Kost und Logis: Weder Schwestern noch Brüder

Nr. 50 –

Karin Hoffsten macht sich Gedanken über einen systemrelevanten Beruf

Spitalaufenthalte sind derzeit nicht angesagt, es sei denn, man litte an Covid-19. Im Spätsommer wagte ich es dennoch. Der Anlass war harmlos, das Spital klein und die Dauer kurz. Aber die Zeit genügte, um wieder einmal in Kontakt mit einer unserer wichtigsten Berufsgruppen zu kommen: dem Pflegepersonal.

An den sonnigen Frühlingsmorgen, als meine NachbarInnen und ich am Fenster und auf Balkonen den Pflegekräften Beifall klatschten, denke ich heute nur noch mit leisem Schamgefühl zurück. Beschämt, weil die Beklatschten zu Recht enttäuscht und verärgert sind, dass dem Applaus nichts Handfestes folgen will – keine Lohnerhöhungen, keine Prämien, keine Zusage besserer Arbeitsbedingungen.

Die «Initiative für eine starke Pflege», die all das fordert, hängt in der Warteschlaufe, das Personal führte kürzlich eine Protestwoche durch, bei der es sich auf dem Bundesplatz auch noch mit CoronaskeptikerInnen herumschlagen musste – zum Glück nur verbal.

In meinen fünf Spitaltagen begegneten mir viele Pflegefachfrauen und ein -fachmann, was nicht nur die Geschlechterverteilung im Beruf widerspiegelt, sondern auch die Tatsache, dass viele Teilzeit arbeiten, um den Stress persönlich etwas zu entkrampfen. Jede Pflegefachperson, die ins Zimmer kam, zeigte eine hohe Professionalität und fand doch die Zeit und Energie, sich zuzuwenden, wenn meiner Zimmernachbarin oder mir etwas auf der Seele lag.

Einige im Team waren in der Ausbildung; manche in der ersten Woche, andere schon kurz vor dem Abschluss. Um die jungen Leute im Be-ruf zu halten, sollten sich unsere PolitikerInnen endlich um angemessene Bedingungen bemühen, aber offenbar fehlt vielen die Fantasie, sich auch den eigenen Leib mal krank vorzustellen.

Unter professioneller Pflege verstehen sie noch immer eine Form mütterlicher Zuwendung. Das zeigt auch die überholte Berufsbezeichnung «Krankenschwester», die aus dem Alltagssprachgebrauch fast nicht zu vertreiben ist. Selbst auf Jobprofilen wird noch die «Krankenschwester (m/w/d)» gesucht – wenn auch ganz fortschrittlich mit dem d für «divers».

An Schweizer Spitalbetten stellen sich die meisten Pflegefachfrauen heute als Frau XY vor. Ich nutzte das zum Gedächtnistraining und bemühte mich, mir jeden Nachnamen zu merken, egal wie kompliziert er in meinen Ohren klang. Allerdings standen mir wegen der Masken als Unterscheidungsmerkmal nur Augen und (meist) Hochsteckfrisuren zur Verfügung, was das Memory erschwerte.

Ein einziges Mal stellte sich eine Diensthabende in der Nacht flüsternd mit «Schwester» und Vornamen vor und war irritiert, als ich sie nach ihrem Nachnamen fragte. Zum Glück hatte sie andere Verpflichtungen, als mit mir über Begrüssungsrituale am Krankenbett zu plaudern. Sonst hätte ich sie noch gefragt, ob sich denn ihre Kollegen auch Bruder Klaus oder Bruder Jakob nennen liessen. Womit ich mich sicher nicht beliebter gemacht hätte.

Karin Hoffsten wünscht sich, dass die Pflegeinitiative, wenn sie denn endlich zur Abstimmung kommt, nicht an Lügengeschichten und einem nutzlosen Gegenvorschlag scheitert.