Kost & Logis: Am Stroh erkannt

Nr. 7 –

Ruth Wysseier enthüllt ungeschönte Erfahrungen

Während ich bei Computerfragen unschwer als Immigrantin entlarvt werden kann, bin ich bezüglich blond eine Eingeborene und kann aus erster Hand berichten. Tressie McMillan Cottom weiss auch viel über die Bedeutung des Blondseins, aber nur, weil sie eine blitzgescheite Soziologin aus den USA ist. Ja also, apropos gescheit: Was hat eine Blondine, die einen Strohballen hinter sich herzieht? Einen externen Speicher.

McMillan Cottom sagte am Neujahrstag auf Tiktok, blond sei keine Haarfarbe, sondern ein ethnisches Merkmal und ein Statussymbol. Zwei Tage später, nachdem eine knappe Million Leute reagiert hatten, wurde ihr Account vorübergehend gesperrt. Die Schallwellen der Empörung reichten bis in das Stübchen einer Schweizer Jungpartei, die gerade ein Wahlkampfthema suchte.

Blond sein ist ein Statusvorteil – aber eine brünette Uhrenfabrikdirektorentochter rangiert dann doch meilenweit höher als eine blonde Wirtstochter. Jedenfalls war das so bei unserer Lehrerin, die die Kinder der ersten bis dritten Klasse zusammen in einem Schulzimmer unterrichtete. Die Rolle der Maria im Krippenspiel besetzte sie acht Jahre lang mit einer der mässig talentierten drei Direktorentöchter, während die Wirtstochter, obschon sie alle Rollen auswendig konnte, immer der Wirt sein musste, der das heilige Paar von der Schwelle wies. Ein frühes Beispiel von Cancel Culture.

Blond sein bringt Nachteile. Blonde sind, weil seltener, leicht zu identifizieren. Wenn ich mich auf dem Schulweg prügelte, wurde ich am Stroh auf meinem Kopf von weitem erkannt und verpetzt. Aber es ist ein flüchtiges Erkennen: Auf WOZ-Anlässen hat man mich dauernd mit Lotta Suter, der anderen Blonden, verwechselt. Da Lotta sehr gute Texte schrieb, korrigierte ich den Irrtum mit der Zeit nicht mehr.

Darf man über Blondsein reden, ohne den historischen Ballast zu bedenken, der daran hängt? Nazis idealisierten blonde Mädchen, Hitlers Hund hiess Blondi. Doch während nach 1945 niemand mehr Adolf heissen wollte, blieben Blondschöpfe, besonders die aus Hollywood, beliebt.

In den skandinavischen Ländern dominieren helle Haut und helles Haar, weil sowieso nie die Sonne scheint. Im Süden ist dagegen der helle Typ benachteiligt, jedenfalls im Freien. Im Politbetrieb ist blond ein Trumpf; es ist einfacher, wenn Politikerinnen, die ein Land von allem Dunklen und Fremden säubern wollen, selber blond sind, wie der Erfolg von Giorgia Meloni und Marine Le Pen zeigt.

In der Schweiz wiederum findet die Junge SVP die blonde Layla geiler, wie es in einem Ballermann-Hit heisst. Sie will deshalb mehr blond für die Schweiz. Damit auch wenig begüterte Menschen ihre Haare färben können, versprach sie neulich, die Kosten dafür zu übernehmen. Das Geld reichte nicht weit: Auf der JSVP-Website zeigen sich drei brünette junge Menschen aus Scham nur von hinten und stossen zum Trost mit einem blonden Bier an.

Ruth Wysseier ist Wirtstochter und Winzerin am Bielersee. Sie war fünfzig Jahre lang echt blond, seither hilft ein bisschen Chemie. Sie widmet diese Kolumne Andy Warhol und Viktor Giacobbos Tante Donatella Versace.