Durch den Monat mit Gerhard Pfister (Teil 1): Hat Sie die 68er-Bewegung beeinflusst?

Nr. 40 –

Gerhard Pfister ist einer der Letzten seiner Art: ein klassischer Katholisch-Konservativer. Wie er in einer bildungsbürgerlichen Familie im ländlichen Zug aufwuchs – und an der Spitze einer einst christlich genannten Volkspartei landete.

Portraitfoto von Gerhard Pfister
«Uns, der Nachfolgegeneration, unterstellten diese Figuren, die sich als Revolutionäre aufspielten, wir seien unpolitisch. Ich war seit meiner Jugend politisch interessiert»: Gerhard Pfister.

WOZ: Gerhard Pfister, ich weiss, Sie mögen das Thema nicht: Sie gelten als belesen. Erinnern Sie sich an Ihr erstes Buch?

Gerhard Pfister: (Überlegt.) … Nein, aber ich nehme an, es war ein Kinderbuch. Als belesen gilt man als Politiker in der Schweiz offenbar schon, wenn man ein, zwei Bücher im Jahr liest …

Nun ja, Sie sind in den sechziger Jahren in Oberägeri in einem intellektuellen Haushalt aufgewachsen, bereits Ihr Grossvater war Akademiker.

Dass ich in eine bildungsbürgerliche Familie hineingeboren wurde, hat mich zweifellos geprägt. Aber es war eine ganz normale, sehr harmonische Kindheit, nichts Spezielles. Wir waren im Dorf aufgehoben. Einen Steinwurf von meinem Elternhaus entfernt lag ein Bauernhof, mein bester Freund war ein Bauernsohn, ich habe mich dort viel in den Ställen herumgetrieben.

Diese ländliche Schweiz gibt es nicht mehr, das Dorf, das man nur selten verliess …

Ach, dieses Klischeebild des rückständigen Landes gegenüber der angeblich weltoffenen Stadt habe ich nie geteilt. Provinzialismus ist nicht eine Frage der Geografie, es ist eine Frage des Kopfes. Es gibt die grössten Bünzli in Städten und die weltoffensten Menschen auf dem Land. Ich habe die Welt meiner Kindheit nie als einengend erlebt. Der Kanton Zug war schon damals durchaus weltoffen, es war ländlich, aber es gab auch Industrie. Meine Mutter, die leider viel zu früh verstorben ist, war eine Deutsche …

Ihr Werdegang nimmt sich aus wie ein vorgespurter Weg im katholischen Milieu: Klosterschule, Uni Fribourg, Einstieg in den Familienbetrieb, CVP-Politiker.

Ich bin vermutlich einer der letzten Politiker, die eine klassische katholisch-konservative Karriere absolviert haben. Aber das war nie ein bewusster Entscheid, schon gar nicht im Hinblick auf die Politik. Es ergab sich von selbst. Ich folgte einer Familientradition, die für mich gestimmt hat.

Sie haben wie Ihr Vater die Klosterschule in Disentis besucht. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Es war eine tolle Zeit, es gab beeindruckende Lehrerpersönlichkeiten, humanistische Werte flossen in den Unterricht ein. Ich bekam eine ausgezeichnete Bildung mit auf den Lebensweg, fand Freunde fürs Leben. Im November halte ich an einem Gönneranlass ein Referat. Die Verbindung besteht also bis heute.

Dann entschieden Sie sich für die Uni Fribourg. Zürich liegt näher bei Oberägeri.

Ich wollte fürs Studium nicht so nah an Zug sein. In Fribourg erlebte ich gute Zeiten, ich studierte Germanistik. An dieser damals kleinen Uni war der persönliche Kontakt zu den Professoren einfach. Es gab Intellektuelle von Format, im Fach Philosophie beispielsweise Emmanuel Levinas, der für Vorlesungen aus Paris anreiste, oder den Ethiker Otfried Höffe.

Hat Sie die 68er-Bewegung, das Rebellische, beeinflusst?

Ehrlich gesagt gingen mir diese Figuren, die sich als Revolutionäre aufspielten, auf die Nerven. Sie unterstellten uns, der Nachfolgegeneration, wir seien unpolitisch. Ich war seit meiner Jugend politisch interessiert.

Ihr Grossvater und Ihr Vater politisierten im Kantonsrat in Zug. Auch hier folgten Sie der Familientradition.

Politik war Gesprächsthema am Familientisch. Die CVP Oberägeri hat mich irgendwann angefragt – ich war damals bereits Direktor der familieneigenen Privatschule Institut Dr. Pfister –, ob ich auf ihrer Liste für den Kantonsrat kandidieren wolle. Ich habe das gerne gemacht, auch weil mir mein Vater vermittelte, dass man der Gemeinschaft etwas zurückgeben soll. Ich war dann von 1998 bis 2003 im Kantonsrat …

… und wurden anschliessend in den Nationalrat gewählt.

Das war so nicht so schnell absehbar. Beim Attentat im Zuger Kantonsparlament 2001 ermordete der Attentäter auch ältere Parteikollegen, die für den Nationalrat prädestinierter gewesen wären. Letztlich war meine frühe Wahl auch die Folge dieser tragischen Ereignisse.

Zug ist Sitz von Rohstofffirmen, die von Wladimir Putin kontrolliert werden. Sie haben dieses Geschäftsmodell immer verteidigt. Jo Lang, langjähriger Kritiker des Rohstoffplatzes, spricht von «ökonomischem Putinismus», der Russlands Kriegskassen fülle. Heute unterstützen Sie die Ukraine. Sind Sie ein Heuchler?

In der Beurteilung Putins und seiner Gefährlichkeit für Europa habe ich mich geirrt, so wie die Mehrheit der Politiker im Westen. Putin hat die Ukraine überfallen und internationales Recht gebrochen. Der Westen hätte ihm spätestens seit dem Überfall auf die Krim entschiedener entgegentreten sollen. Auch für den Rohstoffhandelsplatz Schweiz gelten die Regeln des Rechtsstaats. Wenn diese Firmen Recht brechen, müssen sie dafür geradestehen. Allerdings kritisiere ich, dass die Schweiz keine kohärente eigenständige Sanktionspolitik hat.

Nächste Woche: Weshalb ausgerechnet der Katholisch-Konservative Gerhard Pfister (61) das C aus dem Parteinamen entfernte und die CVP instinktsicher als «Mitte» neu gelabelt hat.