CVP: Rechtsumkehrt

Nr. 35 –

Die CVP steht, wo die FDP vor vier Jahren war: ganz unten. Bald braucht sie einen neuen Präsidenten. Findet sie die Zukunft im Vorgestern? Beim Zuger Nationalrat Gerhard Pfister?

Da sitzt er also im Zuger Café Speck und redet über seine Partei und den Wohlstand der Schweiz, über Migration und die Freiheit, über den Wert von Prinzipien und den bürgerlichen Schulterschluss. Nach etwa zwei Stunden Gespräch und gefühlten zwanzig Anläufen, bei denen er die freie Marktwirtschaft als Lösung für fast alles preist, drängt sich die Frage auf, ob dieser Politiker nicht besser in die FDP passen würde. Wobei er, genau besehen, mit seinen Positionen der SVP noch näher steht. Tatsächlich aber ist Gerhard Pfister (53), Nationalrat aus Zug, ein Christdemokrat oder genauer: ein katholisch-konservativer Christdemokrat.

Pfister ist ein Fossil: Er ist Teil jener alten Garde, die in ein Milieu hineingeboren wurde und es nie verlassen hat. Entsprechend verteidigt er sein persönliches Wertegerüst konsequent, lässt sich von grundsätzlichen Überlegungen leiten, auch wenn das manchmal wie von vorgestern wirkt. Pfister hat eine Haltung. Und diese Prinzipientreue macht ihn in einer Partei, die es immer allen recht machen will, fast schon, na ja, sympathisch. Dann ist aber auch schon wieder Schluss mit Sympathie, denn: Pfister ist gegen Abtreibungen, gegen die Homoehe (und das entsprechende Recht auf Adoption), er ist gegen eine Frauenquote, gegen den Atomausstieg, gegen die Cannabislegalisierung, gegen Ergänzungsleistungen für einkommensschwache Familien, gegen Vaterschaftsurlaub und gegen die erleichterte Einbürgerung für AusländerInnen der dritten (!) Generation. Dafür ist Pfister für die Verankerung des Bankgeheimnisses in der Verfassung, für die Kürzung der Sozialhilfe, die Schliessung von Spitälern, für Steuersenkungen und Freihandelsabkommen, er ist für eine zweite Gotthardröhre, für mehr Überwachung und für eine Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre. Pfister gehört auch zu jenen, die in der CVP-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe den Satz verantworten, nach dem die Ehe ausschliesslich die Verbindung zwischen Mann und Frau sei.

Kurz: Gerhard Pfister ist einer der reaktionärsten Politiker der Schweiz. Und dieser Mann könnte bald der nächste Präsident der CVP werden.

Ganz unten

Seit Jahren geht es für die CVP nur abwärts. 2011, als Pfister den Wahlkampf leitete, büssten die ChristdemokratInnen 2,2 Prozent ein und kamen noch auf 12,2 Prozent WählerInnenanteil. Auch bei kantonalen Wahlen haben sie seither fast nur verloren. Und für den Wahlherbst 2015 sieht es nicht besser aus. Die CVP scheint dort anzukommen, wo die FDP vor vier Jahren war: ganz unten.

Letztes Jahr wählte die CVP den rechten Tessiner Ständerat und Drink-and-drive-Raser Filippo Lombardi zum Fraktionschef – was die Sache auch nicht besser gemacht hat. Und Anfang 2016 wird der Parteipräsident Christophe Darbellay wegen einer Amtszeitbeschränkung zurücktreten. Dann wäre der Weg frei für Gerhard Pfister. Er würde gerne, wenn man ihn denn liesse.

Pfister reizt die «Turnaround-Situation», wie er sagt: «Ich glaube, ich könnte mit der CVP Schweiz schaffen, was wir auch mit der CVP Zug geschafft haben: einen Zuwachs an Wählern und Sitzen.» Und wenn Pfister das so sagt, dann liegen ihm auch schon zwei grosse Aber auf der Zunge. Erstens: «Traut mir eine Mehrheit in der Partei einen Rollenwechsel zu?» Zweitens: «Will ich diesen Rollenwechsel überhaupt?» Denn ein Präsident führe zwar, aber er müsse eben auch vermitteln, ausgleichen und hin und wieder Positionen beziehen, die er persönlich akzentuierter oder anders beurteilen würde. Und das, sagt Pfister, bedeute einen erheblichen Verlust an persönlicher Freiheit.

Der verstorbene Soziologe Kurt Imhof schrieb einmal, die CVP sei die «VBZ der Politik», sie werbe wie die Verkehrsbetriebe Zürich: «Ich bin auch ein Tram, ich bin auch eine Wirtschaftspartei, ich bin auch liberal, ich bin auch sozial, ich bin auch grün, ich bin auch nicht katholisch.» Die CVP fährt bei allen mal vorbei – das ist Fluch und Segen der Partei: Sie schafft Mehrheiten und wird deshalb von allen Seiten umworben. Aber sie ist eben auch Opportunistin, Windfahne, so unberechenbar wie das Wetter. Oder wie es Gerhard Pfister sagt: «Als Mehrheitsbeschafferin gewinnt man zwar Abstimmungen, aber man verliert an Profil.»

Meistens schwimmt die CVP rechts mit, bisweilen auch links. Und angesichts der drei grossen Projekte der kommenden Legislaturperiode – Energiewende, Altersvorsorge, Verhältnis Schweiz–Europa – kann es der Linken nicht egal sein, wohin sich die Partei in den nächsten Jahren entwickelt.

Die Zukunft im Vorgestern

Gerhard Pfister ist in Oberägeri im Kanton Zug in einem katholischen Haushalt aufgewachsen. Wie es sich für Katholiken gehört, studierte er in Fribourg: Germanistik und Philosophie, er dissertierte über den österreichischen Schriftsteller Peter Handke. Bis vor kurzem war er Mittelschullehrer in der eigenen Privatschule, dem Institut Dr. Pfister, das sein Grossvater gegründet hatte und Gerhard Pfister 2012 in dritter Generation in das Institut Montana am Zugerberg überführte, ein Internat, eine International School für die Managerkinder von Zug.

Pfister rebellierte nie, blieb dem katholisch-konservativen Milieu immer treu. «Alles, was ich heute politisch bin, verdanke ich der CVP», sagt Pfister. Und deshalb erübrigt sich die Frage, weshalb er, der mit seinen Positionen – gesellschaftspolitisch erzkonservativ und wirtschaftspolitisch neoliberal – nicht in der SVP endete. Interessant allerdings ist, wie er den «Turnaround» der CVP schaffen möchte, wohin sich die Partei seiner Ansicht nach bewegen müsste.

In der Pose des Aussenseiters

Pfisters politische Heimat, die Zuger CVP, stand seit jeher weiter rechts als der nationale Durchschnitt. Das musste Pfister schmerzlich erfahren, als er 2003 in den Nationalrat gewählt wurde. «Es war nicht gerade ein Kulturschock», sagte Pfister einmal im Schweizer Fernsehen, «aber schon gewöhnungsbedürftig.» Jetzt möchte Pfister also die CVP Schweiz auf einen Zuger Kurs führen, sie wieder zu einer dominierenden Kraft aufbauen, wie sie es in Zug ist, zu einer Wirtschaftspartei, zu einer Partei des Establishments. «Die Schwierigkeit der CVP ist heute, dass sie eine Partei des Milieus ist und nicht eine Partei der Ideen.» Pfister will das ändern. Er glaubt, dass die Chance der CVP in «sozial-konservativen Positionen» liegt. Das Konservative bringt Pfister schon mal mit, das Soziale muss man dann andernorts in der Partei suchen. Und so bleibt der Eindruck, dass Pfisters «Turnaround» vor allem eines heisst: rechtsumkehrt. Dass Pfister die Zukunft seiner Partei im Vorgestern sucht.

Der «BaZ» sagte Pfister einmal: «Ich bin nun mal ein Katholik – so what?! Ich gelte in gewissen Kreisen als mittelalterlicher Reaktionär, so what?!» Der Reaktionär als Revolutionär. In dieser Rolle gefällt er sich. Hier spricht einer in der Pose des Aussenseiters, als wäre «konservativ» das neue «progressiv». So reden die Hummlers, die Köppels und die Scheus: Sitzen im Zentrum der Macht und wollen der Welt weismachen, sie stemmten sich gegen den Mainstream.

«Sie können mir das glauben oder nicht», entgegnet Pfister, «aber ich melde keinen Dissens an, nur damit mein Name in der Zeitung steht. Ich mag den Widerspruch, ich mag die Debatte. Aber ich weiss, dass ich privilegiert bin, und habe keinen Grund, mich vom Establishment zu distanzieren. Der Punkt ist ein anderer: Haben wir Bürgerlichen die Macht in diesem Land? Ja, wir haben sie. Aber es ist eine Enttäuschung, dass die Linke – ausser in den Städten – keine nominelle Mehrheit hat und wir Bürgerlichen uns von ihr trotzdem oft die Agenda diktieren lassen.»

Deshalb hält Pfister auch am «bürgerlichen Schulterschluss» fest, auch wenn dieser bisher eher einem Pogotanz gleicht. Dass der in gesellschaftspolitischen Fragen ein Ding der Unmöglichkeit bleiben dürfte, ist Pfister egal. «Entscheidend sind die wirtschaftspolitischen Fragen: Dort müssen wir der Linken eine bürgerliche Argumentation und letztlich eine bürgerliche Mehrheit entgegensetzen.»