Medientagebuch: Radio Absturz

Nr. 43 –

Ein Sender, den wenige hören, aber alle kennen.

Hat Bernard Maissen, Chefredaktor der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA), nun doch recht erhalten? Wenige Stunden vor dem 1. April dieses Jahres las er den MacherInnen des Luzerner Jugendsenders Radio 3fach die Leviten: Journalismus habe heute, dozierte er, «ein grosses Glaubwürdigkeitsproblem» und deshalb dürften Medienschaffende keine dummen Scherze machen. Ausser am 1. April natürlich, aber nur dann und keine Minute früher.

Doch die 3fach-MacherInnen hatten bereits am 31. März 2014 eine Medienmitteilung verschickt, ihr werbefreier Sender sei Konkurs gegangen und von einem Zürcher Kommerzsender übernommen worden. «Wir mussten einsehen, dass in der heutigen Zeit ein nicht kommerzielles Radio nicht rentiert», liess sich Marketingleiterin Angela Meier zitieren. Ein Scherzli, das auf grosse Beachtung und viel Unverständnis stiess, nicht nur bei SDA-Maissen.

Und nun Mitte Oktober! Tage vor dem 16. Geburtstag des Senders und einer angekündigten langen Party melden die Radio-3fach-MacherInnen: «Nachdem am letzten Montag unser Serversystem zusammenbrach, kam heute am späten Nachmittag die traurige Nachricht: Unsere Daten sind weg und können nicht mehr zurückgeholt werden.» Der Verlust sei «riesig». Konkret: «16 Jahre Interviews, Scherze und Berichte und ganze 35 000 Songs sind weg, von einem Moment auf den anderen.»

So effizient können Computer wirken!

Auf den Redaktionen erntet die eingehende Medienmitteilung von 3fach Erinnerungen und Stirnrunzeln. Niemand will sich diesmal mangelnde journalistische Sorgfalt vorwerfen lassen. Die SDA hatte im Frühling darauf verzichtet, die Radio-3fach-Mitteilung von einer zweiten Quelle bestätigen zu lassen.

Medienschaffende, die anriefen, hätten ihr den Schaden nicht glauben wollen, sagt Angela Meier gegenüber der WOZ. Ob sie den totalen Datenverlust beweisen könne, habe man sie gefragt. Sie habe die Zweifelnden nur ins Studio einladen können, um den leeren Computer anzuschauen. «Gekommen ist allerdings niemand.» Die RadiomacherInnen erachten es daher für notwendig, noch eine zweite Medieninfo zu verbreiten: Nein, nein, so «dreist» seien sie nicht, «eine solche – Tschuldigung – Scheisssituation, einen Totalabsturz, mitten im Oktober als eine Art Aprilscherz zu erfinden».

Und dann spucken die rund vierzig MitarbeiterInnen in die Hände: Sie wollen innert Tagen ein neues Radio entwerfen, neue Jingles, neue Trailer, neues «Layout». Zuerst können sie nur über UKW und Kabel senden, wenig Programm, viel Musik. Das Radio erfüllt auch damit seinen Leistungsauftrag. Zwei Tage später funktioniert der Onlinestream wieder. Der Sender nennt sich vorläufig «Radio Absturz». Die MacherInnen erhalten Hinweise auf anderswo erhalten gebliebene Daten, Unterstützung von ehemaligen RedaktorInnen. Am kommenden Montag soll alles wieder geflickt und laut sein.

Noch nicht gemeldet habe sich die Aufsichtsbehörde Bakom, sagt Angela Meier. Die Behörde wird eine sie beruhigende Auskunft erhalten. Sie könnte nämlich, wenn sie wollte, ihre Kontrollaufgabe weiterhin wahrnehmen. Die gesetzlich vorgeschriebene Dokumentation der Sendungen der letzten vier Monate blieb erhalten, automatisiert gespeichert auf einem anderen Server, mit verminderter Aufnahmequalität allerdings. Und, sagt nun Meier: Auch die Sendungen der vergangenen drei Jahre seien erhalten geblieben, ausserhalb der eigenen Server, auf der Austauschwebsite Soundcloud.

Hans Stutz ist freier Mitarbeiter der WOZ.