhren aus und über 27 Prozent aller Steuererträge. Der steigende Weltmarktpreis für Gold lockt immer mehr Kleinschürfer an, besonders viele Chinesen. Heute werden dreissig Prozent des ghanaischen Golds in solch informellen Minen geschürft. Immer wieder kommt es zu Streit zwischen Schürfern und lokalen Gemeinschaften sowie zu Umweltzerstörungen. Im Oktober 2012 gab es diplomatische Verstimmungen zwischen Ghana und China (die normalerweise ihre Partnerschaft zelebrieren), weil das ghanaische Militär bei einer Razzia einen flüchtenden sechzehnjährigen chinesischen Arbeiter erschoss.

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