Sozialhilfe: Arrogant gegen die Armen

Nr. 3 –

«Motivation statt Sanktion»: Was für ein fieser Titel für eine Motion, die die Sozialhilfe um bis zu dreissig Prozent kürzen und nur «Kooperationswillige» mit ergänzenden Leistungen belohnen will. Die von der SVP eingereichten Vorstösse in den Kantonen Aargau, Bern, Basel-Landschaft und Zürich richten sich gegen die Ärmsten der Gesellschaft und suggerieren, die Betroffenen seien das Problem. Als würde man mit dem sukzessiven Abbau der Sozialhilfe die Armut gleich mit abschaffen.

Als Erfinderin der Formel «Motivation statt Sanktion» preist sich die Aargauer SVP-Grossrätin Martina Bircher. Arbeiten sei für die BezügerInnen nicht attraktiv genug.

Das von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) berechnete Existenzminimum wurde allerdings bereits nach politischen Aushandlungsprozessen nach unten korrigiert: Um ein Leben mit «minimaler sozialer Teilhabe» zu führen, wären 1082 Franken pro Monat nötig. Die Beiträge für Einzelpersonen belaufen sich derzeit auf 986 Franken. Wer einmal Sozialhilfe bezogen hat, weiss, dass ein Leben in Abhängigkeit alles andere als attraktiv ist – ganz abgesehen vom gesellschaftlichen Stigma, das der Sozialhilfe anhaftet.

Bei der Höhe des empfohlenen Existenzminimums gibt es keinen weiteren Spielraum. Dazu haben die KopräsidentInnen der Skos, Felix Wolffers und Therese Frösch, im Januar eine neue Studie präsentiert. Minimale soziale Teilhabe fördert die Reintegration in den Arbeitsmarkt. Sie ist aber auch eine Frage der Würde.

Die Sozialhilfe ist das letzte Auffangnetz, eine Nothilfe. Weitere Kürzungen hätten schwerwiegende Folgen, gerade für die Gesundheit der Betroffenen. Denn die meisten Kosten, die aus dem Grundbedarf finanziert werden müssen, sind fix, etwa Strom, Telefon, Radio- und Fernsehgebühren. Sparen können BezügerInnen höchstens noch bei Essen und Kleidung. Das spüren auch jene Kinder, die dreissig Prozent der Sozialhilfefälle ausmachen.

Ein Blick zurück veranschaulicht, wie sehr die steigende Kurve von Sozialhilfefällen ein hausgemachtes Problem bürgerlicher Blockadepolitik ist. Der Leistungsabbau der Sozialwerke in den letzten fünfzehn Jahren hat Spuren hinterlassen. Eine Studie des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds zeigt: Die restriktive IV-Rentenpraxis – die Anzahl bewilligter Neurenten hat sich halbiert – sowie die Erhöhung des Rentenalters in Kombination mit sinkenden Renten bei den Pensionskassen brachten bis zu 110 000 Personen mehr auf den Arbeitsmarkt. Das erhöhte Rentenalter für Frauen macht dreissig Prozent dieser Zahl aus. Gleichzeitig fehlt es an entsprechenden Arbeitsplätzen. All dies löst eine Verschiebung in Richtung Sozialhilfe aus.

Seit den letzten Revisionen der Arbeitslosenversicherung in den Jahren 2004 und 2010 wurden Bezugszeiten gekürzt und Wartezeiten verlängert, sprich: Man landet auch hier schneller beim Sozialamt. Besonders die Arbeitslosigkeit bei Personen zwischen 55 und 64 Jahren ist in den letzten zwei Jahren stärker angestiegen. Ein grosser Teil der älteren Arbeitslosen lebt länger als ein Jahr ohne Erwerbsarbeit, weil es für sie besonders schwierig ist, eine Anstellung zu finden, trotz bester Qualifikationen und geringerer Lohnansprüche. Viele werden ausgesteuert. Seit 2005 hat sich daher die Zahl der SozialhilfeempfängerInnen in dieser Gruppe verdoppelt.

Die solidarischste Errungenschaft der Schweiz, die AHV, gerät ebenfalls zunehmend unter Druck, die baldige Revision ist zwingend. Ohne Ausgleichsmassnahmen, beispielsweise bei zu knappen Renten von Frauen, steigen die Sozialhilfekosten. Eine kohärente Strategie aller Sozialwerke mit Fokus auf eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist jedoch nicht in Sicht.

Derweil liefern höhere Schuldenberge, hauptsächlich verursacht durch die einfallslose Blockadepolitik der rechtsbürgerlichen Parteien, Argumente für weiteren Kahlschlag. Bei ihnen, nicht bei den wenigen «renitenten Sozialhilfeempfängern», fehlt der Kooperationswille.