Durch den Monat mit Nina Zimmer (Teil 2): «‹Aufgewachsen in Oberbayern›: Wie müssen wir uns das vorstellen?»

Nr. 32 –

Das werden, was im Elternhaus verpönt war: Die Kunsthistorikerin und Museumsdirektorin Nina Zimmer über Künstlerkommunen, das Problem mit dem Geniebegriff und das befreiende Gefühl, wenn man einen objektiven Standpunkt gefunden hat.

Nina Zimmer mit ihrer Katze
Nina Zimmer: «Ich komme aus einem Künstlerhaushalt. Das ist ein spezielles Aufwachsen. Man blickt auch aus einer Aussenseiterperspektive auf die Gesellschaft.»

WOZ: Frau Zimmer, Sie haben mal gesagt, Ihr Kunstgeschichtsstudium sei quasi ein Psychoanalyseersatz gewesen. Wie meinten Sie das?
Nina Zimmer: Ich komme aus einem Künstlerhaushalt. Das ist ein spezielles Aufwachsen. Man blickt auch aus einer Aussenseiterperspektive auf die Gesellschaft. Ursprünglich hatte ich ja überhaupt nicht vorgehabt, Kunstgeschichte zu studieren.

Warum nicht?
In diesem Künstlerhaushalt waren die Kunsthistoriker die Blödmänner. Die Museumsdirektoren, die Kuratoren – damals tatsächlich durchwegs Männer –, alle, die Kunst verwissenschaftlichen und Bücher darüber schreiben: Das war das absolut Andere. Trotzdem hatte ich über das zweite Nebenfach Berührungspunkte mit der Kunstgeschichte. Und irgendwann habe ich gemerkt: Eigentlich interessiert mich das brennend. Weil ich da einen objektiven Standpunkt finden kann, der meine persönliche Erfahrung auch ins Verhältnis zur Geschichte und zur damaligen Gegenwart setzt. Wie in einer guten Psychoanalyse gewann ich so einen neutralen Blick, der mir half, von aussen auf meine Familiengeschichte zu schauen.

Eine Art Ablösung aus der Perspektive der Eltern?
Es war ein befreiender Moment. Ich habe gemerkt: Auch Kunstgeschichte hat nicht nur eine Meinung. Sie stellt Methoden, Diskurse, Debatten, Felder bereit. Und die können mir helfen einzuordnen. Und dann habe ich auch noch realisiert: Da gibts ja Museen, die öffentliche Häuser sind, und da kann man vielfältige Inhalte mit einem Publikum und für ein Publikum verhandeln. An dem Tag, als ich angefangen habe, in einem Museum zu arbeiten – als Volontärin in der Hamburger Kunsthalle – habe ich gewusst: Das will ich machen.

Sie sagten Künstlerhaushalt. Ihr Vater war der Maler und Bildhauer HP Zimmer. Wer war Ihre Mutter?
Meine Mutter war in verschiedenen Rollen in der Künstlergruppe aktiv. Sie war selber keine Künstlerin, aber sie war publizistisch tätig, kaufmännisch auch, hat verhandelt und organisiert. Sie hatte mehrere aktive Rollen in der Künstlergruppe und mit der Zeitschrift, die dort herausgegeben wurde. Manchmal musste sie auch jobben gehen und Geld verdienen, damit mein Vater wieder Kunst machen konnte. Einerseits war das ein klassisches Rollenbild, andererseits ging es sehr kollaborativ zu.

Mit Ihrer Dissertation zu Künstlerkollektiven, unter anderem zum Kollektiv Ihrer Eltern, war die Psychoanalyse dann abgeschlossen?
(Lacht.) In meiner Doktorarbeit gehts ja grundsätzlich um Gemeinschaftsarbeit bei Künstlergruppen. Und um die Frage: Wie kann man zusammenarbeiten? Wie kann man Kunstwerke mit mehr als einer Autor:in machen? Wir haben einen Kunstwerkbegriff, der stark vom Geniegedanken abgeleitet ist: Ein einzelnes Genie schafft ein aussergewöhnliches Meisterwerk. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es aber auch die Suche nach Alternativen: Wie kommt man aus dieser Vereinzelung heraus? Wie kann man gemeinsam kreativ sein? Mich hat dieser Gedanke fasziniert. Dass viele Künstler:innen Versuche machen, das Genieproblem irgendwie zu knacken.

Und, lässt es sich knacken?
Die meisten halten es in diesen Künstler:innengruppen nicht lange aus. Und es ist auch nicht immer so, dass die interessantesten Kunstwerke als Gemeinschaftswerke entstanden wären. Aber die Magie von diesem Gedanken ist so stark, dass sich selbst die grössten Individualisten wie Jackson Pollock auf kollektive Prozesse einliessen. Meine Grundthese war: Es tut allen gut, sich dem auszusetzen, gemeinsam etwas auszuprobieren. Und auch wenn man am Ende doch wieder bei der Arbeitsteilung landet: Die Erfahrung in der Gruppe hat einen Effekt.

In Ihrer Kurzbiografie steht «aufgewachsen in Oberbayern». Wie müssen wir uns das vorstellen?
Die Eltern waren in München und dort mit der bereits erwähnten Künstlergruppe verbunden. Als die Phase mit den Künstlerkommunen, das Leben in der Gruppe und das Herumreisen zu einem gewissen Stillstand gekommen waren, durchlebte mein Vater eine künstlerische Krise, und da kam dieser Rückzug in die Kleinfamilie aufs Land. Dort bin ich dann aufgewachsen.

Ausschliesslich in der Kleinfamilie?
Da es immer wieder längere Phasen von Absenzen meiner Eltern gab, bin ich zum Teil in einer Pflegefamilie auf dem Bauernhof aufgewachsen, mit vier älteren Geschwistern und jeder Menge Tieren. Ich trug Verantwortung für die Enten, und es war wie eine zweite Familie. Das war wirklich bayerisch, wie man sich das so vorstellt: Bauernhof und Volksmusik; eine grosse Nähe zur katholischen Kirche und mit Trachten und allem Drum und Dran, Skifahren und Dampfnudeln. Meine Eltern – mein Vater war Berliner, meine Mutter stammte ursprünglich aus Ostpreussen – kamen aus einer ganz anderen Welt und passten nie ganz rein in dieses Oberbayern. Und ich war so ein bisschen zwischen den Welten zu Hause.

Nach Stationen in Deutschland, Chicago und Seoul arbeitete Nina Zimmer (49) zehn Jahre lang in Basel, bevor sie nach Bern ans Kunstmuseum Bern und ans Zentrum Paul Klee wechselte. Nächste Woche: eine vorläufige Bilanz zum «Fall Gurlitt».