Fall Brian: Urteil markiert Umdenken

Nr. 50 –

Das Bundesgericht hat das Urteil gegen Brian, der seit dreieinhalb Jahren in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Sicherheitshaft sitzt, aufgehoben. Das Zürcher Obergericht, das Brian im Mai für Angriffe gegen seine Aufseher:innen zu sechs Jahren und vier Monaten Haft verurteilt hatte, müsse sich mit dessen Vergangenheit befassen. Mit den Haftbedingungen und Zwangsmassnahmen, die der heute 26-Jährige seit seiner Kindheit durchlebt hat. Dieses Urteil von letzter Woche ist bemerkenswert: Der Fall Brian steht bislang für die Weigerung von Justizapparat, Medien und Gesellschaft, die eigene Schuld zu reflektieren. Wer hier der Böse ist, das stand in Verhandlungen gegen ihn immer schon von vornherein fest. Das Urteil markiert ein Umdenken.

Brian, dessen schwerste Straftat ein Messerangriff im Jahr 2009 war, gelangte zu plötzlicher Berühmtheit, als er 2014 in einer SRF-Dokumentation über Jugendkriminalität auftrat. «Carlos», wie die Reporter den jugendlichen Straftäter damals tauften, war beim Boxtraining zu sehen. Am nächsten Tag titelte der «Blick»: «Sozial-Wahn! Zürcher Jugend-Anwalt zahlt Messerstecher (17) Privatlehrer, 4½-Zimmer-Wohnung und Thaibox-Kurse». Es folgte ein beispielloser Empörungsdiskurs, «Carlos» wurde zur Chiffre für die sogenannte Kuscheljustiz, zur Verkörperung aller herbeigeschriebenen Fehlentwicklungen.

Rückgrat bewies in diesem Fall niemand. Um den Boulevard zu besänftigen, begegnete die Justiz Brian fortan mit maximaler Härte. Das erfolgreiche Sondersetting wurde aufgelöst, Brian, nachdem er 2016 wieder straffällig geworden war, in Einzelhaft gesetzt. Er kennt eine solche Behandlung aus seiner Kindheit. Bereits als Zehnjähriger wurde das hyperaktive Kind ein erstes Mal in einem Erwachsenengefängnis isoliert. Dass er sich gegen seine Aufseher:innen auflehne, sei ihm deshalb als Notwehr auszulegen, hatten seine Anwälte vor dem Zürcher Obergericht argumentiert. Dieses weigerte sich jedoch, auf dieses Argument einzugehen.

Nun muss es sich noch einmal des Falls annehmen.