Konsumieren und Strafen: Ineffektiv, inhuman, kontraproduktiv

Nr. 18 –

Das Strafrecht ist als Mittel zur Bekämpfung des Drogenkonsums völlig ungeeignet, meint der ehemalige deutsche Bundesrichter Wolfgang Neskovic. Drogenpolitik müsse Gesundheitspolitik sein.

In der Drogenpolitik gibt es keinen Königsweg. Es gibt jedoch viele Holzwege. Ein Holzweg ist die auf das Strafrecht ausgerichtete Prohibitionspolitik. Es ist illusionär zu glauben, dass eine Konsumgesellschaft wie die unsrige ohne Drogen auskommen könnte. Das Abstinenzparadigma ist eine heuchlerische und mit den Realitäten dieser Gesellschaft nicht in Einklang zu bringende Utopie. Es ist inhuman und anmassend, eine solche Utopie mit den Mitteln des Strafrechts durchsetzen zu wollen. Es ist ein Akt nicht hinzunehmender staatlicher Bevormundung, wenn der Staat mit den Mitteln des Strafrechts – dem härtesten Mittel staatlicher Sozialkontrolle – versucht, volljährigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte von Staats wegen vorzuschreiben, was sie essen und trinken sollen.

Ein Menschenbild, das von einer frei verantwortlichen Persönlichkeit ausgeht, muss dem Einzelnen die Entscheidung überlassen, ob und in welchem Umfang er Rauschmittel zu sich nimmt. Damit soll nicht einer hedonistisch geprägten, auf Rausch ausgerichteten Gesellschaft das Wort geredet werden. Vielmehr soll verhindert werden, dass das Abstinenzparadigma einiger weniger anderen mit den Mitteln des Strafrechts aufgezwungen wird.

Erstkonsum nicht rückläufig

Damit ist zugleich das Stichwort geliefert, das die gegenwärtige Drogenpolitik kennzeichnet. Bei der Drogenpolitik geht es nicht nur um den Streit, ob man eine drogenfreie Gesellschaft will, sondern auch um die Frage, mit welchen Mitteln man so ein Ziel zu erreichen versucht.

Es ist legitim und anerkennenswert, das Ziel einer drogenfreien Gesellschaft zu verfolgen und sich hierzu des Mittels der Prävention zu bedienen. Wenn jedoch im Rahmen der Prävention das strafrechtliche Verbot zur Anwendung kommt, dann ist dieses Mittel strikt abzulehnen. Dies deswegen, weil das Strafrecht das härteste Mittel staatlicher Sozialkontrolle darstellt. Es kommt deswegen nur als letztes Mittel, gewissermassen als Ultima Ratio, in Betracht. Bei der Drogenpolitik wird es aber als erstes Mittel angewandt. Andere Wege werden nur halbherzig angedacht und ohne Engagement verfolgt. Das ist verhängnisvoll, weil das Mittel des Strafrechts erstens untauglich und zweitens kontraproduktiv ist. Wer den Blick vor der Realität nicht verschliesst, kann feststellen, was in Fachkreisen immer wieder hervorgehoben wird: Die gegenwärtige Prohibitionspolitik, die sich auf das Strafrecht stützt, ist gescheitert. Trotz des intensiven Einsatzes des Strafrechts ist insgesamt kein nennenswerter Rückgang der Erstkonsumenten, der Drogentoten und der Beschaffungskriminalität zu verzeichnen.

Untersuchungen belegen, dass in den Staaten, in denen die Strafandrohungen zurückgenommen beziehungsweise erhöht worden sind, keine Auswirkungen auf das Konsumverhalten eingetreten sind. Auch Befragungen von Jugendlichen belegen, dass die mögliche Bestrafung für die KonsumentInnen keine wesentliche Bedeutung besitzt.

Das Risiko des Scheiterns

Letztlich ist das Strafrecht als Mittel der Gesundheitspolitik auch schlichtweg inhuman. Wenn ein Drogenabhängiger krank ist, dann muss die Politik dafür Sorge tragen, dass er von dieser Krankheit geheilt oder dass ihm zumindest Linderung verschafft wird. Die Kriminalisierung von Kranken ist kein Mittel der Gesundheitspolitik. Heilung durch Strafe ist nicht zu erwarten. Drogenpolitik muss sich aus der Vorherrschaft der Innenpolitik befreien. Sie muss primär Gesundheitspolitik sein. Sie muss vorrangig der Gesundheit der Konsumenten dienen. Dafür ist das Strafrecht ungeeignet. Wird Drogenpolitik als Teil der Gesundheitspolitik begriffen, dann stehen die Prävention und der Gesundheitsschutz im Vordergrund.

Eine solche Politik, die sich aus der Herrschaft des Strafrechts löst, birgt durchaus das Risiko des Scheiterns. Günter Amendt hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Strategie, die das Risiko des Scheiterns in sich birgt, immer noch einer Strategie vorzuziehen ist, bei der das Scheitern gewiss ist.

Wolfgang Neskovic (65) war von 2001 bis 2005 Richter am deutschen Bundesgerichtshof und acht Jahre Mitglied des Deutschen Bundestags, zunächst für die Linke, von Dezember 2012 bis 2013 dann als Parteiloser. Dieser Beitrag ist das gekürzte Nachwort aus dem Buch «Legalisieren!» mit Vorträgen von Günter Amendt (vgl. «Explosion oder Implosion» ).