Künstlerinnen: Wann ist eine Frau endlich keine Frau?

Nr. 46 –

In den Sammlungen der Schweizer Kunstmuseen sind Frauen immer noch eklatant in der Minderzahl. Eine Ausstellung im Aargauer Kunsthaus kombiniert Verwunschenes aus den eigenen Beständen geschickt mit bekannteren Werken. Und lässt doch einen Wunsch offen.

Hannah Villigers «Arbeit ­(12-teilig)» von 1980/81 in einem Museum
Wie ein einziges grosses Gemälde: Hannah Villigers «Arbeit ­(12-teilig)» von 1980/81. Foto: Zoe Tempest

Zwölf Bilder in drei Reihen zeigen Haut, Haar, Kakteen und Beinaheküsse. Wie beim Memoryspiel suchen die Augen nach Anhaltspunkten in den Nahaufnahmen. Welche könnten zusammengehören? Und was sich wohl für Szenen zeigen würden, könnte man aus den Bildern herauszoomen?

Die Polaroidaufnahmen von Hannah Villiger scheinen wie ein einziges grosses Gemälde – und wie Fragezeichen. Dieses Gefühl kommt immer wieder auf in der Ausstellung «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau» im Aargauer Kunsthaus – die gezeigten Arbeiten von Frauen aus dem 20. Jahrhundert eröffnen Einblicke in kreative Welten, die gleichzeitig Raum für mehr Fragen schaffen.

In der Luft hängt eine Tür und schimmert perlmuttfarbig wie ein Portal in eine andere Welt.

So auch die Installation «Borg» von Heidi Bucher: In der Luft hängt eine Tür und schimmert perlmuttfarbig wie ein Portal in eine andere Welt – wohin sie führen würde, könnte man sie öffnen? Bucher kleidete Räume mit Latex aus und zog diesen dann in einem Performanceakt wieder ab, so entstanden lang anhaltende Kopien von realen Schauplätzen.

In den achtziger Jahren weitete sie die «Häutungen» auf politische Orte aus und erschuf beispielsweise einen Abzug vom «Audienzzimmer des Doktor Binswanger» im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen – ein Besprechungszimmer, in dem Frauen «Hysterie» diagnostiziert worden war. Ein komplexer Schaffens- und Erinnerungsprozess also, in dem sich die Künstlerin patriarchale Machträume aneignete und sie gleichzeitig unvergänglich machte. Trotzdem ging Heidi Bucher nach ihrem Tod 1993 vergessen und wurde erst in den letzten Jahren wiederentdeckt.

Geheimnisvoller Lampenschirm

In der Nähe von «Borg» hängt die Fotografie «Interieur» von Silvia Gertsch. Im Bild leuchtet ein Lampenschirm in einem Fenster geheimnisvoll hinter einer rosaroten Stoffschicht; «Borg» schimmert gut sichtbar rosa-violett im Hintergrund des Raums. Eine gekonnt kombinierte Komposition – die zwei Arbeiten verbinden die Motive der Unzugänglichkeit und des Geheimnisses, gleichzeitig korrespondieren sie auch auf farblicher Ebene. Hier kommt unwillkürlich die Frage auf: Was steckt hinter den zugezogenen Vorhängen? Und: Was haben sie mit Frausein zu tun?

Denn die Schwerpunktsetzung der Kuratorin Elisabeth Bronfen kann, trotz feministischer Freude, auch irritieren: Alle ausgestellten Werke stammen von Frauen aus dem 20. Jahrhundert, aber oft ist kein weiterer direkter Zusammenhang zwischen den Arbeiten und dem Frausein zu entdecken. Der Ausstellungstitel «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau» ist angelehnt an «A rose is a rose is a rose», ein berühmtes Zitat aus einem Gedicht von Gertrude Stein. Durch die Wiederholung des Wortes «Frau» wird die grundlegende Essenz dieser Zuschreibung infrage gestellt. Keine Rose gleicht der anderen, keine Frau ist also dieselbe wie eine andere.

Diese Singularität schlägt sich in den Werken von Künstlerinnen nieder – aber wie lassen sich Differenzen erkunden, ohne Künstlerinnen auf ihr Geschlecht zu reduzieren? Und was heisst eine Schwerpunktsetzung auf das Frausein im 20. Jahrhundert für die Diversität? So porträtieren die Werke ein scheinbar vorwiegend weisses, heteronormatives, cisgender Frausein – was zweifellos auch eine Realität der Sammlungsankäufe im 20. Jahrhundert widerspiegelt.

Schneewittchens Schlaf

Trotzdem sind Ausstellungen wie diese wichtig; viele der Arbeiten wurden bis jetzt nur selten ausgestellt, viele der Künstlerinnen bekommen nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit. Und das oft, weil sie Frauen waren und immer noch Frauen sind. So lässt sich das Frausein nicht wegweisen: Es war und ist noch heute ein Stolperstein für Bekanntheit, Lohn und Präsenz.

Eine Verdichtung dieser Gedanken findet ihren Höhepunkt in «Schneewittchen und die acht Geisslein» von Doris Stauffer. Die Assemblage besteht aus Alltagsgegenständen: einem Daunenkissen, auf dem Stauffer schlief, einer Emailleablage und acht verschiedenen Topfdeckeln. Ihr künstlerisches Schaffen lag lange brach: In einem Interview erzählte sie, dass immer irgendwo ein Kind schrie, während sich ihr Mann, Serge Stauffer, der Kunst und Diskursen widmete. Ihre feministischen Assemblagen bestehen darum aus Objekten aus dem ihr unliebsamen Hausfrauendasein.

Lange tat man Stauffers Werke deswegen als «Frauenkunst» ab; erst 2013 fand sie als Künstlerin weitreichende Aufmerksamkeit – sie wurde an einer Ausstellung über ihren Mann wiederentdeckt. Zu dieser Zeit erwarb das Aargauer Kunsthaus «Schneewittchen und die acht Geisslein»: Die Emailledeckel auf dem Daunenkissen der Assemblage werden oft als Nippel interpretiert. Es sind aber auch Störsymbole für Schneewittchens Schlaf, die sich bereits nach einer Nacht bei den Zwergen um den ganzen Haushalt der Bergbewohner kümmern musste. Und auch die Geisslein im Märchen der Gebrüder Grimm brauchten Schutz vor dem Wolf. So mögen die Deckel auf dem Kissen weibliche Brüste darstellen, aber diese symbolisieren eben auch die Care-Arbeit, die das Individuum hinter der Idee «Frau» und deren vermeintlichen Aufgaben verschwinden lässt.

Am Ende stellt sich also vor allem die Frage, wann eine Frau endlich keine Frau mehr sein darf – und dafür Künstlerin.

«Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau … Eine Geschichte der Künstlerinnen». Bis 15. Januar 2023 im Aargauer Kunsthaus. www.aargauerkunsthaus.ch