«Mit dem letzten Schiff»: Ein satt gefüllter Zettelkasten

Nr. 18 –

Marseille, im Jahr 1940: Eveline Haslers Text über den Fluchthelfer Varian Fry ist mehr eine Chronik als ein Roman.

Paris ist gefallen, Marschall Pétain hat sich und das halbe Frankreich den Nazis ausgeliefert. Zahlreiche deutsche EmigrantInnen versuchen, sich von Paris aus in den noch unbesetzten Süden des Landes zu retten. Im vierten Stock des Hotels Splendide in Marseille betreibt der US-amerikanische Journalist Varian Fry als Abgeordneter der privaten Hilfsorganisation Emergency Rescue Committee ein illegales Büro. Seine Aufgabe ist es, möglichst vielen der von den Nazis verfolgten KünstlerInnen und Intellektuellen Visa für die Einreise in die USA auszustellen und sie so vor dem Vernichtungslager zu retten.

In diesem Marseille, dem letzten Tor zur Freiheit, drängen sich im Sommer 1940 viele berühmte ZeitgenossInnen: Alma Mahler und Franz Werfel, Heinrich und Golo Mann, Walter Mehring, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank, Marc Chagall und Hannah Arendt. Ihnen allen – und an die 2000 weiteren – hilft Fry, vorerst über die Pyrenäenpässe nach Spanien und Portugal und dann in die USA zu entkommen.

Eveline Hasler, schon seit ihrem ersten Erfolgstitel, «Anna Göldin. Letzte Hexe» (1982), eine Meisterin des dokumentarischen Romans, arbeitet wiederum ein Kapitel fast vergessener Zeitgeschichte auf. Das Rückgrat des Buchs bildet eine ausgedehnte historische Recherche mit einer beeindruckenden Sammlung von Namen, Daten und Fakten, in der am Rande auch zwei authentische Rotkreuzschwestern für einen Bezug zur Schweiz sorgen. Oft, wenn Namen und Örtlichkeiten etwas gar dicht fallen, vermeinen wir vor Haslers satt gefülltem Zettelkasten zu sitzen.

Die Autorin skizziert die dramatischen Vorgänge schnell und schlank, verbleibt nur kurz bei den einzelnen Charakteren und vermag nur notdürftig, einen erzählerischen Bogen zu schlagen. So ist, was am Ende vorliegt, mehr eine Chronik denn ein Roman. Doch auch die weiss uns, dank Haslers Engagement und Einfühlungsvermögen, zu fesseln.

Eveline Hasler: «Mit dem letzten Schiff. 
Der gefährliche Auftrag von Varian Fry». Nagel & Kimche. Zürich 2013. 224 Seiten. Fr. 29.90.

Das Marienbadspiel – und ein Mercedes für Marjampole. Ein Bericht. Bilgerverlag. Zürich 2013. 170 Seiten. 28 Franken