Berichten aus dem Krieg: Was die Redaktion will

Nr. 25 –

In einem fulminanten Kurzepos nimmt uns die langjährige Kriegsreporterin Gabriele Riedle an viele Fronten mit. Und mitten in die Abgründe eines Berufs.

Irgendwann also sass die Reporterin im gitterbewehrten Frühstücksraum des Hotels Mustafa in Kabul, allein. Die anderen, allesamt Männer, waren unterwegs, im Dienst von «Abenteuer und Aufklärung». Nur Peter Arnett, die CNN-Legende im Ersten Golfkrieg, werkelte auf dem Dach an seiner Antenne, während sie, die Reporterin, jetzt also raussollte, hinaus in die kriegsversehrte Stadt – gerade eben durch amerikanische Truppen befreit –, um zu berichten.

Berichten darüber, was Chefredaktoren in Hamburg oder Berlin für berichtenswert hielten, nach journalistischen Kriterien zunächst, öfter aber auch mit Blick auf die Auflage. Mal geht die Reise nach Kabul, dann nach Darfur, nach Liberia, irgendwann in die Wüste Gobi, und überall lauert der hegelsche Weltgeist, der die Autorin in seinem Anspruch, dass alles irgendwie zusammengeht, begleitet. So durchwaten wir die Sümpfe im Dschungel, übernachten in Jurten in der Wüste, besichtigen die Trümmer der Kriege und begegnen doch immer wieder denselben Geschichten, denselben Personen. Den Reporterkollegen, dieser männlichen Gattung, auf der Jagd nach der nächsten heissen Story, die sich aber auf bedrückende Weise stets wiederholt: jede Reportage die wiederkehrende Geschichte von Unterdrückung, von Ausbeutung, von Gewinnsucht.

Wünsche aus den Designerstühlen

Gabriele Riedle, unter anderem langjährige Reporterin bei «GEO», mehrfach für ihre Arbeiten ausgezeichnet, auch Gastdozentin für Journalismus an der University of Virginia, liefert mit ihrem Buch «In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg», das den Untertitel «Eine Art Abenteuerroman» trägt, mehr als eine manchmal sarkastische, oft ironische, dann und wann auch bittere Abrechnung mit dem Genre der Kriegsreportage: Sie vermittelt, zwischen Seitenhieben auf die Chefredaktoren in ihren Designerstühlen, zwischen ratlosen Durchhängern auf ihrem «west-östlichen Diwan» zu Hause in Berlin, eine präzise Analyse des Reporterblicks. Eines Blicks, der darauf linst, was die Redaktion «zu Hause» gerne «haben» möchte, mit dem anderen Auge aber redlich versucht, in der kurzen Zeit zu verstehen, was in den Nächten von Lagos, in den Vororten von Monrovia eigentlich abgeht, und so den Menschen vor Ort irgendwie gerecht zu werden. Und gerade hier berührt der Text, wenn Gabriele Riedle die fiktive Ich-Erzählerin, die durchaus sie selber sein kann, ins Zentrum rückt und erzählt, wie es ihr in diesem Dilemma erging. Wenn sie sich nicht herausnimmt und selbstkritisch, manchmal auch sarkastisch von den Begegnungen ihres Alter Ego berichtet, wie sie den verbotenen Fotografen in Kabul entdeckt, wie sie Kaffee mit der geschiedenen Gattin des Schlächters von Liberia trinkt. Und wie die Autorin möchten auch wir beim Lesen gerne bei diesen Protagonist:innen verweilen, möchten deren Geschichten in allen Verästelungen verstehen, aber schon müssen wir weiter, weil jetzt Darfur ruft oder Saudi-Arabien.

Einem begegnen wir immer wieder: «Tim», in Wahrheit der mehrfach preisgekrönte Fotograf und Filmautor Tim Hetherington, der sein Leben lang die Krisen in Westafrika, Afghanistan und anderswo dokumentierte. Er wurde 2011 in Misrata, Libyen, von einer Granate getroffen. Und die Autorin, die von seinem Tod aus dem Radio erfährt, macht diesen schmerzhaften Moment zum Ausgangspunkt ihrer Erzählung, als eine Sinnsuche. Sie hadert mit diesem Augenblick, als Tim getötet wurde, oder, fragt Gabriele Riedle bitter, wäre «zerfetzt» nicht das richtige Wort? Und sie kehrt immer wieder zu Erinnerungen an Tim zurück, weil sie ihn mehr als nur schätzte für seine Sorgfalt, seine Genauigkeit in der Arbeit. Sie erzählt von jener fast magischen Begegnung mit Tim in New York und wie sie dann gemeinsam unterwegs waren, in durchwachten, gewitterhaften Nächten in Monrovia, in Helikoptern über dem Dschungel, und davon, wie in London Heathrow ein Abschiedskuss verrutschte.

Keine Liebesgeschichte

Aber dieses Buch ist weder eine Liebesgeschichte noch eine Reportage.

In langen, sich über ganze Seiten erstreckenden Sätzen, in denen wir nahtlos vom Karussell im Bryant Park zu einem «General Nacktarsch» mäandern, von den Bildsymbolen im altmodischen Diercke-Atlas hin zu Fakten über die koloniale Ausbeutung Westafrikas, umkreist Gabriele Riedle dieses Begehren, das auch sie immer wieder von ihrem Berliner Diwan aufbrechen liess. Sie hinterfragt dabei, hakenschlagend, dann und wann in schwindelerregenden Ellipsen, den fortbestehenden kolonialen Blick auf das, was wir den Globalen Süden nennen, und führt uns vor Augen, wie die vorgefundene, manchmal wirre Wirklichkeit beschrieben und dann auch gelesen wird. Nur allzu oft in einem Habitus der Besserwisserei, manchmal der Empörung oder auch einfach der zynischen Distanznahme zu dem, was sich in den Krisengebieten dieser Welt so tut.

Wie zwischen den Zeilen leistet Gabriele Riedle dabei einen zugewandten, manchmal auch melancholischen Tribut an jene, die an der Front in der Ukraine, in den Flüchtlingslagern in Syrien, an der Korruptionsfront in Guatemala ihr Leben riskieren, um zwischen Falschmeldungen auf Twitter und der Hetze auf Telegram dem Geschehen ein Körnchen Wahrheit abzuringen.

Und dabei notwendigerweise scheitern.

Die Autorin liest am Freitag, 24. Juni 2022, um 14 Uhr und am Samstag, 25. Juni 2022, um 17 Uhr am Literaturfestival Leukerbad.

Gabriele Riedle: In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. Eine Art Abenteuerroman. Verlag Die Andere Bibliothek. Berlin 2022. 280 Seiten. 60 Franken