Hockey Club Ambrì-Piotta: «Das ist kein Kino hier, cazzo!»

Nr. 5 –

In einem kalten, unkomfortablen Stadion eines Leventiner Bergdorfs steht die beste und bunteste Fankurve der Schweiz. Sie vereint nicht nur Tessiner und Deutschschweizer, sondern auch Rentnerinnen, Bergbauern und AntifaschistInnen.

  • Auf der Spielerbank von Ambrì-Piotta: Daniele Grassi (links) greift zur Trinkflasche, während Elias Bianchi über die Bande aufs Spielfeld springt.
  • Die Curva Sud in der Valascia, dem Stadion des Hockeyklubs Ambrì-Piotta, am 4. Januar 2014 beim Spiel gegen Zug.
  • Gleich gehts los: Ambrì-Piotta-Fans auf dem Weg zur Tribüne.
  • Nicht nur in der Kurve, auch auf der Tribüne wird gefeiert und angefeuert.
  • Die wahre VIP-Loge: Mit dem Bier in der Hand am Fenster der Stadionbeiz.
  • Hamburger und Bätziwasser gegen die Kälte: Am Verpflegungsstand vor der Valascia.
  • Magenbrot und Lebkuchen gibts an der Aussenwand des Stadions.
  • Die Gioventù Biancoblu ist auf den untersten Rängen der Curva Sud zuhause.
  • Mit Mütze und Mama an den Match.
  • Das unkomfortabelste und genau deshalb beste Stadion der Schweiz.

Immer mehr Leute strömen ins «Monte Pettine», und alle tragen sie Blau-Weiss, die Farben ihres geliebten Hockeyklubs Ambrì-Piotta. Weil die Holztische im Restaurant längst besetzt sind, stehen die Fans und halten ihre Schals und Kappen in den Händen. Es ist ganz schön warm. Und laut. Längst muss man schreien, um sich zu verständigen.

In einer Stunde beginnt das «Gotthard-Derby»: die Biancoblu gegen den Eissportverein Zug. Bergdorf gegen Steueroase. Es ist das erste Spiel im neuen Jahr, die Vorfreude der Fans ist riesig, auch weil ihr Ambrì-Piotta so erfolgreich spielt wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Erstmals seit Jahren könnte sich der Verein wieder für die Finalspiele der höchsten Liga qualifizieren.

Hinter der Theke schenkt Reto Stirnimann Bier aus. Der stämmige Bündner hat jahrelang für die Biancoblu gestürmt, zuletzt war er Assistenztrainer. Er gehörte quasi zum Inventar des Vereins. Doch letzten Frühling erhielt er die Kündigung. «Ein Schock», sagt der 39-Jährige. Trotzdem blieb er. Im Sommer kaufte er das «Monte Pettine» im Dorfkern von Ambrì, dem einen Teil des Zwillingsdorfs Ambrì-Piotta, und tauschte die Schlittschuhe gegen den Zapfhahn: «Aus Liebe zum Tal und zum Verein.»

Normalerweise wählen die Leute im Dorf, besonders die Jüngeren, einen anderen Weg. Sie verlassen die obere Leventina, das Tal am südlichen Fuss des Gotthards. Noch am Nachmittag, als das verschneite Dorf bereits vollständig im Schatten lag, wirkte Ambrì wie ausgestorben, und in die Kälte mischte sich eine gewisse Trostlosigkeit beim Anblick der vielen bröckelnden Fassaden und geschlossenen Fensterläden.

Der schleichende Niedergang in der Tessiner Talschaft ist kaum zu übersehen. Bahn und Militär sorgten jahrzehntelang für Arbeitsplätze, mittlerweile haben die Staatsbetriebe fast alle Stellen abgebaut. In Airolo ist noch eine letzte Kaserne in Betrieb. Vor zwanzig Jahren schloss das Stahlwerk Monteforno in Giornico, wo Anfang der siebziger Jahre noch über 1750 ArbeiterInnen beschäftigt waren. Es ist deshalb keine Übertreibung, den Hockeyklub als Lebenselixier der gesamten Region zu bezeichnen.

Noch 45 Minuten bis zum Anpfiff. Die Fans machen sich auf zur Valascia, ihrem Tempel, der nur 200 Meter entfernt am Fusse eines Berghangs liegt. Die Valascia (vgl. «Arrivederci, Valascia» im Anschluss an diesen Text) gilt als kältestes Stadion der Schweiz. Das Eisstadion ist an den Seiten offen, der Wind bläst ungehindert hinein. Hier fühlt sich Eishockey noch wie eine Wintersportart an. Auch deshalb kommen die Fans in Scharen. 6500 ZuschauerInnen sind es an diesem Freitagabend Anfang Januar. Die Valascia ist ausverkauft.

Gegen RassistInnen, für ArbeiterInnen

Die leidenschaftlichsten Fans von Ambrì-Piotta stehen in der Curva Sud, der grossen Stehplatztribüne hinter dem Tor. Nirgendwo in der Valascia ist es lauter. Wer in der Kurve steht, der singt und flucht zwei Stunden lang bis zur Heiserkeit. Offiziell gilt Rauchverbot, aber selbst die Ordner halten sich nicht daran. Alle sind aufgeregt und aufgekratzt, in der Weihnachtszeit hat der Meisterschaftsbetrieb geruht, jetzt freuen sie sich, dass es wieder losgeht, und dann erst noch gegen «die reichen Säcke vom anderen Ende des Gotthards».

Kurz vor Spielbeginn wird es plötzlich dunkel. Die Fans spannen singend und johlend eine riesige blaue Fahne über die Kurve. Darauf steht in grossen Lettern «Gioventù Biancoblu» – weiss-blaue Jugend. In der Mitte sind zudem die Jahreszahl 1988 und der Kopf des Apachenhäuptlings Geronimo angebracht.

1988 ist das Gründungsjahr der Gioventù, der bekanntesten Fangruppierung der Curva Sud. Und Geronimo ist eine Hommage an Dale McCourt, den indianischstämmigen Stürmer aus Kanada, der in den späten Achtzigern die ganze Leventina mit seinem Arbeitsethos verzauberte. Schoss McCourt ein Tor – und er schoss viele –, jubelte er nicht, sondern schnappte sich den Puck und legte ihn zurück in den Anspielkreis. Das nächste Tor stand an. McCourts Trikot hängt am Dach der Valascia, die Rückennummer 15 wird nicht mehr an aktuelle Spieler vergeben. Zwei weitere Trikots hängen am Hallendach: die Nummern 8 und 19 der Ambrì-Helden Nicola Celio und Peter Jaks.

Die Gioventù hat die Wahrnehmung des Klubs und seiner Fans in den vergangenen 25 Jahren so nachhaltig geprägt wie keine andere Gruppierung. Ambrì-Piotta, 1937 als erster Tessiner Eishockeyverein gegründet, war als kleiner Bergdorfklub, der den grossen Vereinen in den Städten die Stirn bot, seit jeher ein Sympathieträger. Doch erst die Gioventù hat die Curva Sud zur leidenschaftlichsten und buntesten Fankurve des Schweizer Eishockeys gemacht. Und vor allem: zur einzig offen antifaschistischen.

In den achtziger Jahren erreichte die Tessiner Stadien von Italien aus die Fankultur der Ultras. Diese unterstützten ihre Vereine fanatisch: mit ausgeklügelten Choreografien, mit Gesängen, riesigen Fahnen und Transparenten sowie Feuerwerk. 1988 begann eine Gruppe von Tessiner Teenagern, diese Kultur endgültig in die Valascia zu tragen, bald einmal gaben sie sich den Namen Gioventù Biancoblu.

«In unseren 25 Jahren hatten wir noch nie einen Chef. Und das wird so bleiben», sagt ein Gründungsmitglied der Gioventù, deren harter Kern aus etwa hundert Leuten besteht. Deshalb möchte auch niemand namentlich in der Zeitung stehen. Die Gioventù zu fassen, ist nicht leicht: Sie unterhält bis heute keine Website, ihre Geschichte ist nirgends aufgeschrieben. «Es gibt kein Programm und schon gar keine Statuten. Was uns eint, ist eine gemeinsame Mentalität. Zuvorderst steht ganz klar unsere bedingungslose Liebe und Leidenschaft für Ambrì-Piotta.» 

Auch die linke, antifaschistische Ausrichtung sei Teil dieser Mentalität, die sich mit der Zeit ganz natürlich entwickelt habe. «Wir haben Geld und Kleider für jugoslawische Kriegsflüchtlinge gesammelt und in Kenia, Palästina und Tibet Sportschulen und Ambulanzen unterstützt. Und kürzlich haben wir der Ambrì-Juniorenabteilung einen Kleinbus übergeben. Der Nachwuchs ist überlebenswichtig.» Diese Projekte finanziert die Gioventù hauptsächlich mit dem Verkauf selbst hergestellter Fanartikel. Diese darf sie auch im Stadion verkaufen – der Verein duldet das autonome Merchandising. 

Die Gioventù bringt ihre Haltung immer wieder in die Curva Sud ein, etwa mit einer farbigen Choreografie gegen die US-Invasion in den Irak. Und als im Frühjahr 2008 die ArbeiterInnen der SBB-Werkstätten in Bellinzona streikten, hisste die Gioventù in der Valascia ein Transparent mit dem Satz: «Giù le mani dall’officina!» – Hände weg von den Werkstätten! Bezeichnend war auch ihre Reaktion auf einen gewalttätigen Angriff von Lugano-Fans im letzten Herbst, eine Choreografie in der Curva Sud: Ambrì-Piotta als gallisches Dorf, das den übermächtigen Luganesi trotzt. Das Spiel gewannen die Biancoblus 1:0.

Vereint gegen «LugaNO»

Das erste Drittel endet torlos. Ambrì-Piotta spielt solid, aber nicht mitreissend. Die Stimmung in der Curva kocht noch nicht. Wer pissen oder Bier holen will, muss erst mal warten. Auch Pausenshows oder Videoanzeigen gibt es nicht. «Das ist kein Kino hier, cazzo! Ich will kein Popcorn, keine Videoclips oder Cheerleader. Eine Hockeyhalle mit Stehplätzen, mehr brauchen wir nicht», ruft mir ein Gioventù-Mitglied zu. Ein anderer flucht: «Diese Scheisszuger! Die wollen meine ID sehen, wenn ich zu ihnen ans Spiel will. Die können mich mal! Dann bleibt die Gioventù eben draussen. Sollen die Scheisszuger doch eine Stimmung wie beim Tennis haben.» Dann zeigt er lachend auf ein Transparent, das an der Seitenwand hängt: «No all’hockey moderno!»

Nicht alle Fans in der Curva Sud teilen die linken Positionen der Gioventù. Aber die mehreren Dutzend weiteren Gruppierungen und Fanklubs aus der ganzen Schweiz akzeptieren ihre offensive Rolle. Alle wissen um das Verdienst der Gioventù, die seit 25 Jahren für Stimmung in der Kurve sorgt und trotz Meinungsverschiedenheiten auch Platz für andere lässt.

In einem Punkt ist sich aber die Kurve einig: der Ablehnung des Kantonsrivalen LugaNO (offizielle Ambrì-Schreibweise). Es gibt im Schweizer Sport wohl kein anderes Derby, das ähnliche Emotionen weckt. Wenn die Biancoblu gegen die Bianconeri – die Schwarz-Weissen – spielen, ist das weit mehr als eine sportliche Angelegenheit, die Lugano mit seinen sieben Meistertiteln gegenüber null von Ambrì-Piotta übrigens klar für sich entscheidet. Das Derby ist auch eine Frage der Identifikation. Es heisst, im Tessin sei die entscheidende Frage auf den Schulhöfen: Ambrì o Lugano? Herz oder Geld. Bauern oder Banker. Berge oder Palmen.

Mittlerweile sind zwei Drittel um, die Gäste führen mit 3:2. Zugs Führung ist nicht unverdient. Ambrì-Piotta muss im letzten Drittel unbedingt druckvoller spielen. Kilian Gasser ist zuversichtlich, als er in der Stadionbeiz für Bier ansteht. «Hier drin zeigt sich der Geist von Ambrì-Piotta übrigens genauso wie draussen in der Kurve.» Er habe vor einigen Jahren mal ein paar Freunde aus Zürich an ein Spiel eingeladen und die Dame an der Theke damals gefragt, ob sie etwas Spezielles im Angebot habe. «Daraufhin holt sie ein Fläschchen Nocino hervor und schenkt uns grosszügig ein. Selbst hergestellter Nusslikör am offiziellen Verkaufsstand», lacht der Urner, «wo gibts das sonst?»

Gasser, der einst bei der WOZ arbeitete und heute als unabhängiger Inserateakquisiteur tätig ist, hat sich bereits in der Kindheit mit dem «Ambrì-Virus» angesteckt, als er mit Bekannten in die Valascia «pilgerte», wie er es ausdrückt. Bis 1990 gab es sogar einen Extrazug aus dem Urnerland in die Leventina. Das sei für sie als Jugendliche natürlich toll gewesen, sie hätten friedlich Bier getrunken und sich dann in der Curva Sud ausgetobt.

Der parteiische Reporter aus dem Urnerland

Die geografische Nähe ist nicht der einzige Grund, weshalb besonders viele UrnerInnen in der Valascia anzutreffen sind. Der zweite Grund heisst Edi Inderbitzi. Ein halbes Jahrhundert lang hat der Gemeindeschreiber von Altdorf für das «Urner Wochenblatt» Spielberichte über die Biancoblu verfasst. Vollkommen parteiische Berichte, die immer mit den Worten endeten: «Forza Ambrì, toi, toi, toi.» In einem von ihm selbst herausgegebenen Jubiläumsbuch erinnert sich der letztes Jahr verstorbene Inderbitzi an die Anfänge seiner Reportertätigkeit: «Meine Matchberichte tippte ich dann jeweils im Zug auf meiner kleinen mitgebrachten Hermes. Einmal hatte mir gar ein erboster Visp-Fan – sein Team hatte in der Valascia eine Kanterniederlage erlitten – meine Hermes mit einem Faustschlag zertrümmert!» Und verpasste er mal wieder den Extrazug gen Norden, weil er noch ein Interview führen oder ein Glas Wein auf den Sieg trinken musste, blieb ihm nur der Güterzug, um ans andere Ende des Tunnels zu kommen.

Kilian Gasser hat die Matchberichte von Inderbitzi in seiner Kindheit gelesen. Heute holt er sich die parteiischen Informationen aus der «Gazzetta dell’Ambrì». Das deutschsprachige Heft erscheint viermal jährlich und bietet eine ganze Menge: Analysen der vergangenen Spieltage, Interviews mit aktuellen und ehemaligen Spielern, selbst die Juniorenmannschaften werden gewürdigt. Herausgegeben wird die «Gazzetta dell’Ambrì» von drei Innerschweizer Fanklubs.

Christine Amstad vom Fanclub Buochs ist Redaktionsmitglied, auch sie blickt dem letzten Drittel entspannt entgegen: «Manchmal kommt mir die neue Saison wie ein Traum vor. Im Herbst waren wir gar Tabellenführer, ich wusste schon nicht mehr, wie sich das anfühlt», sagt Amstad. Tatsächlich haben die Biancoblu in den letzten sechs Jahren immer gegen den Abstieg gespielt. Vorletzte Saison sicherten sich die Leventiner den Klassenerhalt erst in einer Entscheidungsrunde gegen Langenthal. «In solchen Spielen kommen Existenzängste auf», sagt Christine Amstad. «Einen Abstieg würde der Verein, der seit über dreissig Jahren in der höchsten Liga spielt, kaum überleben. Auch weil das Derby gegen Lugano so wichtig ist.» Die Fans hätten deshalb nach dem erlösenden Sieg gegen Langenthal geweint. Auch sie. Aber trotz all der sportlich erfolglosen Jahre waren stets mehrere Tausend Fans an die Spiele in die Valascia gekommen. «Die Zuneigung zu Ambrì-Piotta hat nie abgenommen. Im Gegenteil, sie ist in den letzten Jahren noch stärker geworden.»

Die Liebe der Fans war sogar schon einmal lebensrettend. Ende der neunziger Jahre war Ambrì-Piotta sportlich so erfolgreich wie nie zuvor und niemals danach. Die Leventiner gewannen drei europäische Cuptitel, sie besiegten damals gar die russische Übermannschaft Metallurg Magnitogorsk. Und 1999 standen die Biancoblu sogar in der Finalserie um die Schweizer Meisterschaft. Dort scheiterte Ambrì-Piotta ausgerechnet am grossen Rivalen Lugano. Der sportliche Erfolg war allerdings teuer erkauft: Die Klubverantwortlichen hatten riesige Schulden aufgetürmt. Anfang 2002 drohte der Lizenzentzug und somit der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit. Innerhalb weniger Monate musste der Verein irgendwie 2,5 Millionen Franken auftreiben.

Am Ende retteten die Fans mit Tausenden von Klein- und Kleinstspenden den Verein. Kilian Gasser schrieb in der WOZ einen Spendenaufruf (siehe WOZ Nr. 5/2002 ), Inderbitzi klapperte das ganze Urnerland ab, und die Gioventù organisierte Solikonzerte und -fussballturniere.

Der Auftritt von Inti Pestoni

In der Curva Sud macht sich eine Minute vor Spielschluss Ernüchterung breit. Es steht noch immer 3:2 für Zug, und Ambrì-Piotta will es einfach nicht gelingen, Torgefahr zu entwickeln. Da hilft nur noch die Brechstange. Torwart Sandro Zurkirchen, ein gebürtiger Innerschweizer, verlässt das Eis, um einem sechsten Feldspieler Platz zu machen. Ein letzter Angriff rollt auf das Zuger Tor zu, wird jedoch zunächst abgeblockt. Der Puck gelangt zum kanadischen Verteidiger Maxim Noreau. Er ist der hinterste Mann auf der Eisfläche. Aus reiner Verzweiflung schiesst Noreau aufs Tor. Der Zuger Torwart kann parieren, doch der Abpraller landet genau auf der Schaufel von Stürmer Richard Park. Der zieht ab …

Und dann bebt die Curva Sud vor Freude. In den unteren Rängen, wo die Gioventù steht, purzeln die Fans zwei, drei Meter in die Tiefe, weil auf einen Schlag alle nach vorne zur Plexiglasscheibe gestürmt sind. Halb volle Bierbecher fliegen herum, eine Brille geht zu Bruch, alle lachen, alle hüpfen und alle singen, auch in den oberen Rängen der Kurve.

Es folgt die Verlängerung, die torlos endet. Das Penaltyschiessen muss entscheiden. Beide Torhüter halten ihren Kasten dicht, bis Inti Pestoni anläuft. Inti, der hier im Dorf aufgewachsen ist. Inti, dessen Eltern beide beim Verein angestellt sind. Inti, der so talentiert ist, dass ihn längst die anderen Klubs begehren. Doch Inti bleibt bei Ambrí-Piotta. Und vielleicht hängt genau deshalb künftig einmal das Trikot mit seiner Nummer 18 vom Hallendach.

Jetzt läuft Pestoni an, nähert sich mit Tempo dem Tor, dann täuscht er links an und zieht die Scheibe ruckartig rechts rüber. Der Torwart kommt zu spät, der Puck landet im Netz. 4:3 für Ambrì-Piotta! Inti hat das Gotthard-Derby entschieden.

In der Curva Sud liegen sich die Menschen in den Armen, und auf den Stehplätzen sind sie aufgestanden. Alle, wirklich alle setzen zu «La Montanara» an, einer Ode an die Berge, einem Klublied der Biancoblu: «Là su per le montagne, fra boschi e valli d’or, tra l’aspre rupi echeggia un cantico d’amor» – Dort oben auf den Bergen, zwischen Wäldern und goldigen Tälern, zwischen steilen Felsen hallt das Echo eines Liebeslieds.

Vielleicht beschreibt dieser Moment am Schluss des Spiels am besten, was diesen Verein so besonders macht. Wenn der Rentner und die Antifaschistin, die Älplerin und der Maturand, die Tessinerin, der Urner und der Schaffhauser und die Lombardin dicht nebeneinander «La Montanara» singen, kommt in der Valascia zusammen, was sonst kaum zusammenfindet.


Seit dem knappen Sieg gegen Zug vom 4. Januar hat Ambrì-Piotta sechs weitere Spiele absolviert. Davon haben die Biancoblu nur zwei gewinnen können. Besonders bitter war die 2:4-Auswärtsniederlage gegen LugaNO. Sechs Runden vor Schluss ist Ambrì-Piotta trotzdem noch immer auf Finalspielkurs und liegt in der Tabelle momentan auf dem guten fünften Rang.

Der Autor dieses Artikels legt Wert auf die Tatsache, dass sein Herz für Fribourg-Gottéron schlägt. Er gibt aber unumwunden zu, 
dass seine linke Herzhälfte nach dieser Reportage in die Leventina ausgewandert ist.

Arrivederci, Valascia

Eigentlich hätte die ehrwürdige Valascia, die seit 1959 besteht, bis 2014 etappenweise saniert werden sollen. Doch dann urteilte der Kanton 2010, dass die kälteste Eishalle der Schweiz in einer lawinengefährdeten Zone liege. Nun ist ein Neubau auf dem ehemaligen Militärflugplatz vorgesehen, der heute bei Heimspielen von Ambrì-Piotta als Parkplatz dient. Die Zeit eilt, denn bis 2018 muss die neue Eishalle stehen, ansonsten wird der Klub keine Lizenz mehr für die höchste Liga erhalten. Die Kosten des Neubaus, der ebenfalls etwa 6500 Plätze aufweisen wird, schätzt der Verein auf etwas über dreissig Millionen Franken. Filippo Lombardi, CVP-Ständerat und Klubpräsident, gibt sich zuversichtlich, dass das neue Stadion 2018 steht.